Süddeutsche Zeitung

Eishockey:Wo die Scouts hinschauen

Vor einem Jahr ging es bei den Adlern Mannheim noch ums Überleben. Nun könnten sie die Hegemonie des Eishockey-Serienmeisters München brechen.

Von Max Ferstl, Nürnberg

Das mussten die Späher sein, von denen vorher die Rede war. Die drei Herren in Reihe sechs, schwarze Jacken, an einem Ärmel klebte das Wappen der New York Islanders, einem aktuell sehr erfolgreichen Klub der National Hockey League (NHL). Sie unterhielten sich auf Englisch, so leise, dass man nicht verstand worüber. Die Männer kauten Kaugummi - jeder, der im Eishockey etwas auf sich hält, kaut Kaugummi. Scouts, so heißen die Talentspäher, die durch die europäischen Stadien tingeln, die besten Spieler beobachten und über deren NHL-Tauglichkeit befinden. Dass sie am Freitagabend im Nürnberger Stadion saßen, war keine große Überraschung. Es bestätigte nur, dass hier die talentierteste Mannschaft in Deutschland spielte.

Keine Mannschaft hat die Deutsche Eishockey Liga (DEL) so beherrscht wie die Adler Mannheim in dieser Saison. Keine hat jemals 116 Punkte in der Hauptrunde geschafft. Keine hat mehr Tore geschossen und weniger kassiert. Und keine gewinnt im Moment ihre Spiele in den Playoffs mit vergleichbarer Souveränität. Am Freitag siegte Mannheim auch im zweiten Spiel der Viertelfinalserie in Nürnberg, ein kontrolliertes 4:2. Der Gegner zeigte seine beste Leistung seit Langem - und hatte trotzdem keine echte Chance. "Vielleicht noch ein Spiel" könne seine Mannschaft gewinnen, sagte Ice Tigers-Trainer Martin Jiranek anschließend. Doch er klang so, als würde er nicht so recht daran glauben.

Die Frage, die über den Playoffs schwebt, ist vor allem die, ob die Mannheimer ihre hervorragende Saison zu einem entsprechenden Ende bringen können. Ob sie also die Münchner Hegemonie mit drei Meisterschaften nacheinander werden brechen können. Eine Überraschung wäre das nach der Hauptrunde nicht. Vielmehr wäre es der letzte Beweis einer sportlichen Wiedergeburt, die vor gerade einmal 16 Monaten begonnen hat.

Vor 16 Monaten warteten 150 wütende Fans auf den Mannschaftsbus

Damals herrschte in Mannheim akuter sportlicher Notstand mit allen krisentypischen Begleiterscheinungen: Die gesamte sportliche Führung wurde gefeuert, Interimstrainer Bill Stewart bescheinigte der Mannschaft eine "zerbrechliche Mentalität". Und nach einem verheerenden 0:5 in Köln warteten 150 Fans nachts auf die Rückkehr des Mannschaftsbusses - man musste reden. Das Team, traditionell eines der teuersten der Liga, war in Einzelteile zerfallen. Es gab keine Idee, wie die Mannschaft spielen sollte. "Momentan geht es hier nicht um Eishockey", sagte Stewart, sondern ums "Überleben".

Dass es in Mannheim wieder ums Eishockey geht, hat viel mit Pavel Gross zu tun, dem Trainer einer im Sommer neu formierten Mannschaft. Die acht Jahre zuvor hat der 50-Jährige die Grizzlys aus Wolfsburg trainiert. Dort hatte er mit einer durchschnittlich begabten Mannschaft überdurchschnittlich großen Erfolg gehabt. Drei Mal stand Wolfsburg mit Gross im Finale der Playoffs, für Titel reichte es jedoch nie. Den gewann er dafür als Spieler mit Mannheim dreimal in Serie.

Seine Idee vom aggressiven Spiel hat er nach Mannheim importiert, wo zur mannschaftlichen Geschlossenheit das individuelle Talent kommt. Verbindet sich beides, entsteht Dominanz. "Er hat uns das System eingebläut. Die Mannschaft vertraut ihm voll", sagt Kapitän Marcus Kink. Mannheim spielt ähnlich wie vorher Wolfsburg, schnell und aggressiv. Nur das Ganze technisch anspruchsvoll. Mit dem Ergebnis sind sie bislang sehr zufrieden. "Die Entscheidungen, die wir getroffen haben, waren zum überwiegenden Teil richtig", sagte Geschäftsführer Daniel Hopp am Freitag im Fernseh-Interview.

Der Mannheimer Kader weist Merkmale eines Haifischgebisses auf: schnell, kräftig, gefährlich. Und wenn mal ein Zahn herausbricht, wächst sofort ein neuer nach. In Nürnberg fehlte zum Beispiel einer der besten Mannheimer Stürmer. Andrew Desjardins, dreifacher Torschütze im ersten Spiel, war nach einem Check gesperrt worden. Doch seine Abwesenheit fiel kaum auf. Seine Aufgabe übernahm Markus Eisenschmid, der zwei Mal traf. Die Scouts in Reihe sechs könnten bei dem 24-Jährigen durchaus etwas genauer hingeschaut haben. Bis zu diesem Sommer hatte Eisenschmid in der American Hockey League gespielt, die Bühne, auf der sich Talente für die NHL empfehlen können. Nachdem es mit einer Beförderung nicht klappte, wechselte er im Sommer nach Mannheim. Und entwickelte sich zu einem der prägenden Spieler.

Noch steiler ist die Lernkurve von Verteidiger Moritz Seider, erst 17 Jahre jung. Er gilt als das größte deutsche Talent für den anstehenden Draft, die Talentschau der NHL. Unter Gross stieg Seider zum Stammspieler auf. "Er gibt ihnen viel Eiszeit, und die Jungs zahlen es mit guten Leistungen zurück", sagt Geschäftsführer Hopp, der mitbekommen hat, dass seine Spieler unter Beobachtung stehen. Natürlich wolle er keinen Spieler verlieren, sagt er. Andererseits sei ihm lieber, "wenn unsere Spieler in Nordamerika beliebt sind, als wenn einer sagt: Einen Spieler von Mannheim kann ich gar nicht gebrauchen." So etwas sagt allerdings in diesen Tagen wohl niemand, nirgendwo.

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SZ vom 17.03.2019
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