Eishockey-Weltmeisterschaft:Helden der Drecksarbeit

Eishockey: Deutsche Nationalmannschaft 2016 unter anderem mit Tom Kühnhackl und Tobias Rieder

Letzter gemeinsamer Auftritt: Tom Kühnhackl (2.v.l.) und Tobias Rieder (2.v.r.) 2016, als sich das DEB-Team für Olympia 2018 qualifizierte.

(Foto: ActionPictures/Imago)

Die deutsche Nationalmannschaft startet gegen Italien in die Eishockey-WM. Eine undankbare Aufgabe kommt dabei ausgerechnet den wenigen NHL-Profis im Kader zu.

Von Johannes Schnitzler

Das Wort "Shutdown" hat nichts mit Pandemie zu tun. Direkt warm ums Herz wird einem dabei aber auch nicht. Als Shutdown wird jene in den USA gar nicht mal so seltene Haushaltssperre bezeichnet, wenn die Bundesbehörden nur noch das Nötigste erledigen. Der Staat fährt gewissermaßen auf Reserve, bis die Finanzen wieder fließen. Eine solche Haushaltssperre gab es unter dem Präsidenten Bill Clinton ebenso wie unter Donald Trump, der natürlich den längsten und besten Shutdown der Geschichte zu verantworten hatte: 35 Tage hing die Nation am Tropf.

Die Aufgabe einer Shutdown-Reihe im Eishockey funktioniert ähnlich: Sie soll vor allem die besten Spieler der anderen Seite neutralisieren und deren offensiven Spielfluss unterbinden. Wenn sie auf dem Eis ist, hat der Gegner nichts zu lachen. Das klingt eher simpel und wenig kreativ und verlangt Spieler, die sich mit dieser Aufgabe identifizieren können.

Vielleicht kein Wunder, dass im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft für die am Freitag beginnende Weltmeisterschaft in Lettland drei kernige Niederbayern in der engen Wahl für diese Mission stehen. Schon überraschender ist, dass Bundestrainer Toni Söderholm, der auf fast alle Profis aus der nordamerikanischen NHL verzichten muss, vor dem Spiel gegen Außenseiter Italien (15.15 Uhr, Sport 1) ausgerechnet zwei seiner prominentesten Spieler dafür im Auge hat: Tom Kühnhackl, Sohn des deutschen Jahrhundert-Eishockeyspielers Erich Kühnhackl, und Tobias Rieder. Komplettiert wird das Trio von Nico Krämmer, 28, wie die beiden anderen gebürtiger Landshuter. Die LA-Reihe, wenn man so will (und das Autokennzeichen amerikanisch ausspricht). Klingt zumindest etwas glamouröser.

Kühnhackl schoss die Mannschaft 2016 in Riga gegen Lettland zu den Olympischen Spielen

Kühnhackl, 29, und Rieder, 28, haben, wie Söderholm es nennt, "abwechslungsreiche" Spielzeiten hinter sich. Kühnhackl, 2016 und 2017 Stanley-Cup-Sieger mit den Pittsburgh Penguins, zog sich nach seinem Wechsel 2018 zu den New York Islanders eine langwierige Verletzung zu und kam in der abgelaufenen Saison auf lediglich 22 Partien in der unterklassigen AHL für die Bridgeport Sound Tigers. Rieder, einziger NHL-Stammspieler im WM-Kader, kommt immerhin auf 44 Einsätze für die Buffalo Sabres. Die Mannschaft aus dem Bundesstaat New York war aber mit nur 15 Siegen aus 56 Partien mit Abstand die schlechteste unter allen 31 NHL-Teams. Für Söderholm sind beide wie geschaffen. "Tobi bringt viel Energie aufs Eis", sagt der Bundestrainer über Rieder, Kühnhackl lese das Spiel "sehr schnell und sehr gut" und brauche außerdem nicht lange für die Umstellung von der kleineren amerikanischen auf die größere europäische Eisfläche. "Er wollte unbedingt kommen", sagt Söderholm.

