Eishockey-WM:Traum zerplatzt im Schlussdrittel

Deutschland verpasst die erste WM-Medaille seit 1953 - stellt jedoch den "wertvollsten Spieler" des Turniers. Der WM-Titel geht an Tschechien.

David Bernreuther

Man kann der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft nicht vorwerfen, dass sie nicht alles versucht hätte. Es lief die letzte Spielminute im Spiel um Platz drei und Schwedens Jonas Andersson hatte gerade das entscheidende 3:1 erzielt. Die Deutschen wehrten sich weiterhin, obwohl es aussichtslos war. Bundestrainer Uwe Krupp nahm nochmals den Torwart vom Eis, sechs deutsche Feldspieler griffen mit letzter Kraft an. Solange, bis die Schlusssirene die Partie beendete und Schweden zum Bronzemedaillengewinner der WM 2010 machte. Der deutsche Traum von der ersten WM-Medaille seit 1953 - er blieb nur ein Traum.

Für Tschechien ging eine nicht gar so lange Durststrecke zuende: Erstmals seit 2005 ist das Team um den Altstar Jaromir Jagr wieder Weltmeister. Im Finale setzten sich die Tschechen mit 2:1 (1:0, 1:0, 0:1) gegen Russland durch. Die Tschechen gingen bereits nach 20 Sekunden durch Jakub Klepis in Führung, Tomas Rolinek (39.) besiegelte mit einem regulären Schlittschuh-Tor die erste russische Niederlage nach 27 WM-Siegen in Folge. Der Anschluss von Pawel Dazjuk (60.) kam zu spät - der Rekordchampion und Weltmeister der vergangenen beiden Jahre und sein Superstar Alexander Owetschkin mussten sich mit der Silbermedaille begnügen.

"Wir sind schon historisch"

Als Deutschland 1953 letztmals eine WM-Medaille gewann, waren nur vier Mannschaften bei der WM in der Schweiz angetreten. Die Eishockey-Großmächte USA und Kanada fehlten von vornherein, und die Tschechen reisten wegen des Todes ihres Staatspräsidenten frühzeitig ab. Der deutschen Mannschaft reichte ein einziger Sieg gegen die Schweiz für den zweiten Platz. 2010 traten 16 Mannschaften bei der WM an, der Weg der deutschen Mannschaft durch das Turnier war wesentlich länger. Er führte über die etablierten Eishockey-Nationen USA, Finnland und Russland.

"Wir sind schon historisch", sagte Bundestrainer Uwe Krupp deshalb nach dem knapp verlorenen Halbfinale gegen Russland - egal, ob Deutschland im Spiel um Platz drei Bronze holen sollte oder nicht. Auch Franz Reindl, der Generalsekretär des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), bescheinigte der Mannschaft "ein Wahnsinns-Niveau" und eine "atemberaubende" Leistung, die fachlich nicht zu erklären sei. Und auch die Spieler, die unmittelbar nach dem unglücklichen Halbfinal-Aus gegen den hohen Favoriten Russland niederschlagen waren, wollten ihre Enttäuschung schnell überwinden. "Es sind bewegende Momente", sagte NHL-Profi Christian Ehrhoff. "Wir können das Turnier noch mit einer Medaille beenden, wer hätte das vorher gedacht?"

Doch im Spiel um Bronze hatte es Deutschland erneut mit einem scheinbar übermächtigen Gegner zu tun: dem achtmaligen Weltmeister Schweden, der im Halbfinale gegen Tschechien bis acht Sekunden vor Schluss geführt hatte und erst im Penaltyschießen gescheitert war. Zudem fürchtete der Bundestrainer, dass die Mannschaft einen Tag nach dem aufopferungsvollen Kampf gegen Russland noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte sei: "Der Tank wird nicht voll sein. Da müssen wir uns warm anziehen."

Auszeichnung für Endras

Und tatsächlich sah es zu Beginn des Spiels so aus, als könnte die DEB-Auswahl nicht an die überraschend starken Leistungen der vorherigen Spiele anknüpfen. Deutschland verschlief den Beginn und wurde sofort dafür bestraft: Schwedens Christian Bäckman spielte den Puck aus dem eigenen Drittel in den Lauf von Magnus Pääjärvi. Der Stürmer nahm Tempo auf und schlenzte den Puck ins Tor. Und auch in den Minuten danach setzten sich die Skandinavier im Drittel der Deutschen fest. Dennis Endras, der nach seiner Pause im Halbfinale wieder für Rob Zepp im deutschen Tor stand, bewahrte seine Mannschaft mit starken Paraden vor dem 0:2.

