Deutsche Eishockey-WM-Bilanz:Söderholm fordert Ausbildungsoffensive

Deutsche Eishockey-WM-Bilanz: Toni Söderholm im Gespräch mit den deutschen Nationalspielern - der Coach fordert mehr Power auf dem Eis.

Toni Söderholm im Gespräch mit den deutschen Nationalspielern - der Coach fordert mehr Power auf dem Eis.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Das Nationalteam hat sich trotz Viertelfinal-Aus für den Einbruch bei Olympia rehabilitiert. Eine Medaille bleibt aber weiterhin Wunschtraum, wenn sich in der Nachwuchsförderung nichts ändert.

Von Johannes Schnitzler, Helsinki

Am Ende wurde es staatstragend, es fielen Sätze wie dieser: Männer, "die vorher viele nicht auf dem Schirm gehabt haben", seien "über sich hinausgewachsen" und hätten "Deutschland begeistert". Verwirrend war, dass der Mann, der klang wie der Bundespräsident, ein verdächtig junges Gesicht trug, einen Eishockeyhelm auf dem Kopf und Schlittschuhe an den Füßen - und aussah wie Moritz Seider.

Was daran lag, dass es tatsächlich Seider war, der sich in diplomatischer Mission vor die Journalisten gestellt hatte. Hätte man angesichts seiner Miene und des Ernstes in seiner Stimme die eindeutigen Accessoires glatt übersehen können, verriet Seider sich mit einem fundamentalen Satz: "Es überwiegt natürlich die Frustration, da brauchen wir gar nicht drumherum reden."

Seider, Profi bei den Detroit Red Wings in der National Hockey League (NHL), sprach nicht über ein Rettungskommando in irgendeiner Krisenregion der Welt, sondern über das Aus der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft im Viertelfinale der WM in Finnland. 1:4 war das Team von Bundestrainer Toni Söderholm am Donnerstag den Tschechen unterlegen, ein Tor knapper als vor drei Jahren, aber unter dem Strich mit demselben Ergebnis: Deutschland war raus, bevor es um die Medaillen geht. Und das war, je nach Gemütsverfassung, "frustrierend" (Stürmer Lukas Reichel), "bitter" (Verteidiger Leon Gawanke) oder "einfach nur enttäuschend" (noch mal Gawanke).

Die Tatsache, dass Seider, 21, Reichel (Chicago/NHL), 20, und Gawanke (Manitoba/American Hockey League), 22, hier sprachen und ihren Frust kundtaten, ist für den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) einerseits eine Bestätigung: Es sind junge, überaus talentierte Männer, die sich bereits wie selbstverständlich auf dem höchsten Niveau in ihrer Sportart bewegen und laut übereinstimmender Selbstauskunft stolz sind, für Deutschland zu spielen. Was den DEB beunruhigen könnte: Dass die Männer, über die Seider so gepflegt sprach, die "auch uns Mitspieler begeistert haben" und mit denen "auf dem Eis stehen zu dürfen eine Freude" gewesen sei, fast alle älter sind als er selbst.

Deutsche Spieler auf höchstem Eishockey-Niveau

Insgesamt neun WM-Neulinge standen im Kader für Helsinki - nur Tim Stützle, 20, war jünger als Seider. Aber Stützle, Stürmer bei den Ottawa Senators in der NHL, fehlte bereits nach dem dritten Gruppen-Spiel verletzt. "Tims Qualitäten hätten uns schon noch geholfen", hatte Bundestrainer Söderholm geahnt. Und er sollte recht behalten. Stützle ist eines jener seltenen deutschen Stürmerexemplare, die den Puck im gegnerischen Drittel halten können. "Wir müssen mehr Power in unser Offensivspiel bekommen", sagte Söderholm. Das Spiel gegen die abgeklärten Tschechen, klug eingestellt von seinem alten Mentor Kari Jalonen, hatte ihm dafür noch einmal die Bestätigung geliefert.

Nach der olympischen Silbermedaille 2018, dem WM-Halbfinale 2021 und dem Einbruch bei Olympia 2022 in Peking hat die deutsche Mannschaft es in Helsinki geschafft, sich zu rehabilitieren. Mit fünf Siegen und insgesamt 16 Punkten hat sie die WM-Vorrunde so erfolgreich abgeschlossen wie nie zuvor - auch wenn Rekordweltmeister Russland ausgeschlossen worden war, ein beachtlicher Erfolg.

