Deutschland bei der Eishockey-WM:Warten auf die Pannenhilfe

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Nico Sturm war auch bei der vergangenen WM in Finnland dabei - ob der NHL-Stürmer am Mittwoch gegen Lettland wieder einsatzfähig ist, entscheidet sich erst am Spieltag. (Foto: Pavel Golovkin/dpa)

Nach den deutlichen WM-Niederlagen gegen die USA und Schweden soll Nico Sturm das deutsche Eishockeyteam gegen Lettland wieder auf Kurs Viertelfinale bringen. Der NHL-Profi musste zuletzt zweimal mit einer Knieverletzung passen.

Von Johannes Schnitzler

Das erste Überholmanöver ist ein Peter-Parker-Moment im Leben jedes Fahrschülers und jeder Fahrschülerin: Aus großer PS-Kraft erwächst große Verantwortung. Also, liebe Spidermädchen und -buben, wie war das damals, Thema "Überlandfahrt"? Wer zum Überholen ansetzt, muss zuvor nach hinten schauen.

Bundestrainer Harold Kreis und die deutschen Eishockey-Nationalspieler schauten am Montagabend im Rückspiegel auf zwei qualmende Havarien bei der WM in Tschechien. 1:6 gegen die USA, 1:6 gegen Schweden, Ergebnisse wie beim Tennis. Aber eine Eishockey-Weltmeisterschaft ist kein Spiel auf zwei Gewinnsätze. Eher eine Landstraße, auf der alle paar Kilometer ein anderer die Fahrspur blockiert. An diesem Mittwoch (16.20 Uhr, Pro Sieben und Magentasport) ist es Lettland, das im vergangenen Jahr erstmals überhaupt eine WM-Medaille gewann (Bronze). Auch kein tuckernder Traktor, den man mal eben mit einem kleinen Kick aufs Gaspedal hinter sich lässt.

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Ein Sieg gegen den Weltranglistenzehnten ist fast schon Pflicht, wenn das deutsche Team ins Viertelfinale will, danach warten Kasachstan, Polen und ... halt! Zweite Lektion: Wer überholen will, darf nicht zu weit vorausschauen. Wer schon aufs Ziel schielt, übersieht womöglich die Baustelle direkt vor der eigenen Stoßstange.

Kreis und seine Spieler versuchten am Montag erst mal, weitere Karambolagen zu vermeiden. Und sagten in jede Kamera, jedes Mikrofon und jeden Reporterblock Sätze zwischen Selbstanklage und Durchhalteparole. Wie ein gütiger Fahrlehrer, dessen Schüler die ersten beiden Stunden verhauen hat, betonte Kreis mehrmals die Stärken seines Teams und dass das letzte Drittel gegen Schweden (1:1) "entscheidend" sei für die weitere Vorgehensweise. "Es ist wichtig, dass wir ein gutes letztes Drittel hatten. Das ist das, was wir ins nächste Spiel tragen." In den beiden ersten Dritteln gab es allerdings nicht allzu viel, was Mut machen könnte. "Wir sind zu Recht zweimal unter die Räder gekommen", sagte Kapitän Moritz Müller. Wie schon gegen die USA seien sie "etwas zu verkopft, ein bisschen zu verkrampft, auch zu abwartend, nicht mutig genug" aufgetreten. "Aber wir können es besser machen", sagte Müller.

Nach drei Spielen hat das deutsche Team bereits 16 Gegentore zugelassen

Wie gegen die USA geriet die deutsche Mannschaft 0:3 in Rückstand, diesmal schon nach 20 Minuten. "Wir haben von Anfang so gespielt, wie wir das wollten", sagte der schwedische Verteidiger Rasmus Dahlin. "Wir haben ihnen komplett die Zeit und den Raum genommen, und das hat uns viele Möglichkeiten in der Offensive gegeben." Unter Druck wurde die deutsche Mannschaft hektisch, verlor die Zuordnung und verstrickte sich zunehmend in Einzelaktionen. Nach nicht einmal 30 Minuten stand es 0:5.

Nach drei Spielen hat das DEB-Team bei dieser WM bereits 16 Gegentore kassiert. Im vergangenen Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt erst die Hälfte. Wie konnten sie nur so weit von ihrem Weg abkommen? "Wir haben eine ganz andere Mannschaft hier als letztes Jahr", sagte Harold Kreis. Was nicht heißen soll: eine schlechtere Mannschaft. Aber eine, die sich und ihre "Identität" erst finden müsse. "Wir können gegen solche Gegner nicht spielerisch mithalten", sagte Marc Michaelis, dessen Reihe mit Yasin Ehliz und Leo Pföderl den einzigen Treffer verantwortete - alle drei fehlten im vergangenen Jahr verletzungsbedingt. "Es ist schön, als Reihe belohnt zu werden", sagte Michaelis. "Aber für das Teamgefühl, da geht man nicht unbedingt positiv aus so einem Spiel."

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Was nun hilft? Das Navi neu zu programmieren. Kapitän Müller vermutet, die Mannschaft trage die Silbermedaille aus dem Vorjahr als "Rucksack" mit sich herum. Dabei sehe die Tabelle "besser aus als letztes Jahr". Immerhin haben sie schon mal die drei Punkte vom Auftaktsieg gegen die Slowakei im Stauraum. "Das ist wichtig, dass wir das in die Köpfe kriegen", sagte Müller. "Wir müssen das Vertrauen in uns selber stärken. Wir müssen mehr auf Sieg spielen, nicht Angst haben zu verlieren. Das ist eine mentale Herausforderung." Und nicht nur zurückschauen. "Jetzt haben wir die Spiele wie letztes Jahr vor der Brust", die Spiele gegen die direkten Konkurrenten um einen der ersten vier Plätze in Gruppe B. Die Spiele, in denen Punkte wahrscheinlicher - nicht: selbstverständlich - sind als gegen top und tief besetzte Kader aus den USA und Schweden. Der Bundestrainer sagt: "Jetzt fängt das Turnier richtig für uns an."

Nicht wundern, wenn Sturm am Mittwoch mit einer orangefarbenen Drehleuchte auf dem Helm aufläuft

Auf Pannenhilfe hoffen sie aus der eigenen Kabine. Nico Sturm, der gegen die USA und Schweden wegen einer Knieverletzung passen musste, soll gegen die Letten wieder dabei sein, irgendwie. Sturm, 29, der NHL-Profi auf dem zweiten Karriereweg, war im vergangenen Jahr erstmals bei einer WM und zog die Mannschaft wie ein Sattelschlepper durchs Turnier. "Der Nico war so ein Gewinn!", sagte Moritz Müller. "Ich kannte ihn vorher gar nicht. Aber allein der Weg, den er gegangen ist in Nordamerika, seine Reise von Augsburg übers College in die NHL, das ist ja einfach bewundernswert. Da weiß man schon, was für ein Typ vor einem steht." Sollte Sturm am Mittwoch mit einer kleinen orangefarbenen Drehleuchte auf dem Helm aufs Eis gehen, man dürfte sich wohl nicht wundern.

Und wenn er nicht spielen kann? Kreis sagte am Montag: "Noch mal: Die letzten zwanzig Minuten gegen Schweden sind entscheidend." Klingt, als kenne er eine Ausweichroute, falls sich der Stau nicht von allein auflösen sollte. "Wir schließen auch nicht erst eine Versicherung ab, wenn das Dach schon brennt." Der umsichtige Fahrer sorgt vor.

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