Eishockey:Wer entscheidet über die Gesundheit von Eishockeyspielern?

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Getroffen, aber auch k. o.? Connor McDavid von den Edmonton Oilers. (Foto: Jason Franson/AP)
  • Die nordamerikanische Eishockeyliga NHL hat neue Regeln zum Umgang mit Gehirnerschütterungen eingeführt.
  • Sogenannte Central Spotters beobachten vorm TV die Spieler - und können sie zur Untersuchung vom Eis holen lassen.
  • Manche Profis klagen, die neuen Regeln würden die Spiele zu stark beeinflussen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Connor McDavid war stinksauer. Der Angreifer der Edmonton Oilers stapfte wütend vom Eis, nachdem er während der Partie gegen Minnesota Wild erfahren hatte, dass er nicht mehr mitspielen darf. Er hatte niemanden gefoult oder sich gar geprügelt, er hatte nur seine linke Hand zum Mund geführt. Da saß er dann also, der derzeit nach Toren und Zuspielen mit 40 Scorerpunkten in 34 Partien produktivste Spieler der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL, er wollte sich beschweren, doch bei wem eigentlich?

Die Menschen, die über diese Zwangspause entschieden hatten, saßen in einem Büro in New York, 4000 Kilometer entfernt von der kanadischen Stadt Edmonton.

Zwei Wochen ist dieser Fall her und sorgt noch immer für eine hitzige Debatte, weil eine Regeländerung zu Beginn der Saison nun während einer spannenden Partie und an einem berühmten Akteur sichtbar geworden ist. In der NHL-Zentrale halten an jedem Spieltag bis zu vier sogenannte Central Spotters Ausschau nach Anzeichen für eine Gehirnerschütterung: Torkelt einer nach einem Zusammenstoß benommen übers Eis? Bleibt er nach einem Bodycheck auffällig lange liegen? Hält er sich nach einem Sturz den Kopf?

"Ich weiß, wie es mir geht - und es ging mir sehr gut in dem Moment"

Die Beobachter an den Bildschirmen können dann die Schiedsrichter auf dem Eis informieren und den Spieler von einem Kollegen im Stadion untersuchen lassen. Der entscheidet darüber, ob der Akteur danach zurück aufs Eis darf wie McDavid bei der Partie gegen Minnesota. Die Untersuchung allerdings dauert ein paar Minuten, in dieser Zeit fehlt ein Spieler seiner Mannschaft.

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"Es ist doch die normalste Sache der Welt, dass man sich nach einem Sturz an die Stelle fasst, die betroffen ist - in dem Fall ans Kinn", sagt McDavid: "Der Typ vor dem Bildschirm hat geglaubt, dass er genau weiß, wie es mir geht. Ich weiß, wie es mir geht - und es ging mir sehr gut in dem Moment." Genau deshalb hat die NHL zu dieser Saison ihre Regeln im Umgang mit Gehirnerschütterungen geändert.

Beim Eishockey siegt nicht immer der mit den flinksten Schlittschuhen und dem präzisesten Schlagschuss, sondern mitunter auch jene Mannschaft, deren Spieler nach harten Zusammenstößen noch flink über das Eis gleiten und präzise schießen können - und welcher Eishockeyspieler würde kurz vor dem Ende einer engen Partie freiwillig auf die Ersatzbank, weil in seinem Kopf ein paar Glöckchen klingeln? Eishockey gilt schließlich als Sportart der harten Jungs, die nicht bei jedem Körperkontakt jammernd am Boden liegen.

Bis vor zwei Jahren waren die Klubs für die Untersuchung ihrer Spieler verantwortlich. Die Ärzte waren jedoch, das war die Meinung der Spielergewerkschaft NHLPA, als Angestellte der Klubs nicht unbedingt am langfristigen Wohl der Akteure interessiert, sondern vielmehr an einer raschen Rückkehr aufs Eis.

Die Liga wird derzeit von mehr als 100 ehemaligen Akteuren verklagt mit dem Vorwurf, sich in der Vergangenheit nicht ausreichend um die Gesundheit der Profis gekümmert zu haben. Seit der vergangenen Saison werden in den Stadien unabhängige Experten von NHL und NHLPA zur Prävention von Gehirnerschütterungen eingesetzt, seit dieser Spielzeit gibt es die Central Spotters an den Bildschirmen in New York.

In dieser Saison dürfen die Regeln nicht mehr angepasst werden

Die Profis begrüßen solche Maßnahmen, sie wollen jedoch nicht entmündigt werden und verhindern, dass jemand aus 4000 Kilometern Entfernung den Ausgang einer möglicherweise wichtigen Partie beeinflusst. "Wenn das die Verlängerung eines Playoff-Spiels gewesen wäre, dann hätten die mich nicht so einfach vom Eis bekommen", sagt McDavid und verweist auf die Partie zwischen den New York Rangers und den Vancouver Canucks im November: Beim Stand von 2:2 wurde Rangers-Torwart Antti Raanta nach einem Zusammenstoß zur Untersuchung geschickt, sein Ersatzmann Henrik Lundqvist kassierte ohne Aufwärmen zwei Tore innerhalb von vier Minuten. Raanta kehrte nach der Untersuchung (es wurde keine Gehirnerschütterung festgestellt) zurück, doch da war es schon zu spät, die Rangers verloren 3:5.

Die NHL gibt keine Auskunft darüber, wie viele Profis in dieser Saison durch die Beobachter am Bildschirm vom Eis geholt worden sind und bei wie vielen tatsächlich eine Gehirnerschütterung festgestellt worden ist. "Die Central Spotters sind keine Maschinen", sagt Liga-Chef Gary Bettman: "Wir beschäftigen herausragend ausgebildete Leute, die moderne Technologie verwenden. Wir sind bislang zufrieden, arbeiten jedoch gemeinsam mit den Vereinen und Spielern an einer Verbesserung des Protokolls." In dieser Saison dürften die Regeln jedoch nicht mehr angepasst werden.

Die Spieler müssen sich daran gewöhnen, dass sie in den entscheidenden Momenten einer Partie vom Eis geholt werden können. "Klar ist das blöd", sagt Drew Doughty von den Los Angeles Kings: "Es ist aber auch blöd, wenn jemand seinen Schlittschuh verliert oder wegen einer Platzwunde genäht werden muss. Dann muss er auch kurz vom Eis. Das sind die Regeln, damit müssen wir umgehen. Ende."

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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