Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf:Freiheit für Bruno Massot

  • Aljona Savchenko darf nun mit ihrem neuen Partner Bruno Massot starten.
  • Die Deutsche Eislauf-Union musste allerdings den Franzosen 30 000 Euro zahlen.
  • Die Summe wird als "Aufwandsentschädigung" deklariert. Erpressungsbeute käme der Wahrheit näher.

Von René Hofmann

"Wir sind frei": Fast 19 Monate lang hat Aljona Savchenko warten müssen, bevor sie diese drei kurzen Worte sagen konnte. Am vergangenen Dienstag war es so weit. Da stellte die Internationale Eislauf-Union (ISU) das sogenannte Clearance Certificate für ihren neuen Eislaufpartner Bruno Massot aus. Das Papier bedeutet: Der Franzose ist ab sofort für die Deutsche Eislauf-Union (DEU) startberechtigt. Das heißt: Er ist überhaupt wieder startberechtigt, weil es zum Paarlaufen nun einmal zwei braucht und der 26-Jährige mit Blick auf die Olympischen Spiele 2018 in Pyeongchang beschlossen hat, sich mit der fünf Jahre älteren Savchenko zusammenzutun, die für die DEU bereits fünf WM- Titel gesammelt hat.

Von Chemnitz nach Oberstdorf gezogen

Nationenwechsel sind im Eiskunstlauf nichts Ungewöhnliches. Es gibt Athleten, die für drei unterschiedliche Nationen an den Start gingen. Alles kein Problem. So lange die nationalen Verbände mitspielen. In Brunos Fall aber spielte der Französische Eissport-Verband nicht mit. Genauer gesagt: FFSG-Präsident Didier Gailhaguet spielte nicht mit. Er nutzte die Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren, das, wenn es nach ihm geht, bald Schule machen wird und die traditionsreiche Sportart grundlegend verändern könnte.

Aljona und Bruno. Bruno und Aljona. Der durchtriebene Didier. Der ambitionierte Didier. Es ist eine Geschichte, die sich aus vielen Perspektiven erzählen lässt.

2018 will sie nach Gold greifen

Die sportliche ist die einfachste: Aljona Savchenko beschloss nach ihrer Bronzemedaille mit Robin Szolkowy bei den Spielen in Sotschi: Das soll es noch nicht gewesen sein! 2018 will sie noch ein letztes Mal nach Gold greifen. Weil Szolkowy seine Karriere beendete, brauchte sie einen neuen Partner. So kam der 1,84 Meter große und wirklich starke Massot aus der Region Basse-Normandie ins Spiel. Dass es mit dem Nationenwechsel nicht einfach werden würde, zeichnete sich früh ab. Weil Savchenko aber niemand ist, die sich leicht von etwas abbringen lässt, beeindruckte sie das wenig.

Um sich mit Szolkowy zusammenzutun, hatte sie einst ihre Familie in der Ukraine zurückgelassen. Um es mit Bruno zu versuchen, trennte sie sich von Trainer Ingo Steuer und zog nach elf Jahren in Chemnitz nach Oberstdorf. "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal dort leben würde", sagt sie, "Oberstdorf war für mich immer klein und weit weg." Inzwischen gefällt es ihr dort ausgesprochen gut. Es sollte längst nicht die einzige überraschende Wendung in dieser Geschichte bleiben.

Am 14. September 2014 erklärte Bruno Massot schriftlich, dass er für Deutschland starten wolle. Am 28. November 2014 teilte ihm der französische Verband mit: Daraus wird - zumindest vorerst - nichts. Massot wurde die Starterlaubnis verweigert. Auch fürs Schaulaufen. Keine Wettbewerbe, keine Schaulaufen - das bedeutete: keine Gagen, kein Preisgeld. Als einzige Stütze blieb ihm die Sporthilfe. Die überwies 200 Euro monatlich. Massot hat sich die fünf Olympischen Ringe auf den rechten Oberarm stechen lassen. Olympischem Glanz nachzujagen, kann aber nicht nur im Tattoo-Studio schmerzen.

An dieser Stelle der Geschichte kommt nun wieder Didier Gailhaguet ins Spiel. Der 62-Jährige war einst selbst Eisläufer. Inzwischen ist er schon seit einiger Zeit Eislauf-Funktionär. Und er ist einer der Sport-Strippenzieher, bei denen wie selbstverständlich ein Adjektiv vor den Namen gesetzt ist, wenn die Rede auf sie kommt. Gailhaguet, der Gerissene, der Skrupellose, ja sogar: der Schieber.

Nach den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City sperrte ihn die ISU für drei Jahre, weil er die französische Preisrichterin in der Paarlaufentscheidung angewiesen hatte, unabhängig von der tatsächlich gezeigten Leistung, dem russischen Paar zum Triumph zu verhelfen - als Gegenzug für Russlands Unterstützung für Frankreich bei den Eistänzern. Auch als Chef des französischen Verbandes musste Gailhaguet gehen, 2007 aber wurde er wiedergewählt. Für kommendes Jahr bewirbt er sich sogar für ein ganz prominentes Amt: Dann will er Präsident des Eislauf-Weltverbandes werden.

Dieser Gailhaguet also eröffnete der Deutschen Eislauf-Union eines Tages: Leider könne er Massot nicht ohne Gegenleistung ziehen lassen. Das für den Sport zuständige Ministerium habe ihn angewiesen, den Verlust von teuer ausgebildeten Talenten einzugrenzen. Ein unwürdiges Gefeilsche begann. Als Gegenleistung standen zunächst 100 000 Euro im Raum, dann 70 000. Die DEU studierte die Regularien. Recht schnell war sie sich sicher: Für die Forderungen der Franzosen gab es keine Grundlage. Sie schaltete die ISU ein. Der Weltverband aber drückte sich um ein klares Votum: Die Länder sollten eine "freundschaftliche Lösung" finden, war ihr Rat.

Freistellungsgebühr soll teilweise zurückgezahlt werden

Die DEU hätte Massots Startrecht wohl einklagen können. Aber das hätte gedauert. Und viel gekostet. Also reisten DEU- Vize Uwe Harnos und Sportdirektor Udo Dönsdorf am 2. September zu Gailhaguet nach Paris. Einige Tage später lag ein Angebot vor, auf das die Deutschen zähneknirschend eingingen: 30 000 Euro. Eine Summe, die die DEU mit ihren wichtigsten Partnern abstimmen musste, mit dem Deutschen Olympischen Sportbund, dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverwaltungsamt.

Offiziell wird sie nun als "Aufwandsentschädigung" deklariert. Erpressungsbeute käme der Wahrheit näher. "Man muss dafür kämpfen, dass es so etwas nicht gibt", sagt Harnos, "das wird sich negativ auf den Sport auswirken." Dem Vernehmen nach plant Gailhaguet aber genau das: In seinem Wahlprogramm sollen feste Ablösen bei Nationenwechsel stehen.

Über Preisgelder und Gagen sollen Aljona Savchenko und Bruno Massot einen Teil der 30 000 Euro zurückzahlen. 2000 Euro sind über Spenden schon zusammengekommen. "Wir sind frei": Ihren ersten Wettbewerb wollen die beiden Mitte November in Tallinn bestreiten.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2015
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