Noch bevor das erste Bully bei der Eishockey-Weltmeisterschaft für die deutsche Mannschaft gespielt war, hatte Moritz Seider schon sein Talent als Öffentlichkeitsarbeiter unter Beweis gestellt. Beim Aufwärmen für das Auftaktspiel gegen Aufsteiger Ungarn kniete der neue Teamkapitän von den Detroit Red Wings auf dem Eis und ließ die Scheibe auf seinem Schläger tanzen. Hoch und nieder hüpfte der Puck, aber nicht nur das. Mit präzisen Schlägen trieb Seider die Scheibe an und ließ sie in der Luft um die eigene Achse rotieren: die Hohe Schule der Jonglage, ein Kunststück aus Hand-Auge-Koordination und Fingerspitzenfeingefühl.
Als jenseits der Bande ein paar deutsche Fans auftauchten und ihn beklatschten, schaufelte sich Seider beiläufig einen Puck auf den Schläger und flippte ihn lässig über das Plexiglas: kleine Geste, große Freude über das begehrte Souvenir. Ein klein wenig Aufmerksamkeit, dann noch ein solider 6:1-Sieg gegen Ungarn, und schon sind die Kunden glücklich.
Am Sonntag, einen Tag später, baute Seider seine Nummer aus: Puck auf Puck flog beim Aufwärmen übers Glas zu den Fans, dann versenkte Seider noch ein paar schnelle Handgelenkschüsse im Netz, jonglierte die Scheibe in vollem Lauf ins Tor und sprintete danach zufrieden in die Kabine. Kein Zweifel: Da ist einer auch nach einer langen NHL-Saison heiß auf Eishockey. Das Ergebnis gegen Kasachstan: 4:1 (1:1, 1:0, 2:0).

Weltmeisterschaft in Schweden und Dänemark:Spielplan der Eishockey-WM 2025: Alle Spiele und Ergebnisse
16 Mannschaften kämpften bei der Eishockey-Weltmeisterschaft 2025 in Schweden und Dänemark um den WM-Titel. Am Ende jubelte die USA. Der Spielplan mit den Ergebnissen.
Das Resultat klang deutlicher, als das Spiel zunächst war. Gleich der erste Schuss im Spiel aufs deutsche Tor ging nach hinten los, und es war Seider, ausgerechnet, der einen Pass ins eigene Netz abfälschte (4. Spielminute). „Die Mannschaft hat das zur Kenntnis genommen und weitergespielt“, sagte Bundestrainer Harold Kreis: „Man kann nicht immer in Führung gehen.“
Gegen Ungarn hatte Dominik Kahun, Schütze des 1:0 und 6:1, der Mannschaft eine „sehr solide“ Leistung attestiert. Lediglich zu Beginn des zweiten Drittels hatte der Aufsteiger Anstalten gemacht, ein unbequemer Gegner sein zu wollen. Gegen die Kasachen waren es Scheibenverluste, die das Team zwischenzeitlich in Bedrängnis brachten. „Wir waren manchmal zu verspielt, zu kompliziert“, gab Stürmer Wojciech Stachowiak zu. „Aber wir wissen, dass wir gegen jeden Gegner das Spiel noch drehen können und bleiben einfach ruhig.“ Kreis sagte: „Das war ein Arbeitssieg.“
Gegen Kasachstan bedurfte es „Geduld und Vertrauen ineinander“, sagte Verteidiger Lukas Kälble, Qualitäten, die sich der WM-Zweite von 2023 über die Jahre erarbeitet hat. Und sie zahlten sich aus. In der 14. Minute traf Maximilian Kastner zum 1:1. Dennoch tat sich das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) gegen den 15. der Weltrangliste weiterhin schwer – bis zur 35. Minute, als Stachowiak einen Konter zur Führung abschloss. Die Vorentscheidung gelang Lukas Reichel, der einen Pass von Freddie Tiffels direkt ins Tor schoss (42.), Kälble traf noch zum 4:1 (46.).
Reichels Vertrag in Chicago läuft noch ein Jahr. Er sieht die WM auch als Bühne, um sich zu präsentieren
Schon gegen Ungarn war Reichel einer der Auffälligsten gewesen und zum Man of the Match gewählt worden. Bei den Chicago Blackhawks in der NHL hatte der 22-Jährige kein einfaches Jahr mit wenig Eiszeit. Gegen Ungarn bereitete er den Treffer von Joshua Samanski und später das 4:0 von Tiffels mit punktgenauen Pässen vor und deutete an, was noch von ihm zu erwarten ist. „Man sieht seine Schnelligkeit“, sagte Kreis, „auch an der Scheibe“. In Chicago spielt der Techniker zumeist in der vierten Reihe. Dort gibt es in jeder Hinsicht wenig Zeit, seine Fertigkeiten auszuspielen. „Drüben ist das Eis kleiner, alles ist härter und schneller“, sagt Reichel: weniger Kunsthandwerk, mehr Stahlwerk. Im Nationalteam aber, sagt Kreis, bringe Reichel immer Leistung. „Er hat auch ein paar Zweikämpfe gewonnen, als er an der Scheibe war, und Gegner abgeschüttelt.“ Soll heißen: Der filigrane Reichel kann auch robust sein. Gegen Kasachstan war das auch notwendig, denn die Kontrahenten, am Samstag 2:1-Sieger gegen Norwegen, kamen mit breiter Brust aus der Kabine und schreckten vor Ruppigkeiten nicht zurück.
Für seine formidablen WM-Auftritte bisher hat Reichel zwei simple Erklärungen. „Hier spiele ich mehr. Ich spiele Powerplay, und das macht viel aus.“ Punkt zwei: „Mit Freddie und Josh ist es einfach. Wir reden viel miteinander, auf dem Eis oder auf der Bank. Ich glaube, man sieht, dass wir eine gute Chemistry zusammen haben.“
Reichels Vertrag in Chicago, wo er seit vier Jahren auf den endgültigen Durchbruch wartet, läuft noch ein Jahr. Die WM sehe er auch als Bühne, um sich für andere Teams zu präsentieren. Gegen Ungarn profitierte WM-Debütant Samanski von der chemischen Zusammensetzung der Reihe mit Reichel und Tiffels. Der 23-Jährige wurde im vergangenen Jahr als letzter Spieler noch aus dem WM-Aufgebot gestrichen. Nun durfte er bei seiner Premiere gleich über seinen ersten Treffer jubeln. Seine Mitspieler hätten ihm den Einstand auch recht einfach gemacht: „Wie bei meinem Tor: Ich stand einfach nur da, der Luki findet den Pass, die Scheibe kommt zu mir.“ Zack, 2:0. „Das ist natürlich cool, dass es jetzt direkt geklappt hat“, sagte Samanski.
Im Sommer wird der Stürmer Straubing verlassen und in die NHL wechseln, zu den Edmonton Oilers, dem Team von Leon Draisaitl. „Josh hat eine gute Entwicklung genommen“, sagt Kreis. „Er hat Schnelligkeit, ist sicher an der Scheibe und arbeitet hart zurück.“ Eine Qualität, die am Sonntag gegen Kasachstan besonders gefragt war. Am Dienstag gegen Norwegen könnte das Team weitere Verstärkung bekommen. Tim Stützle von den Ottawa Senators, nach Draisaitl der beste deutsche Stürmer in der NHL, ist am Sonntag in Herning eingetroffen.