Süddeutsche Zeitung

Start der Eishockey-WM:Was hat Toni Söderholm nur vor?

  • Am Samstag startet die deutsche Eishockeynationalmannschaft mit einem Spiel gegen Großbritannien in die Weltmeisterschaft in der Slowakei.
  • Vor Turnierstart hat Neu-Trainer Toni Söderholm mit der ein oder anderen Personalentscheidung überrascht, gerade auf der Torwartposition.
  • Vermutlich wird Philipp Grubauer nach dem Ausscheiden in den NHL-Playoffs mit Colorado Avalanche noch zum Kader dazustoßen.

Von Johannes Schnitzler

Die früher übliche Diskussion, welche Fernsehsendung geguckt wird, ist seit der Erfindung des Streaming beendet. Bei Familie Niederberger in Düsseldorf dürfte man froh darüber sein: Mit sieben Kindern kann ein Zwist über das TV-Programm unschön ausarten. Diesen Sonntag etwa, Muttertag: Lieber "ZDF-Fernsehgarten"? Oder Eishockey bei Sport 1? Papa Andreas, 56, war einst Profi bei der Düsseldorfer EG, Nationalspieler, Sohn Mathias, 26, ist bei der Weltmeisterschaft im Einsatz. Alles klar also? Andererseits ist da Leon, 23, der andere Sohn, ebenfalls Profi bei der DEG wie vor ihm Vater Andreas und Bruder Mathias. Dieser Leon aber spielt nicht bei der WM, sondern hat am Sonntag neben Hansi Hinterseer, PUR und Angelo Kelly seinen ersten großen TV-Auftritt - als Sänger ("More Than A Memory").

Wie gesagt: Die Diskussion darüber hat sich erledigt, zumal der "Fernsehgarten" schon um 11.50 Uhr sein Türchen öffnet, während die Nationalmannschaft bei der WM in der Slowakei erst um 16.15 Uhr gegen Dänemark ran muss. Voll im Gang ist dagegen weiterhin die Diskussion über den Kader, den Bundestrainer Toni Söderholm für dieses WM-Turnier berufen hat. Und darin spielt der Torwart Mathias Niederberger unversehens eine Hauptrolle.

Söderholm spekuliert - mit Erfolg

Die Frage, wer im deutschen Tor stehen soll, wurde in der Zielgruppe noch erregter diskutiert als die, ob NHL-Profi Leon Draisaitl der Super- oder doch der Megastar dieser WM werden wird. Spätestens als Söderholm für die letzte Vorbereitungsphase auf Dennis Endras und Danny aus den Birken, die Schlussmänner der beiden DEL-Finalisten Mannheim und München, verzichtete. Stattdessen hielt er an Niederberger, Niklas Treutle (Nürnberg) und Dustin Strahlmeier (Schwenningen) fest. Top-Torleute in der Liga, aber international eher unerfahren. Na gut, dachten die meisten, wenn Thomas Greiss (New York Islanders) oder Philipp Grubauer (Colorado Avalanche) mit ihren Teams erst mal aus den NHL-Playoffs ausgeschieden sind, dann ist die Frage, wer spielt, eh beantwortet. Dann spielt Grubauer. Oder Greiss.

Aber dann sagte Greiss Anfang der Woche wegen einer Verletzung ab, und Grubauer rettete seine Avalanche ins siebte Viertelfinalspiel, das blöderweise erst in der Nacht zu Donnerstag stattfand - die Nationalmannschaft hob aber bereits am Mittwochmorgen nach Kosice ab. Und so stand auch nach dem 2:5 (2:1, 0:1, 0:3) im letzten Test am Dienstag gegen WM-Gruppengegner USA die Frage unbeantwortet im Raum: Was hat dieser Toni Söderholm nur vor?

Zum Glück für ihn und das deutsche Team flog Grubauer im entscheidenden Spiel mit Avalanche 2:3 gegen die San Jose Sharks raus. Somit kann der Goalie nun mit zur WM fahren, auch wenn er in den ersten zwei Spielen am Wochenende wahrscheinlich nicht zum Einsatz kommt. DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel wollte am Donnerstagabend Kontakt mit dem Rosenheimer aufnehmen; sollte Grubauer zusagen, müsste sein Klub noch grünes Licht geben. Söderholms Plan scheint also tatsächlich aufzugehen.