Kühnhackl hat an Riga beste Erinnerungen. Beim Olympia-Qualifikationsturnier 2016 war es der Rechtaußen, der mit dem entscheidenden 3:2 gegen Gastgeber Lettland den Weg zu den Spielen nach Pyeongchang und zum größten Erfolg der deutschen Eishockeygeschichte ebnete. Den damaligen NHL-Profis blieb die Silbermedaille zwar verwehrt, weil die Liga ihre Angestellten nicht freigab. Bei Franz Reindl, dem Präsidenten des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), steht Kühnhackl aber bis heute im Status "Hero", was ganz gut passt: Die Arbeiter im Schatten der Stars gelten in Nordamerika als "unsung heroes", Helden, denen niemand ein Epos dichtet.

In der NHL hat sich Rieder einigen Respekt als nimmermüder Unterzahlspezialist gemacht

"Wir haben das letzte Mal vor zehn oder elf Jahren zusammengespielt", sagt Rieder und lacht. Damals trainierten Krämmer, Kühnhackl und er noch im Nachwuchs beim EV Landshut. In der Vorbereitung auf die WM hätten sie nun gemerkt, dass ihnen die gemeinsame Arbeit "Riesenspaß" macht. Es braucht wohl ein recht eigenwilliges Verständnis von Spaß, um "auf die Knie runterzugehen und einen Schlagschuss zu blocken", wie Rieder die Drecksarbeit bezeichnet. Aber der Mannschaft bringe so ein krachender Block einen Extraschub Motivation. "Es hilft der Bank", sagt Rieder, und: "Auch wenn es komisch klingt: Ich mag's."

In der NHL hat sich der schnelle Stürmer einigen Respekt als nimmermüder Unterzahlspezialist gemacht. In den Playoffs 2020 gelangen ihm für die Calgary Flames gleich drei Treffer, wenn sein Team mit einem Mann weniger auf dem Eis war - was ihn auf eine Stufe mit Wayne Gretzky hievte; zwar nur in dieser Kategorie, aber auch das können nicht viele von sich behaupten. Insgesamt erzielte er bereits fünf "shorthanded goals" - die ersten beiden innerhalb von 58 Sekunden.

Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm

Hintergedanken in Sachen Aufräumarbeiten: Toni Söderholm, Bundestrainer des deutschen Eishockey-Nationalteams, das er "top motiviert" erlebt.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Muss man sich auch erst einmal leisten können, so eine Reihe für die Aufräumarbeiten abzukommandieren. Toni Söderholm tut dies natürlich nicht ohne Hintergedanken. Für den Bundestrainer steht Mannschaftsdienlichkeit über allem. Durch die Absagen der noch in den NHL-Playoffs gebundenen Profis und einiger Stammspieler aus der Deutschen Eishockey Liga hat er gleich zehn WM-Debütanten in seinem Kader. Darunter sind Hochtalentierte wie Lukas Reichel und John Peterka, beide 19, oder Moritz Seider, 20, der immerhin schon eine WM gespielt hat und soeben zum besten Verteidiger er schwedischen Liga gewählt wurde. Sie sollen den Rücken frei haben. Einer der WM-Debütanten ist kurioserweise auch: Tom Kühnhackl. Aber Brutpflege geht vor Prominenz.

Söderholm hat das perfekte Spiel vor ein paar Tagen so skizziert: "Wir haben 60 oder 70 Prozent Puckbesitz, nach 60 Minuten steht es 6:0, jeder hat zwei oder drei Schüsse geblockt." Gegen Italien am Freitag oder Norwegen am Samstag müssen es vielleicht nicht gleich perfekte Spiele sein. Aber gewinnen wollen sie ihre Auftaktpartien schon, bevor es am Montag gegen Kanada geht. Die Mannschaft sei "top motiviert", sagt Söderholm. Wenn die LA-Reihe dann noch ein paar Schüsse mehr blockt als die anderen, wäre allen geholfen. Und wenn am Ende der Vorrunde die Qualifikation fürs WM-Viertelfinale steht, würde ihr der Bundestrainer vielleicht sogar ein Loblied singen.

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