Eishockey-Weltmeister USAEine laute Nacht beginnt ganz leise

Lesezeit: 4 Min.

„Es war sogar noch besser, als ich es mir vorgestellt habe“: Tage Thompson, Siegtorschütze für die USA, mit dem WM-Pokal.
„Es war sogar noch besser, als ich es mir vorgestellt habe“: Tage Thompson, Siegtorschütze für die USA, mit dem WM-Pokal. (Foto: Magnus Lejhall/TT/AP/dpa)

Mit einer rührenden Geste gedenkt der neue Eishockey-Weltmeister aus den USA des tödlich verunglückten NHL-Profis Johnny Gaudreau. Für die Schweiz bleibt zum vierten Mal nacheinander Silber.

Von Johannes Schnitzler

Der Schütze des goldenen Tores schwärmte wie ein verliebter Teenager. „Es war eine Nacht wie aus einem Film“, sagte Stürmer Tage Thompson, „es war sogar noch besser, als ich es mir vorgestellt habe.“ Für die allermeisten Amerikaner war es ja auch ein erstes Mal: das erste Mal, dass eine amerikanische Männer-Eishockeymannschaft zu ihren Lebzeiten Weltmeister wird. Aus dem Jahr 1960, als der Olympiasieger noch automatisch auch zum Weltchampion erklärt wurde, datierte der bislang letzte Titel, der einzige in einem Finale gewonnene, reicht sogar noch weiter zurück bis ins Jahr 1933. Für die USA endete in Stockholm je nach Sichtweise also eine 65 oder gar 92 Jahre lange Durststrecke, zwölfmal nacheinander waren sie zuletzt im Halbfinale gescheitert.

Wenn diese Nacht wie aus einem Film war, dann müsste er heißen: „Es war einmal in Schweden“. Nach zwei Minuten und zwei Sekunden der Verlängerung machte Thompson aus einem Drama das Märchen von Stockholm: Die Amerikaner gewannen 1:0 gegen die Schweiz, für die es im vierten Anlauf nach 2013, 2018 und 2024 wieder bei Silber blieb. Bei ihrer Siegesfeier war nichts mehr zu hören vom Ärger aus der Gruppenphase, als das fast ausschließlich mit NHL-Profis bestückte US-Team lautstark über die Umstände in der Messehalle im dänischen Herning geklagt hatte: mieses Essen, mieses Eis und Kabinen, die wie Kulissen in einem billigen Spaghettiwestern zusammengenagelt waren. Es gab nur eine Handvoll Duschen für 25 Mann, wer zu lange Interviews gab, musste sich kalt abbrausen.

Golden Boys: Das US-Team feiert die Goldmedaille. Mittendrin das Trikot mit der Nummer 13 als Erinnerung an den tödlich verunglückten Johnny Gaudreau.
Golden Boys: Das US-Team feiert die Goldmedaille. Mittendrin das Trikot mit der Nummer 13 als Erinnerung an den tödlich verunglückten Johnny Gaudreau. (Foto: Petr David Josek/AP/dpa)

Die „US-Boys“ stellten bei dieser WM das jüngste Team und in Ryan Warsofsky, 37, im Alltag Trainer der San Jose Sharks in der NHL, den jüngsten Chefcoach. Umso bemerkenswerter starteten sie ganz leise in diese Nacht des Jubels. Vor der Pokalübergabe war Kapitän Clayton Keller in die Kabine gefahren und hatte das Trikot mit der Nummer 13 geholt, das Trikot von Johnny Gaudreau. Das Trikot legte er dem Pokal um, ganz behutsam, zärtlich fast, wie eine letzte Umarmung. Gaudreau, 31, fünfmaliger WM-Teilnehmer von den Columbus Blue Jackets, und sein Bruder Matthew waren am 29. August 2024 tödlich verunglückt, als ein betrunkener Autofahrer sie von ihren Fahrrädern rammte. Die Geste erinnerte an die Meisterfeier der Berliner Eisbären, die vor wenigen Wochen auf ähnliche Weise ihres an den Folgen einer Krebserkrankung gestorbenen Mitspielers Tobias Eder gedacht hatten.

Für die Schweizer dagegen endete das Finale wie im vergangenen Jahr (0:2 gegen Tschechien) mit einer Enttäuschung. „Es hat wieder nicht gereicht, das schmerzt extrem“, sagte Andres Ambühl. „Wir wollten den nächsten Schritt machen.“

Ambühl hätte eine Sportgeschichte à la Hollywood vollenden können, Kitsch as Kitsch can: Am selben Ort, wo er 2013 bereits einmal WM-Silber gewonnen hatte, kämpfte der 41-Jährige im letzten Spiel seiner Karriere noch einmal um Gold. Es war seine 20. WM-Teilnahme, sein 352. Länderspiel, seine 151. Partie bei einer Weltmeisterschaft – alles Weltrekorde. Nun tritt der „Büeli“, der Bauernbub aus Davos, als Unvollendeter von der Bühne ab.

Andres Ambühl bei der Eishockey-WM
:Hattrick mit 41

Der Schweizer Andres Ambühl spielt seine 20. Eishockey-Weltmeisterschaft. Seinen vielen Rekorden fügt er in Dänemark einen weiteren hinzu – und wird von den Teamkollegen überrumpelt.