Die Nationalspieler hatten in vier Wochen WM-Vorbereitung Gelegenheit, sich ein Bild von ihrem neuen Bundestrainer zu machen. Im Januar hat der Finne Söderholm, 41, das Amt von Marco Sturm übernommen, der Überfigur, dem Vater des größten Erfolgs in der deutschen Eishockey-Geschichte, der olympischen Silbermedaille von Pyeongchang. Sturm ging danach in die NHL, wo die besten Deutschen spielen, von denen nun aus gegebenem Anlass aber nur Draisaitl (Edmonton), Dominik Kahun (Chicago) und Korbinian Holzer (Anaheim) am Mittwoch mit im Flieger saßen. Holzer sagte neulich, Söderholm sei Sturm recht ähnlich: "Er hat nicht alles über den Haufen geworfen, aber ein paar kleine, effektive Änderungen vorgenommen." Holzer meinte das Spielsystem. Nicht die Besetzung der Torhüterposition.

Der ehemalige Verteidiger Söderholm, 2007 WM-Silbermedaillen-Gewinner mit Finnland, hat noch ein paar Überraschungen mehr in seinen 25-Mann-Kader gepackt. Benedikt Schopper etwa, Abwehrspieler von den Straubing Tigers, der mit 34 erstmals zu einer WM fährt. "Wenn mir das vor ein paar Wochen jemand gesagt hätte, hätte ich ihn für verrückt erklärt", sagte Schopper. Oder Moritz Seider: Das größte deutsche Verteidigertalent seit Andreas Niederberger, mindestens, debütierte gegen die USA und fährt nun mit 18 Jahren und der Erfahrung von exakt einem Länderspiel zur WM. Stattdessen ließ Söderholm den Augsburger Simon Sezemsky zu Hause, über den er sagt, er sei "im Powerplay eine Waffe". Ein Widerspruch?

Natürlich nicht. Genau wie Sturm ist Söderholm davon überzeugt, dass die besten Einzelspieler nicht immer die beste Mannschaft ergeben und selbst Ausnahmespieler wie Draisaitl "auch nur ein Teil der Mannschaft" sind. Auf die Absage von Greiss reagierte der Finne so: "Wie lange sollen wir traurig sein, weil ein Spieler nicht dabei ist? Wir müssen vorwärts gehen." Mit Niederberger, Treutle und Strahlmeier "sind wir auch gut besetzt". Letztlich gehe es darum, dass die Mannschaft als Einheit funktioniere: "Wir müssen schauen, dass so viele Spieler wie möglich die richtigen Rollen finden. Wir sind von den Spielern, die wir mit in die Slowakei nehmen, überzeugt." Ziel ist das Viertelfinale und die Qualifikation für Olympia 2022.

Der Test gegen die USA zeigte, dass noch nicht alle ihre Rolle gefunden haben. Das 1:0 für das DEB-Team erzielte der Mannheimer Markus Eisenschmid nach einem Zauberpässchen von Draisaitl, das 2:1 Kahun auf Vorlage von Seider. Danach aber offenbarten die Deutschen nach Scheibenverlusten Lücken, das Umschalten auf Defensive klappte bei Weitem nicht so gut wie das Offensivspiel. "Wir haben im ersten Drittel gut gespielt. Danach haben wir nicht sauber zurückgearbeitet. Wir müssen noch einiges lernen", sagte Söderholm. "Wir haben sehr viel Talent, ganz tolle Individualspieler. Aber wir müssen einfach begreifen, dass das Spiel ohne Scheibe genauso wichtig ist", mahnte Verteidiger Moritz Müller, den der Trainer zum neuen Kapitän berufen hat. "Es war wichtig, dass wir noch so ein Spiel hatten", fand Dominik Kahun. "Das öffnet ein bisschen die Augen."

Und da war sie dann wieder, die Frage, warum Söderholm, wenn schon Greiss und der ebenfalls verletzte aus den Birken nicht zur Verfügung stehen, auf Dennis Endras verzichtet, von dem Moritz Seider im Playoff-Finale noch geschwärmt hatte: "Es ist ein gutes Gefühl, wenn du weißt, dass du so einen hinten drin hast. Unglaublich, wie oft er uns den Arsch gerettet hat." Noch hat Söderholm die Option, Spieler nachzumelden. Er meinte aber offenkundig nicht Endras, als er kürzlich sagte: "Die, die jetzt noch kommen, müssen eine Verstärkung sein." Grubauer wäre so eine Verstärkung. "Er ist Weltklasse", sagt Söderholm.

Und damit, mehr als Erinnerung, noch ein Fernsehtipp für die ganze Familie: Am Samstag, 16.15 Uhr, trifft die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft zum WM-Auftakt in Kosice auf Aufsteiger Großbritannien. Vermutlich mit Mathias Niederberger im Tor. Oder Niklas Treutle.

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SZ vom 09.05.2019
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