Eishockey-WM:Silber ist diesmal weit weg

Ice Hockey - International Friendly -  Denmark v Germany

Diesmal von Anfang an dabei: NHL-Profi Leon Draisaitl (hier beim Test gegen Auftaktgegner Dänemark) steht im Zentrum des deutschen Spiels.

(Foto: Claus Fisker/Reuters)
  • Bundestrainer Marco Sturm beruft für die Eishockey-WM Nachwuchsprofis aus den amerikanischen Minor Leagues.
  • Acht Spieler stehen vor ihrer ersten WM-Teilnahme, einer sogar vor dem Länderspiel-Debüt.
  • Leon Draisaitl ist mit dabei, andere NHL-Profis wie Grubauer und Kühnhackl stehen noch in den Playoffs.

Von Johannes Schnitzler

Laval Rocket. San Jose Barracuda. Wheeling Nailers. Minnesota State. Namen und Klubs, die einem wenig sagen. Im Grunde: nichts. Ähnlich müssen für amerikanische Ohren Gelsenkirchen, Mönchengladbach oder Wolfsburg geklungen haben, Orte, von denen der damalige Nationaltrainer Jürgen Klinsmann Spieler in die US-Auswahl im Fußball berief. Spieler wie Jermaine Jones, Fabian Johnson oder John Anthony Brooks. Bundesliga-Profis, die in Amerika niemand kannte, die aber unverzichtbar waren, um das US-Team auf internationales Niveau zu hieven.

Mit dem ehemaligen FC-Bayern-Profi Klinsmann ist Marco Sturm zu Beginn seiner Zeit als Eishockey-Bundestrainer oft verglichen worden. Beide waren als Spieler Idole, beide kamen ohne einschlägige Erfahrung ins höchste nationale Traineramt. Unterschied eins: Klinsmann konnte seine Entwicklungshelfer aus einer der besten Ligen der Welt rekrutieren. Sturm hat für die Eishockey-Weltmeisterschaft (4. bis 20. Mai) den Mittel- und Unterbau des nordamerikanischen Ligasystems durchstöbert, die AHL, die ECHL, die College- und Farmteams der großen Organisationen aus der National Hockey League (NHL). Und Spieler wie Markus Eisenschmid (Laval), Manuel Wiederer (San Jose), Frederik Tiffels (Wheeling) und Marc Michaelis (Minnesota) gefunden. Unterschied zwei: Fußball- und FCB-Fan Sturm hatte damit bislang Erfolg.

Ohne 15 Olympia-Medaillengewinner von Pyeongchang tritt Deutschland in Dänemark an, teils weil sie zurückgetreten sind (Ehrhoff, Goc, Reimer), teils aus Verletzungsgründen, teils weil Sturm auf sie verzichtet. Statt der zehn Spieler, die in Südkorea dabei waren, kann der Bundestrainer nur noch über fünf Spieler der beiden DEL-Finalisten München und Berlin verfügen. Dass er gleich ein Quartett aus den amerikanischen Minor Leagues beruft, gehorcht also einerseits der Personalnot. Andererseits verfolgt Sturm einen Plan. Und der lautet: "Wir müssen jünger werden." So hatte es der 39-Jährige nach der Silber-Sensation selbst formuliert: "Bei Olympia waren wir die älteste Mannschaft. Das funktioniert vielleicht einmal. Aber kein zweites oder drittes Mal."

Acht Spieler sind erstmals bei einer WM dabei, Wiederer ohne ein einziges Länderspiel. Mangels Breite und Tiefe des nationalen Liga-Reservoirs sei "die eine oder andere Nominierung jetzt vielleicht früher gekommen als erwartet", sagte Sturm vor dem Turnierauftakt am Freitag (20.15 Uhr) gegen Gastgeber Dänemark. Ein Qualitätsverlust? Möglich. Gleichwohl verzichtet Sturm auf Fabio Pfohl, Maximilian Kammerer und Phil Hungerecker, die Nachwuchsspieler der Deutschen Eishockey Liga (DEL) in den Jahren 2016, 2017 und 2018. Er sieht die Amerika-Legionäre einen Schritt weiter.

Sturms Überraschungsspieler könnte Marc Michaelis sein

Sturm baut - wie einst Klinsmann mit Odonkor - auf den Überraschungseffekt. "Es wäre doch schön, wenn wir wieder so eine Story hätten wie mit Freddy Tiffels bei der WM 2017", sagt Sturm. Sein Tiffels 2018 heißt Marc Michaelis. Der 22-Jährige spielt für die Minnesota State University in der College-Liga NCAA, aus der im vergangenen Jahr auch Tiffels Anlauf zu einer WM-Teilnahme und einem NHL-Vertrag in Pittsburgh nahm. In der Vorbereitung schoss Michaelis drei Tore. Vor allem aber beeindruckte er Sturm mit seiner Geschwindigkeit und Handlungsschnelligkeit. Der echte Tiffels, obwohl von Pittsburgh zur Weiterentwicklung in die drittklassige ECHL verschickt, ist auch wieder mit dabei. Nicht zuletzt, weil er der beste Freund von Leon Draisaitl ist.

Wie Michaelis und der Münchner Dominik Kahun spielte Tiffels mit seinem Kumpel aus Kölner Kindertagen einst im Nachwuchs zusammen. Bei der WM sollen sie nun wieder gemeinsam wirbeln und NHL-Crack Draisaitl bei Laune halten. 2017, als der beste deutsche Eishockeyspieler nach dem Playoff-Aus seiner Edmonton Oilers ins laufende Turnier einstieg, musste er nach überschäumendem Lob für sein Debüt gegen harmlose Italiener erleben, wie schnell Vorschusslorbeer verwelken kann.

Gegen Lettland und im Viertelfinale gegen Kanada blieb der 22-Jährige hinter den immensen Erwartungen zurück, auch, weil viele seiner Ideen verpufften - die Kollegen waren gedanklich und körperlich nicht fix genug für Draisaitls Geistesblitze. Mit den Speedskatern Michaelis, Tiffels und Kahun, der nächste Saison in Chicago selbst in die NHL-Elite aufsteigen will, stehen ihm nun gleichaltrige Spielgefährten zur Verfügung. Nachdem die Oilers trotz Draisaitls 70 Scorerpunkten die Playoffs verpasst hatten, stieß er diesmal bereits während der Testphase zum Nationalteam und deutete mit sieben Scorerpunkten in drei Spielen sein Potenzial an. Er habe wohl genügend Zeit gehabt, sich an "das Niveau der anderen" zu gewöhnen, scherzte der Kölner Moritz Müller.

Mit Draisaitl unter die besten acht der Welt

Draisaitl ist der Schlüsselspieler in Sturms System, der "Chef auf dem Eis", wie der Trainer sagt: "Wir dürfen nur nicht alles auf ihn schieben." So wie 2017, meint er. Deshalb sollen die anderen NHL-Profis möglichst viel Verantwortung übernehmen, die Verteidiger Dennis Seidenberg, 36, und Korbinian Holzer, 30, die zuletzt allerdings wenig Spielpraxis hatten. Seidenberg, 2017 zum besten Abwehrspieler der WM gewählt, bestritt für die New York Islanders gerade einmal 28 Saisonspiele, sein Vertrag läuft aus; Holzer kam für Anaheim sogar nur 16 Mal zum Einsatz. In Torhüter Philipp Grubauer (Washington) oder Stürmer Tom Kühnhackl (Pittsburgh) könnte ein weiterer NHL-Profi nachrücken, sobald ihr direktes Playoff-Duell entschieden ist.

Den nach der Silbermedaille keimenden Hoffnungen auf einen WM-Titel erteilt Sturm eine Absage: "Wir müssen Olympia abhaken." Zumal anders als bei den Winterspielen nahezu alle Teams auf NHL-Profis zurückgreifen können. Das Halbfinale halten zwar viele für erreichbar, denn zunächst geht es gegen Dänemark, Norwegen, USA, Südkorea und Lettland. Danach aber warten in den letzten Gruppenspielen die Favoriten Finnland (13. Mai) und Kanada (15. Mai), deshalb sagt Sturm, das Halbfinale sei "ziemlich weit weg". Die letzten Testspielergebnisse (3:4 nach Verlängerung gegen Dänemark, 4:3 gegen Aufsteiger Südkorea) bestätigten ihn: "Wir müssen uns wieder hinten anstellen."

Obwohl er am Dienstag auch noch Marcel Müller (Knieverletzung) streichen musste, glaubt Sturm, eine "gute Mischung" gefunden zu haben. Immerhin leistet er sich den Verzicht auf gestandene Nationalspieler wie Dennis Endras, Justin Krueger und Konrad Abeltshauser, nach Abschluss der Vorbereitung auch auf den Mannheimer Sinan Akdag - so wie vor den Olympischen Spielen. Erst als sich dessen Klubkollege Denis Reul damals verletzte, rückte der Verteidiger nach - und gehörte zu den Silber-Gewinnern.

Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), sagt: "Marco Sturm hat den prognostizierten Umbruch eingeleitet. Diese WM wird eine große Herausforderung. Aber wir stehen hinter dieser jungen Mannschaft." Das Ziel, sagt Sturm, sei "unter den besten acht der Welt zu bleiben", sprich: das Viertelfinale. Wie der ehemalige Bäckerlehrling Klinsmann weiß auch der Bundestrainer, dass Teig Zeit zum Gehen braucht. Perspektive ist wichtiger als Retrospektive.

Kader und Termine der deutschen Eishockey-Auswahl bei der WM in Dänemark

Nr. Name Klub Alter / Länderspiele

Torhüter

31 Niklas Treutle (Nürnberg) 27 / 11

35 Mathias Niederberger (Düsseldorf) 25 / 19

51 Timo Pielmeier (Ingolstadt) 28 / 46

Verteidiger

5 Korbinian Holzer (Anaheim) 30 / 45

24 Dennis Seidenberg (New York) 26 / 66

32 Oliver Mebus (Nürnberg) 25 / 12

36 Yannic Seidenberg (München) 34 / 155

40 Björn Krupp (Wolfsburg) 27 / 39

41 Jonas Müller (Berlin) 22 / 21

67 Bernhard Ebner (Düsseldorf) 27 / 38

91 Moritz Müller (Köln) 31 / 132

Stürmer

21 Nicolas Krämmer (Köln) 25 / 40

22 Matthias Plachta (Mannheim) 26 / 72

27 Sebastian Uvira (Köln) 25 / 24

29 Leon Draisaitl (Edmonton) 22 / 38

42 Yasin Ehliz (Nürnberg) 25 / 61

50 Patrick Hager (München) 29 / 130

58 Markus Eisenschmid (Laval) 23 / 3

59 Manuel Wiederer (San Jose) 21 / 0

61 Mirko Höfflin (Schwenningen) 25 / 19

65 Marc Michaelis (Minnesota) 22 / 8

72 Dominik Kahun (München) 22 / 45

86 Daniel Pietta (Krefeld) 31 / 97

92 Marcel Noebels (Berlin) 26 / 53

95 Frederik Tiffels (Wheeling) 22 / 21

Gruppeneinteilung

Gruppe A in Kopenhagen

Russland, Schweden, Tschechien, Schweiz, Weißrussland, Slowakei, Frankreich, Österreich

Gruppe B in Herning

Kanada, Finnland, USA, Deutschland, Norwegen, Lettland, Dänemark, Südkorea Spielplan der deutschen Mannschaft

Freitag, 4. Mai, 20.15: Deutschland - Dänemark

Sonntag, 6. Mai, 16.15: Deutschland - Norwegen

Montag, 7. Mai, 16.15: USA - Deutschland

Mittwoch, 9. Mai, 16.15: Deutschland - Südkorea

Samstag, 12. Mai, 12.15: Lettland - Deutschland

Sonntag, 13. Mai, 20.15: Deutschland - Finnland

Dienstag, 15. Mai, 16.15: Kanada - Deutschland

Modus: Gruppen-1.-4. im Viertelfinale

Weitere Termine

Viertelfinale: Donnerstag, 17. Mai

Halbfinale: Samstag, 19. Mai

Finale: Sonntag, 20. Mai

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