Von Johannes Schnitzler

Leonardo Genoni, 37, sprach vom „brutalstmöglichen Ende“ eines Spiels, das er je erlebt habe. Der Torhüter des EV Zug war bis zu Thompsons Treffer 243 Minuten lang ohne Gegentor geblieben – WM-Bestwert. Während des Turniers gelangen ihm vier Shutouts, womit er den 47 Jahre alten Weltrekord des Tschechen Jiri Holecek von WM-Spielen ohne Gegentor (12) egalisierte. Natürlich hielt Genoni auch im Finale alles, was auf sein Tor kam, darunter einen Penalty von Conor Garland  (26.). 39 Schüsse waren es am Ende – erst der 40. in der Verlängerung war drin.

Und wieder stehen die anderen im Goldregen: Patrick Fischer hat zum dritten Mal als Schweizer Cheftrainer ein WM-Finale erreicht – und verloren.
Und wieder stehen die anderen im Goldregen: Patrick Fischer hat zum dritten Mal als Schweizer Cheftrainer ein WM-Finale erreicht – und verloren. (Foto: Andrea Branca/justpictures.ch/Imago)

Bis zum Finale hatten die Schweizer nur eine Niederlage erlitten, zum Auftakt mit 4:5 nach Verlängerung gegen Titelverteidiger Tschechien. Es folgten acht Siege, darunter ein 3:0 gegen die USA, das 5:1 gegen Deutschland sowie zwei glatte Triumphe im Viertelfinale gegen Österreich (6:0) und Halbfinale gegen WM-Co-Gastgeber Dänemark (7:0). Kein Team hat bei dieser WM mehr Treffer erzielt als die Schweiz (47). Ausgerechnet im Finale gelang der Mannschaft von Patrick Fischer aber wie im Vorjahr kein einziges Törchen.

Was das deutsche Team von den Schweizern lernen kann

Für das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), erstmals seit 2018 – und auch damals in Herning – nach der Vorrunde ausgeschieden, blieb von diesem Turnier nur ein Erfahrungsgewinn. „Ein Lerneffekt für uns muss sein, dass man sich nicht nur um den Ticketverkauf bei eigenen Teams kümmert und mit einer gewissen Zahl zufrieden ist“, sagte DEB-Sportdirektor Christian Künast im Hinblick auf die WM 2027 in Düsseldorf und Mannheim. „Ich nenne jetzt nur das Beispiel Schweiz gegen Norwegen: 4000 Zuschauer. Für eine WM, wo die Spieler alles geben, wäre es halt schöner, wenn ein bisschen mehr Atmosphäre wäre bei allen Spielen.“

In Herning und auch in Stockholm blieben viele Sitze leer, wenn nicht gerade Dänemark oder Schweden spielten. Nach dem 2:6 der Schweden im Halbfinale gegen die USA brachen die Preise für das Endspiel um bis zu 90 Prozent ein, viele Karteninhaber wollten ihre Tickets schleunigst loswerden. Und dann war da ja noch die Sache mit dem brüchigen Eis in Herning. „Fairerweise muss man sagen, dass reagiert wurde“, sagte Künast. Besser wäre es aber gewesen, „dass man das Eis nicht einen Tag macht, bevor die Teams kommen, sondern zehn Tage, dann ist es nahezu perfekt“.

Und sportlich? War trotz der Finalniederlage die Schweiz das Team, an dem sich die Mannschaft von Bundestrainer Harold Kreis orientieren kann. Während die deutschen NHL-Profis zu hohe Ansprüche an sich selbst stellten, fügten sich die Schweizer NHL-Legionäre nahtlos in das Konzept der „Nati“ ein. Anders als das DEB-Team kompensierten die Schweizer die Verletzung ihres Kapitäns Nico Hischier, weil andere wie Veteran Ambühl als soziales Bindemittel wirkten. Der DEB-Auswahl schienen ohne ihren Hütehund Moritz Müller, 38, und NHL-Vorzeigeprofi Nico Sturm in diesem Jahr die Klammern zu fehlen. Viele Spieler vermochten ihre Leistungen aus der nationalen Liga nicht auf das internationale Niveau anzuheben. Anders als bei den Schweizern etwa die Torjäger Sven Andrighetto (Zürich/7 Treffer) und Damien Riat (Lausanne/6), Topscorer Tyler Moy (Rapperswil-Jona) oder, vor allem, Leonardo Genoni, der als wertvollster Spieler dieser WM geehrt wurde.

Der Blick der Schweizer richtet sich nun auf 2026, wenn die Olympischen Spiele in Italien stattfinden – und danach die Heim-WM in Zürich und Fribourg. „Wir werden zurückkommen und einmal das Endspiel gewinnen“, kündigte Genoni an. Der Torhüter klang dabei wie eine recht bekannte Filmfigur.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Schweizer Eishockey-Nationaltrainer Fischer
:„Es gibt Menschen, die nicht nur Gutes über mich denken“

Das Duell zwischen Deutschland und der Schweiz gehört zu den großen Rivalitäten im Eishockey. Patrick Fischer, Trainer der Schweizer „Nati“, spricht über das Ziel Gold, deutsche Arroganz und seine innere Reise zur Spiritualität.

SZ PlusInterview von Johannes Schnitzler

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: