Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf:In Hohenschönhausens Löwenhöhle

Lesezeit: 3 min

In Berlin ist ein neues Paarlauf-Leistungszentrum entstanden: Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert überraschen.

Von Barbara Klimke, Berlin/München

Radelnde Berlintouristen biegen in Hohenschönhausen inzwischen manchmal zur Eishalle ab. Dorthin, wo auf spiegelglatter Fläche kleine und größere Menschen in der Luft zwei- bis dreimal um die eigene Achse wirbeln. Der Paarlauf-Bundestrainer Alexander König hatte Veranstaltern von Bike-Touren, als sich die Gelegenheit bot, kürzlich nahegelegt, der Kundschaft eventuell einen Abstecher zu den Eisartisten im Sportforum vorzuschlagen: "Wir brauchen Zuschauer", sagt König. "Auch beim Training."

Die Strahlkraft des Publikumssports Eiskunstlauf ist ja verblasst, seit sich die Olympiasieger und Weltmeister Aljona Savchenko/Bruno Massot nach der Goldkür 2018 aus dem Wettkampfgeschehen zurückzogen. In Hohenschönhausen aber lässt sich nun beobachten, wie im Paarlauf-Eislabor womöglich gerade spektakuläres Neues entsteht. Und für Berlin-Enthusiasten kann das durchaus ein alternatives Hauptstadterlebnis bieten. Am Montag erst sind Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert aus Moskau zurückgekehrt, wo sie beim russischen Grand Prix überraschend Dritte wurden. Es war der größte internationale Moment ihrer jungen Karriere und für die Kufenkunst im Lande die erste Medaille, seit Savchenko/Massot aus dem Rampenlicht glitten.

Minerva-Fabienne Hase, 20, und Nolan Seegert 27, haben vor vier Jahren als Eis-Duo zusammengefunden und seitdem, wie Bundestrainer Alexander König findet, eine "fantastische Entwicklung" genommen. Romy Oesterreich, die das Duo Hase/ Seegert in Berlin als Trainerin von Beginn an begleitet hat, glaubt ebenfalls, dass sich die beiden auf einem sehr guten Weg befinden. Sie warnt aber davor, schon den höchsten Maßstab anzulegen und etwa Vergleiche zwischen den aktuellen deutschen Meistern und dem Glamourteam Savchenko/Massot anzustellen. "Das wäre unfair", sagt sie, weil sich ihre Schützlinge, Sechste der letzten Europameisterschaft, gerade erst vorsichtig auf scharfen Kufen in die Eislauf-Weltspitze vortasten; und weil das Terrain bekanntlich tückisch ist.

Gute Paarläufer hatte Berlin immer schon. Nun werden die Kräfte gebündelt

Zumindest haben Hase/Seegert beim Grand Prix am vergangenen Wochenende sogar das Moskauer Publikum verblüfft. Denn sie schoben sich mitten hinein in die drei favorisierten russischen Paare und landeten trotz eines Kür-Fehlers beim dreifachen Salchow hinter den Duos Boikowa/Koslowski und Tarassowa/Morosow - aber weit vor deren Kollegen Stolbowa/Nowoselow. Ein Erfolg "mitten in der Höhle der Löwen", befand Trainerin Oesterreich anerkennend. An der Stabilität der Programme wollen sie nun weiter tüfteln, denn auch beim Grand Prix in Grenoble, wo sie Siebte wurden, war das Duo kürzlich ins Straucheln gekommen.

Da ist es durchaus hilfreich, dass sie sich in Berlin nun eine eigene Höhle der Löwen errichten - oder zumindest ein kleines Hohenschönhausener Löwengehege. Seit Alexander König, der als Trainer Savchenko/Massot zu Olympiagold geführt hatte, im Sommer vorigen Jahres von Oberstdorf nach Berlin umzog, ist dort, im Sportforum, ein Paarlauf-Leistungszentrum entstanden. Gute Paarläufer hatte Berlin immer schon. Aber nun werden unter den Trainern Romy Oesterreich, Knut Schubert und dem für die Nachwuchsläufer zuständigen Rico Rex alle Kräfte gebündelt. Der Spitzenverband, die Deutsche Eislauf-Union (DEU), schuf für König, bis dahin nur Honorartrainer, eine Stelle als Paarlauf-Bundestrainer. Mitunter reist auch Dmitri Savin an, ein Experte aus Moskau, der mit Hase/Seegert schon früher an Technik-Elementen feilte; er bringe "den internationalen Flair" in die Halle, wie König sagt. Zehn Paarläufer wirbeln bei den zwei bis drei Trainingseinheiten durcheinander, und von dem täglichen Austausch, der Gruppendynamik, die sich entwickelt, profitieren alle, bestätigt Romy Oesterreich, auf dem Eis und an der Bande.

Nicht nur Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert, das nationale Spitzenpaar, haben zuletzt das Interesse am Paarlauf wieder geweckt. Auch die 19-jährige Annika Hocke, die 2018 mit Ruben Blommaert bei Olympia debütierte, zieht mit ihrem neuen Partner, Robert Kunkel, 20, erstaunliche Kreise. Im April liefen sie erstmals, Hand in Hand, übers Eis, und trotzdem haben sie sich in kurzer Zeit mit zwei dritten Plätzen für das Grand-Prix-Finale der Junioren im Dezember qualifiziert. Sie treten in Turin dann löwenmutig gegen gleich fünf russische Junioren-Paare an: ein weiterer Erfolg für das Paarlauf-Leistungszentrum in Berlin. Wer Alexander König heute fragt, wo die Hinterlassenschaft der Goldkür von Savchenko/Massot geblieben sei, der wird auf das Sportforum, Berlins neue Attraktion, verwiesen. Denn König sagt: "Na, hier!"

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SZ vom 20.11.2019
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