Eiskunstlauf:Aus heiterem Himmel

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Goldmoment: Trainer Alexander König, Aljona Savchenko und Bruno Massot (von links) erleben am 15. Februar 2018 die Wucht des Augenblicks, als die Wertung der Paarlaufkür bei den Olympischen Winterspielen in Pyeonchang aufblinkt. (Foto: Laci Perenyi/imago)

Knapp vier Jahre nach der Gold-Kür von Pyeongchang hat der Verband den Paarlauf-Bundestrainer Alexander König entlassen. Er arbeitet nun ehrenamtlich.

Von Barbara Klimke, Neuss

Dieser Tage hat sich Alexander König in die Berliner S-Bahn zum Flughafen gesetzt und ist in die Steiermark geflogen. Dort ist seine fachliche Einschätzung beim österreichischen Championat in Graz gefragt. In Neuss, im Rheinland, drehen die Eiskunstläufer an diesem Wochenende ebenfalls bei nationalen Meisterschaften Pirouetten. Aber in der Deutschen Eislauf-Union (DEU), so hat es König, 55, der Aljona Savchenko und Bruno Massot auf dem Weg zur Goldmedaille bei den Olympischen Winterspielen 2018 begleitete, jüngst erfahren, wird er offenbar nicht mehr gebraucht.

Das weiß König seit September, als er zu einem Personalgespräch mit DEU-Präsident Dieter Hillebrand nach München in die Verbandszentrale reiste. Nach der Goldkür von Pyeongchang hatte man ihm mit einiger Verzögerung das Amt des Bundestrainers für die Paarlauf-Disziplin übertragen, nun stand eine Unterredung über die "aktuellen Veränderungen" in dieser Sparte an. Momentan lässt sich das beste Duo, Minerva Hase und Nolan Seegert, häufig von seinem neuen Trainer Dimitri Sawin an der russischen Schwarzmeerküste in Sotschi schulen; die jüngeren Berliner Konkurrenten Annika Hocke/Robert Kunkel werden von Trainer Rico Rex betreut; das dritte Paar der Meisterklasse, das zu einer gemeinsamen Karriere zusammengefunden hat, Alisa Efimova/ Ruben Blommaert, ist hierzulande noch nicht startberechtigt. Aus diesen Umständen soll Hillebrand nach Darstellung von König eine akute Unterbeschäftigung des Bundestrainers abgeleitet haben. "Man hat festgestellt", sagt König, "dass ich nichts mehr zu tun habe, weil Nolan und Minerva ja nun in Russland sind."

Entscheidung an Ort und Stelle

Seiner Schilderung nach entfaltetet das Gespräch fortan eine Dynamik, die er nicht vorausgesehen hatte, ähnlich einer aus dem Gleis gelaufenen Straßenbahn vor dem Kiesbettcrash. "Man braucht mich nicht? Das sagt man mir nicht zweimal." König, ein Feingeist und Meister der Erschaffung künstlerischer Gesamtkunstwerke auf dem Eis, bedauert im Nachhinein, dass er wohl sehr emotional auf den Vertrauensverlust reagiert habe. "Jedenfalls habe ich auf der Stelle einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet." Aus heiterem Himmel, ohne die Sachlage vorher möglicherweise mit einem Arbeitsrechtler durchzusprechen.

Ganz oben: Aljona Savchenko und Bruno Massot gewinnen das erste Paarlauf-Gold für Deutschland seit 66 Jahren. (Foto: Jung Yeon-Je/AFP)

Der Verband möchte "genaue Inhalte aus Personalgesprächen" nicht öffentlich machen. Zu den Gründen der Entlassung des Goldtrainers teilt Geschäftsführer Alexander Wetzel so viel mit: "Aus Sicht der DEU sind die erwünschten Impulse für die Perspektive und Entwicklung der Disziplin Paarlaufen leider nicht so eingetroffen, wie der Verband sich das vorgestellt hat. Angedacht war ein Paarlaufzentrum in Berlin, was sich jedoch bedauerlicherweise bis heute nicht wie gewünscht realisieren ließ." Auf das Angebot einer weiteren Zusammenarbeit seitens der DEU für "konkrete Aufgabenstellungen" sei König nicht eingegangen, schreibt Wetzel. Der Trainer bestätigt das: "Da kamen am 29.10., unmittelbar vor Auslaufen des Vertrags, zwei kurze Angebote per Email an. Das habe ich abgelehnt."

Der Vizepräsident wird überrascht

Nicht alle im dreiköpfigen Vorstand erkennen wie die Münchner Zentrale den erwähnten Mangel an Impulsen, Perspektiven und Entwicklung im Paarlauf. DEU-Vizepräsident Reinhard Ketterer, zuständig für Leistungssport, sagt: "Man hat mich nicht eingebunden, und ich hätte auch nicht zugestimmt." Er sehe auch den Grund der Kündigung nicht. Auch liegt für Ketterer, 73, viele Jahre Leitender Landestrainer und Bundesstützpunktleiter in Berlin, die Aufgabe eines Bundestrainers nicht nur in der fachlichen Betreuung von Spitzenpaaren, sondern im Austausch und der Befähigung von Trainern an anderen Orten, in der Nachwuchssuche und der inhaltlichen Ausrichtung der deutschen Eiskunstlauf-Königsdisziplin. Mitunter, das gibt Ketterer gern zu, laufe künstlerisches Naturell den bürokratischen Abläufen zuwider: "König ist eher pragmatisch, der macht Sachen, ohne auf die Struktur zu achten." Aber der Bundestrainer a. D. selbst wäre der Letzte, der das leugnen würde: "Ich gebe ja zu, mit so einem Freigeist wie mir ist es nicht immer einfach", sagt König. "Wenn die DEU glaubt, sie kann besser ohne mich, dann ist das auch okay."

So ist vier Jahre nach Pyeongchang wenig geblieben vom Glanz des Gold-Trios, das die DEU-Bilanz im Paarlauf veredelte: Bruno Massot, 32, kehrte nach Frankreich zurück und hat einen Trainerposten in Caen übernommen. Aljona Savchenko, 37, so berichtete König, betreut in Oberstdorf nun ein schwedisches Paar. Er selbst hat sich beim Arbeitsamt gemeldet. Allerdings trainiert er ehrenamtlich weiter mit den deutschen Spitzenpaaren, solange bis er eine neue Stelle findet. Minerva Hase und Nolan Seegert, Fünfte der Europameisterschaften 2020, bleiben nach der deutschen Meisterschaft in Neuss noch bis Weihachten in Berlin, ehe sie wieder nach Russland fliegen, und Alexander König wird ihr Training begleiten. Die DEU mag seine Dienste nicht mehr benötigen - die Paarläufer brauchen ihn offenbar noch sehr wohl.

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