Nach der Partie wurde Endras eine besondere Ehre zuteil: Der Eishockey-Weltverband IIHF zeichnete ihn als wertvollsten Spieler der WM aus. Es ist das erste Mal, dass ein Deutscher diesen Titel erhält. Zugleich wurde Endras zum besten Torhüter des Turniers gewählt.

Deutschland kommt ins Spiel

Es dauerte zehn Minuten, ehe Deutschland in die Partie fand und mit schnellen Gegenstößen zu guten Chancen kam: Erst lief Michael Wolf alleine auf den schwedischen Torwart Jonas Gustavsson zu, dann tat Felix Schütz es ihm gleich - doch beide scheiterten. Zu Beginn des zweiten Drittels versuchten es Kai Hospelt und John Tripp mit Distanzschüssen - erfolglos. Doch Deutschland wurde stärker, Schweden war lange nicht mehr so dominant wie im ersten Abschnitt. In der 36. Minute war es dann Alexander Barta, der die Bemühungen der DEB-Auswahl belohnte: Seinen ersten Schuss wehrte Gustavsson zwar ab, doch Barta schnappte sich die Scheibe erneut und verzögerte so lange, bis der schwedische Torwart schon vor ihm am Boden lag - dann knallte er den Puck unter die Latte.

Das Spiel der deutschen wirkte nun entschlossener und engagierter - auch wenn Endras in der 38. Minute binnen weniger Sekunden zu zwei Glanzparaden gezwungen war. "Jetzt sind wir drin, jetzt geben wir Gas, jetzt holen wir uns Bronze", kündigte Torschütze Barta nach dem zweiten Spielabschnitt an. Doch es kam anders. Vier Minuten waren gespielt im Schlussdrittel, als der schwedische Angreifer Jonas Andersson den Puck aus spitzem, ja eigentlich unmöglichem Winkel flach auf das deutsche Tor schoss. Endras hatte keine freie Sicht, er reagierte gar nicht - und so rutschte die Scheibe zwischen seinen Schonern hindurch ins Tor.

"Wir waren so knapp dran"

Deutschland stemmte sich gegen die Niederlage, erhöhte das Risiko, spielte schnell nach vorne. Torchancen sprangen dabei allerdings kaum heraus. Eine Minute vor dem Ende ging dann Endras vom Eis, die Deutschen versuchten mit sechs Feldspielern noch einmal alles. Doch sie verloren den Puck und Schwedens Andersson hatte keine Mühe ihn zum 3:1 ins leere Tor zu schieben. Der Traum von einer Medaille war endgültig ausgeträumt.

Wieder waren die Spieler am Ende niedergeschlagen und enttäuscht - trotz der guten Leistung gegen eine der besten Eishockey-Nationen. "Wir waren so knapp dran. Darum ist es so bitter, dass wir es nicht geschafft haben", sagte Kapitän Marcel Goc. Für Endras war die Niederlage gar ein "Schock": "Wir wissen, dass die Chance, die wir hier hatten, vielleicht nicht wiederkommt."

Felski hört auf

Bundestrainer Uwe Krupp will die WM in den nächsten Tagen "erstmal sacken lassen", dann will er sich entscheiden, ob er seinen Vertrag verlängert - oder auf dem Höhepunkt abtritt. DEB-Präsident Uwe Harnosss hofft auf eine schnelle - und positive - Entscheidung: "Wir werden uns sofort zusammensetzen - mit der großen Hoffnung, dass die Spieler ihn überzeugen können, dass sie weiter von ihm trainiert werden wollen."

Ein Spieler wird mit Sicherheit nicht mehr von Krupp trainiert werden: Sven Felski beendet seine Karriere in der Nationalmannschaft, nach 159 Spielen, acht A-Weltmeisterschaften und zwei Olympia-Teilnahmen. Nur eine Medaille zum Abschluss blieb ihm verwehrt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: