Eishockey-WM:"Jeder muss seine Rolle akzeptieren"

Das deutsche Team hat seit dem Olympia-Silber einen anderen Ruf. Marcel Noebels über den Ehrgeiz des Teams, die Auftaktsiege - und die neue Lust, im Mai auf Eis zu stehen statt am Strand zu liegen.

Interview von Johannes Schnitzler

Medientag des Deutschen Eishockey-Bundes bei der WM in der Slowakei, Journalisten treffen Spieler im Mannschaftshotel, es gibt Listen, wer mit wem sprechen möchte. Marcel Noebels, 27, Stürmer der Eisbären Berlin, ist der Letzte in der Reihe. "So, endlich fertig?", sagt er, grinst, als er dran ist und fügt an: "Ja, ja, der Holzi (NHL-Profi Korbinian Holzer, Anm.) erzählt immer gerne." Noebels, einer der Silbergewinner von Pyeongchang, stand mit der Nationalmannschaft vergangenes Jahr im Olympiafinale, gerade spielt er seine fünfte WM. Ein Gespräch über Geduld, Talent und Verantwortung, die Lehren aus Olympia, und warum es manchmal wichtiger ist, ein Tor zu verhindern als eines zu schießen.

SZ: Marcel Noebels, der Spielplan dieser WM verläuft wie eine kontinuierlich ansteigende Rampe: erst vier Spiele gegen sogenannte Gegner auf Augenhöhe, dann Kanada, USA und Finnland. Fast wie im vergangenen Jahr. Damals hat Deutschland das Viertelfinale verpasst. Diesmal war zumindest der Start besser, oder?

Marcel Noebels: Klar, sechs Punkte aus den ersten beiden Spielen, dann sitzt du da und sagst: alles gut. Aber wir werden uns steigern müssen, wenn wir ins Viertelfinale wollen.

In welcher Hinsicht?

Tschechien in der anderen Gruppe hat zum Beispiel einen Riesenschritt gemacht, die Slowakei (am Mittwoch um 20.15 Uhr Gegner der deutschen Mannschaft) hat mich überzeugt in ihren drei Spielen, und über die großen Nationen brauchen wir nicht zu reden. Die haben immer Qualität und sind sehr gut besetzt. Deshalb müssen wir sehen, dass wir uns weiter pushen.

Welche Qualitäten hat die deutsche Mannschaft?

Denmark v Germany: Group A - 2019 IIHF Ice Hockey World Championship Slovakia

Lohn der Arbeit: Die deutsche Auswahl trifft in der ersten Phase der WM in der Slowakei auf hartnäckige Verteidiger – hier gelingt Frederik Tiffels das zweite Tor gegen Dänemark.

(Foto: Martin Rose/Getty Images)

Wir haben durch die letzten zwei, drei Jahre an Stellenwert gewonnen. Wir sind keine Mannschaft mehr, die die anderen auf die leichte Schulter nehmen. Viele andere Mannschaften wissen, dass es gegen uns schwer wird, wenn sie nicht ihre beste Leistung abrufen. Und so soll es sein. Den Respekt haben wir uns verdient und den wollen wir uns auch weiter erarbeiten.

Noch vor einigen Jahren galt als erste Pflicht: nicht verlieren. Marco Sturm (Bundestrainer von 2015 bis 2018) hat diesem Team dann den Glauben implantiert, dass es auch etwas gewinnen kann. Sehen wir nun den nächsten Schritt in einer Entwicklung - oder lediglich die glückliche Fügung, dass in diesem Team Ausnahmespieler wie Leon Draisaitl, Dominik Kahun und Philipp Grubauer stehen?

Ein bisschen was von beidem. Die Entwicklung hat 2016 bei der Olympia-Qualifikation in Lettland angefangen, würde ich sagen. Der Kern der Mannschaft hat sich mit Olympia-Silber was erarbeitet und sich auch international noch mal gesteigert. Wenn man sieht, wen wir jetzt dabei haben: Da ist kein Spieler, der nichts mit der Scheibe anfangen kann. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals dieses Luxusproblem an Qualität, Tempo und Talent hatten. Die Herausforderung ist jetzt, das auch ins Kämpferische umzusetzen, in Wille und Geduld, wie gegen Großbritannien. Wenn wir alle an einem Strick ziehen, ist es schwer, uns zu schlagen. Trotzdem wird es immer wieder Rückschläge geben.

Sie sind seit 2013 Nationalspieler. Jedes Jahr nach der Saison noch eine WM: Macht das jetzt mehr Spaß als früher?

Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, ob es euch mehr Spaß macht, über positive Ergebnisse zu schreiben oder über negative. Aber wenn ich als Verlierer vom Eis gehe, macht es mir weniger Spaß, als wenn ich gewonnen habe. Zuletzt hat es mehr Spaß gemacht, das alles in Kauf zu nehmen, sich nach einer langen Saison noch einmal zu motivieren, vielleicht noch mal zwei Monate länger zu spielen als die anderen. Wenn ich auf mein Handy schaue: Der eine liegt in Griechenland, der andere in Spanien am Strand. Wir sind hier. Und wir wollen auch hier sein. Im Mai noch Eishockey spielen zu dürfen, ist ein Privileg. Eine Ehrensache. Wir wollen das deutsche Eishockey voranbringen. Wenn wir vom Trainerstab auserwählt sind, die beste Mannschaft zu sein, will ich gerne meinen Beitrag leisten.

Marcel NOEBELS DEB 92 no helmet ohne helm singt singen Hymne Nationalhymne Song Deutschlandli

66 Länderspiele, 276 Liga-Einsätze: Marcel Noebels, 27.

(Foto: Peter Schatz/imago)

Bundestrainer Toni Söderholm hat bei seiner Auswahl auf vier möglichst ausgeglichene Sturmreihen geachtet, mit Draisaitl und Kahun in den ersten beiden Reihen. Sie spielen in der vierten, das ist nominell die defensivste, die viel in Unterzahl spielen muss. Finden Sie sich in dieser Rolle wieder?

Das kann man, glaube ich, sehen. Wir haben viel Verantwortung, wenn es darum geht, ein Tor zu verhindern. Momentan ist das vielleicht sogar mehr wert, als ein Tor zu schießen.

Weil die Spiele so eng sind?

Und weil die Erwartungshaltung so hoch ist. Wer sich mal in meine Schlittschuhe setzen möchte: Das ist schon schwer, wenn man weiß, dass man jetzt wie beim 2:1 gegen Dänemark kurz vor Schluss keins mehr kassieren darf. Insofern ist es schon auch eine Form der Wertschätzung durch den Trainer, wenn man diese Verantwortung bekommt. Darüber haben wir auch offen gesprochen.

In Berlin haben Sie eine sehr viel offensivere Rolle. Sind Sie in der vierten Reihe nicht etwas unterbesetzt?

Klar, ich verteile gerne Scheiben, gebe Vorlagen, setze gerne andere Spieler ein. Aber wenn man als Mannschaft Erfolg haben will, ist es wichtig, dass alle ihre Rolle akzeptieren. Ich akzeptiere meine zu hundert Prozent. Es gibt bestimmt auch wieder Tage, an denen der Trainer zu mir sagt: Marcel, wird Zeit, dass du mal was kreierst. Wir haben in Stefan Loibl oder Marc Michaelis junge, schnelle Spieler, die auch im Powerplay spielen könnten - tun sie aber nicht. In den ersten Spielen haben sie gar nicht gespielt. Oder Jonas Müller, der bestimmt kein schlechter Verteidiger ist. Auch sie akzeptieren ihre Rollen. Da ist keiner beleidigt. Olympia war das beste Beispiel dafür, dass es nur so funktioniert.

Ice Hockey World Championships - Group A - Germany v France

Lässt sich nicht verschaukeln: Philipp Grubauer (rechts) bleibt gelassen gegen Valentin Claireaux. Der NHL-erprobte deutsche Torhüter hatte seinen ersten WM-Auftritt, musste aber wegen muskulärer Probleme im zweiten Drittel angeschlagen vom Eis. Das deutsche Team gewann gegen Frankreich dennoch recht klar mit 4:1 (1:0, 2:1, 1:0) und hat nach dem dritten Sieg im dritten Spiel gute Chancen, das Viertelfinale zu erreichen.

(Foto: David W. Cerny/REUTERS)

Nach den ersten Siegen waren aus der Mannschaft auch selbstkritische Stimmen zu hören. Was muss besser werden?

Gegen Mannschaften mit größerer Qualität als Dänemark oder Großbritannien wird unsere Leistung sicher nicht reichen, um zu punkten.

Der Bundestrainer hat gesagt, die größte Gefahr sei, dass die Mannschaft in ein mentales Loch fällt, dass sie zu selbstsicher ist. Dominik Kahun meinte: "Dafür sind wir zu clever." Was meinen Sie?

Das weiß ich nicht. Ich kenne jetzt leider nicht von jedem den IQ (lacht). Wir haben bestimmt ein paar Experten dabei, die denken, sie wären schlau. Aber Spaß beiseite: Wir wissen alle, dass das nicht unser Maßstab ist, was wir in den ersten Spielen gezeigt haben. Gegen die Slowaken werden wir alles abrufen müssen.

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