"Was Identität und Ausstrahlungskraft betrifft, sind wir ganz gut unterwegs. Das wollte ich sehen", sagte Söderholm. "Toni hat es wieder geschafft, eine gute Mischung zu finden", sagte Verteidiger Korbinian Holzer, 34. "Das hat er bei Olympia auch, aber da haben wir den Schneeball nicht ins Rollen gebracht. Das kann mal passieren. Wir haben gezeigt, dass das ein Ausrutscher war." Das Ziel, um Medaillen mitzuspielen, spätestens bis 2026 - so lange läuft Söderholms Vertrag - haben sie aber wieder knapp verpasst.

Deutsche Eishockey-WM-Bilanz: Tim Stützle (Mitte) wurde am Ende schmerzlich vermisst, nachdem er sich zu Turnierbeginn verletzt hatte.

Tim Stützle (Mitte) wurde am Ende schmerzlich vermisst, nachdem er sich zu Turnierbeginn verletzt hatte.

(Foto: Antti Aimo-Koivisto/AFP)

Auch seine Mannschaft sei erst seit einigen Jahren konstant in der Lage, ins WM-Viertelfinale vorzustoßen, hatte im Lauf des Turniers der Schweizer Nationalcoach Patrick Fischer gesagt. Zu seiner Zeit als Nationalspieler habe sich die "Nati" oft nur mit Glück in die Runde der letzten acht gemogelt. Aber seit sie 2013 im Finale standen und 2018 noch einmal Silber holten, zählen die Eidgenossen stets zu den Medaillenanwärtern - und damit steigen die Erwartungen. Das sei auch gut so, sagt Fischer.

"Wir haben einige super Spieler rausgebracht, Deutschland hat einige super Spieler rausgebracht. Aber das ist ein Prozess." Auch die Schweizer, in diesem Prozess ein paar Jahre weiter, Gruppen-Erster vor den Deutschen und als einziges Team in der Vorrunde ohne Niederlage, schieden am Donnerstag aus, 0:3 gegen die USA. Oder die Slowakei, Bronzemedaillen-Gewinner in Peking: "Die haben ein überragendes Turnier bei Olympia gespielt und hatten jetzt Probleme, ins Viertelfinale zu kommen", sagte Holzer. Heißt: Medaillen sind nicht planbar.

"Die Ziele sind da", beteuert Söderholm. "Aber es ist unmöglich zu sagen, wann es so weit ist." Der neue DEB-Vizepräsident Andreas Niederberger lobte das Team für ein "sensationelles Turnier", was vielleicht ein bisschen dick aufgetragen war. Und er sieht den DEB, was die Ausbildung junger Spieler angeht, "komplett auf dem richtigen Weg". Im Sport sei es normal, auch mal einen Schritt zurück zu gehen - siehe Olympia. Junge Spieler müssten Zeit bekommen zu reifen. Aber: "Der Tag wird kommen ...", sagte Niederberger.

Daran hat Söderholm offenbar Zweifel. Gerade die Entwicklung junger Spieler geht ihm nicht konsequent genug voran: "Es sollte nicht so sein, dass die Nationalmannschaft zeigt, welche deutschen Spieler Eishockey spielen können. Das sollten die Vereine machen." Söderholm meint Spieler wie Samuel Soramies, 23, oder Alexander Karachun, 27, die vor zwei Jahren noch in der zweiten Liga spielten und nun in Helsinki ihr WM-Debüt gaben. Junge Deutsche hätten es in der Deutschen Eishockey Liga nach wie vor schwer. Es ist das alte Quotenlied. "Wenn ich in Skandinavien erzähle, dass es in Deutschland eine U-23-Regel gibt, dann glauben die, wir sind nicht ganz dicht", sagte der Finne.

Statt einer "künstlichen Regel" brauche es den "Willen, junge Spieler zu fördern", und Zusammenarbeit, "das wünsche ich mir". Sonst bleibt das Abschneiden bei großen Turnieren davon abhängig, welche jungen Spieler in Nordamerika gerade die Playoffs verpasst haben und verfügbar sind. Ob sie wie Seider, Reichel und Gawanke ihre Teilnahme als nationales Mandat begreifen, und wie lange sie im Turnier unversehrt bleiben - oder nicht, wie Stützle. Dann wird es in den kommenden Jahren noch viel mehr Debütanten geben, die viele nicht auf dem Schirm hatten. Weil die Alternativen fehlen.

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SZ PlusFinnischer Autor Miska Rantanen
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In seinem Bestseller "Kalsarikänni" gibt Miska Rantanen Tipps für einen gepflegten Dämmerschoppen. Ein Gespräch über Sportmomente beim Bier und Gründe, warum man die Eishockey-WM nüchtern schauen sollte.

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