Eiskunstlauf-EM:Die Premiere von Niina Petrokina

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Liebling des Publikums: Niina Petrokina in Tallinn. (Foto: Daniel Mijail/AFP)

Erstmals wird eine Estin Eiskunstlauf-Europameisterin. Bei den Männern gewinnt überraschend der Schweizer Lukas Britschgi. Auch der deutsche Verband ist optimistisch in Hinblick auf Olympia 2026. Dort deutet sich eine Rückkehr der russischen Athleten an.

Von Barbara Klimke

Von solch einer Nacht hatte Niina Petrokina zu träumen gewagt, seit sie wusste, dass sich auf Tallinn, ihre Stadt, für ein paar Tage die Scheinwerfer richten würden. Das Publikum hoffte mit – und hatte Berge von Kuscheltieren in die Halle mitgebracht, die es nach ihrer Kür auf die Fläche regnen ließ, eine liebgewonnene Eislauftradition. Und so saß Niina Petrokina, 20 Jahre alt, leicht fassungslos in der Tränenecke, einen riesigen Plüschhasen neben sich, als sie zur ersten Europameisterin Estlands im Eiskunstlauf ausgerufen wurde.

Sie hatte ein makelloses Programm zum Soundtrack des Science-Fiction-Films „Dune“ aufgeführt: die beste Kür aller 24 Finalistinnen dieses Abends nach Meinung der Juroren. Fünf unterschiedliche Dreifachsprünge, zum Teil in Kombination, landete sie sauber auf den Kufen. Kurz stockte ihrem Anhang der Atem, als sie stolperte und zu Boden ging, ausgerechnet beim eher ungefährlichen Geradeauslaufen. Doch sie rappelte sich schnell auf und lief weiter, als sei nichts geschehen. Wenn überhaupt, sagte sie später, dann habe das kleine Malheur ihre Konzentration auf die noch bevorstehenden Elemente geschärft: „Irgendeinen Fehler mache ich ja immer“, sagte sie lachend.

Ihre ärgste Rivalin Anastasija Gubanowa, 22, die für Georgien laufende Europameisterin von 2023, musste nach Petrokina als Letzte auf die große, leere Bühne. Sie setzte ebenfalls fünf Dreifachsprünge aufs Eis, aber es reichte nicht zur Verteidigung ihres Vorsprungs aus dem Kurzprogramm, weil das strenge Preisgericht ein paar Viertelrotationen in der Luft vermissten und Petrokina höhere Wertungen, Level vier, für die Pirouetten zugestand. Als Estlands Pirouettenkönigin ihre Noten erfuhr, 208,18 Punkte, zehn Punkte mehr als die Konkurrentin, schluchzte sie mit Trainerin Svetlana Varnavskaja um die Wette. Platz drei ging in Abwesenheit der verletzten belgischen Titelverteidigerin Loena Hendrickx an deren 18-jährige Teamkollegin Nina Pinzarrone. Die deutsche Meisterin Kristina Isaev aus Mannheim hatte sich nicht für das Finale qualifiziert.

Für Gubanowa, die einzige Vertreterin der klassischen St. Petersburger Eislauftradition in dieser künstlerisch bemerkenswerten Frauenkonkurrenz, blieb Platz zwei. Sie hatte sich schon vor den Olympischen Spielen 2022, also vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, für einen Wechsel zum georgischen Verband entschieden, ihr Trainingsmittelpunkt ist nach offiziellen Angaben jedoch St. Petersburg geblieben.

Russlands Athleten waren auch bei dieser EM wegen des Angriffskriegs auf das Nachbarland nicht zugelassen. Zumindest für die Olympischen Winterspiele 2026 aber stellt die International Skating Union (ISU) den Eisläufern aus Russland und Belarus eine Rückkehr – in kleiner Zahl – in Aussicht: Sie sind unter Bedingungen zur Olympiaqualifikation im September in Peking zugelassen, nicht im Teamwettbewerb, aber mit jeweils einem Startplatz in den vier Disziplinen (Männer, Frauen, Paarlauf, Tanz). Das Prozedere orientiert sich am Muster für die Pariser Sommerspiele: Eine externe Agentur überprüft ihre Nähe zu Armee und Kreml-Regime. Weil dies einige Zeit dauert, muss Russland schon bis Ende dieses Monats die Namen (samt jeweils einem Ersatzkandidaten) bei der ISU einreichen. Die russische Meisterschaft hat im Dezember übrigens zum zweiten Mal Adelija Petrosian, 17 Jahre alt, aus der Schule von Eteri Tutberidze gewonnen: Tutberidze war 2022 bei Olympia in Peking die Trainerin von Kamila Walijewa, die im Mittelpunkt eines Dopingskandals stand. Adelija Petrosian kann einen Vierfach-Toeloop springen – solch phänomenale Sätze hatte in Tallinn keine Frau im Repertoire.

Bei den Männern wird der Weltmaßstab seit zwei Jahren von einem US-Amerikaner, dem sprunggewaltigen Alexej Malinin, 20, gesetzt. In Europa ist seit Samstagabend überraschend der Schweizer Lukas Britschgi der Athlet, den es auf dem Eis zu schlagen gilt. Britschgi, 26, der in Oberstdorf bei Michael Huth und der früheren deutschen Meisterin Nicole Schott trainiert, legte in der Kür eine Aufholjagd hin, die ihn von Platz acht auf eins katapultierte, und sicherte sich mit 267,09 Punkten die Goldmedaille. Er hoffe, dass das dem Kufentanz der Schweiz Aufschwung gebe, sagte er danach. Fast 20 Jahre ist es her, seit sein Landsmann Stéphane Lambiel letztmals Weltmeister wurde.

Der französische Favorit Adam Siao Him Fa, der die kontinentale Konkurrenz zwei Jahre lang mit originellen artistischen Programmen dominiert hatte, strauchelte diesmal mehrmals bei den Vierfachsprüngen – auch wenn er einen einwandfreien Rückwärtssalto  landete – und wurde Dritter (257,99 Punkte) hinter dem Italiener Nikolaj Memola. Der deutsche Meister Nikita Starostin aus Dortmund hatte es nicht ins Kürfinale geschafft.

Für die Deutsche Eislauf-Union fällt die Gesamtbilanz wegen des Europameistertitels für die Paarläufer Minerva Hase und Nikita Wolodin dennoch natürlich positiv aus, wie DEU-Sportdirektorin Claudia Pfeifer sagte. Zumal die Eistänzer Jennifer Janse van Rensburg und Benjamin Steffan aus Oberstdorf in Tallinn ihre persönliche Bestleistung in Kurzkür und Kür übertrafen, auch wenn sie wegen starker Konkurrenz nur knapp Elfte wurden. So blickt der Verband jetzt optimistisch auf die Weltmeisterschaften im März in Boston, wenn das nächste Mal Hasen und ähnliches Plüschgetier auf das Eis fliegen.

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