Eishockey-Weltmeisterschaft:Emotion gegen Kalkül

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"Wenn man so ein Sportmärchen hatte, will man das natürlich wiederholen": Das DEB-Team hier beim Schlussjubel nach dem WM-Eröffnungsspiel 2010 in Gelsenkirchen gegen die USA. (Foto: Sven Simon/Imago Sportfotodienst)

Wer bekommt die Eishockey-WM 2027: Deutschland oder Kasachstan? Der DEB bräuchte sie dringend als Leuchtturmprojekt, aber Kasachstan bietet womöglich das bessere Geschäft.

Von Johannes Schnitzler

7. Mai 2010. In der Fußball-Arena auf Schalke drängen sich 77 803 Zuschauer. Nicht für ein Freitagabendspiel in der Bundesliga. Sondern zum Auftakt der Eishockey-Weltmeisterschaft in Deutschland. Weltrekord für ein Eishockeyspiel, damals. Bundespräsident Horst Köhler ist da und sieht, wie Constantin Braun in der Verlängerung einen Puck zum Tor schleudert und Felix Schütz sein Knie in den Schuss hält. 2:1 für Deutschland gegen die USA, das Dach der Arena wölbt sich vom Druck des kollektiven Jubelschreis. Von dieser Euphorie getragen stürmt die deutsche Mannschaft bis ins Halbfinale und belegt nach einem Krimi gegen Russland am Ende Rang vier.

"Wenn man so ein Sportmärchen hatte, will man das natürlich wiederholen", sagt Claus Gröbner. Der Generalsekretär des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) ist bei der aktuellen Eishockey-Weltmeisterschaft in Tampere und Riga als Botschafter unterwegs. Am Freitag, beim Kongress in Tampere, fällt die Entscheidung darüber, wer die WM 2027 ausrichten darf: Deutschland oder Kasachstan. Am Donnerstag präsentierten die Bewerber ihre Konzepte, für Deutschland stand der ehemalige Nationalspieler Christoph Ullmann auf der Bühne, einer der Protagonisten von 2010. Es sind unter anderem Bilder vom WM-Eröffnungsspiel damals, mit denen der DEB seine Bewerbung ausschmückt. Emotionen sind zwar kein Argument, aber kalt lassen sie die 13 Männer und zwei Frauen im Council der Internationalen Eishockey-Föderation IIHF wohl auch nicht, darunter Präsident Luc Tardif und der ehemalige DEB-Präsident Franz Reindl.

Abstimmen dürfen die 83 Mitgliedsverbände der IIHF, die seit 115 Jahren die Geschicke im Welt-Eishockey leitet, darunter Nationen wie Turkmenistan, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sowie die 15 Council-Mitglieder. Jedes der 60 sogenannten Vollmitglieder, die an mindestens drei Männer- oder Frauen-Weltmeisterschaften teilgenommen haben, egal ob in der sogenannten Top-Division oder auf dem untersten Level, hat zwei Stimmen, die 16 Teilnehmer der Topnationen eine weitere, jedes Council-Mitglied eine.

Vor Gericht und auf hoher See befinde man sich in Gottes Hand, heißt es. Wenn es nur so einfach wäre.

Eine WM der Topnationen in Kasachstan wäre die erste auf asiatischem Boden - und ein Wink an Russland und Belarus

Der DEB bewirbt sich mit den Spielstätten in Mannheim und Düsseldorf, weil die IIHF zwei Austragungsorte verlangt. "Alle weiteren Gespräche würden im Fall eines Zuschlags erfolgen", sagt Gröbner. Dass sie Vorgespräche mit Schalke und Düsseldorf hatten bezüglich eines weiteren Spiels in einem Fußballstadion, sei "kein Geheimnis". Das "Winter Game" der Deutschen Eishockey Liga (DEL), eine reguläre Partie unter freiem Himmel, hat Tradition. Zuletzt im Dezember kamen 50 000 Menschen ins Müngersdorfer Stadion nach Köln, sogar in der DEL2 und Oberliga gab es Open-Air-Spiele vor mehr als 30 000 Zuschauern. Mit dieser Fan-Basis sowie der Erfahrung im Organisieren von Weltmeisterschaften - die bislang letzte 2017 in Köln als Co-Gastgeber von Paris war die bestbesuchte nach der WM 2015 in Tschechien - wirbt der DEB. Zuvor wurde eine Agentur beauftragt, die "unter dem Strich das beste Gesamtpaket" schnüren sollte, sagt Gröbner. In diesem Paket spielten Infrastruktur, wirtschaftliche und politische Aspekte eine Rolle, nicht zuletzt die kurzen Wege zwischen Düsseldorf und Mannheim (mit dem Zug sind es zwei Stunden). Aus München, dessen neues Stadion 2024 fertig sein soll, kam angeblich zu wenig politischer Drive.

Man habe mit fast allen Verbänden persönliche Gespräche geführt, sagte Gröbner bei der WM in Tampere. Er ist überzeugt: "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und eine sehr gute Bewerbung abgegeben." Pause. "Aber die Kasachen auch."

Von der kasachischen Bewerbung wurde vor der Präsentation am Donnerstag wenig bekannt. Klar ist, dass in der Barys Arena in der Hauptstadt Astana sowie in der Almaty Arena gespielt werden würde, zwei modernen Multifunktionshallen mit jeweils rund 12 000 Zuschauern Fassungsvermögen, die aber 1000 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen. Kasachstan ist flächenmäßig das neuntgrößte Land der Erde, eingebettet zwischen Russland und China, es verfügt über immense Bodenschätze, dazu nahezu unbegrenzten Platz für Windparks oder Photovoltaik. Ein Traum für Investoren, die auch mal ein Auge zudrücken.

Eine WM der Top-Division in Kasachstan wäre die erste in Asien. Der autoritär regierende Staatspräsident Kassym-Schomart Tokajew empfing IIHF-Präsident Tardif im vergangenen September persönlich. Vergangene Woche sah man ihn beim Händeschütteln mit Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping beim Chinesisch-Zentralasiatischen Gipfel, an diesem Mittwoch wurde er von Wladimir Putin herzlich beim Eurasischen Wirtschaftsforum in Moskau begrüßt.

Rechtevermarkter Infront präferiert angeblich Kasachstan - wegen der Aussicht auf höhere Gewinne

"Das Thema Asien spielt eine große Rolle, es gibt viele asiatische Verbände", sagt Claus Gröbner. Auch die Nähe zwischen Russland und Kasachstan ist bekannt. Der HC Barys Astana spielt in der aus Russland finanzierten Kontinental Hockey League, das Nationalteam bestritt vor der aktuellen WM zwei Freundschaftsspiele gegen die ausgeschlossenen Teams aus Russland und Belarus. Ein Zuschlag für Kasachstan wäre auch ein Signal in Richtung dieser beiden Länder im Hinblick auf Olympia. Das IOC entscheidet 2024 über deren mögliche Wiedereingliederung. Gröbner glaubt: "Es ist ein offenes Rennen."

Es gibt Stimmen, die das bestreiten würden. Stimmen aus dem Council, die wissen wollen, dass die deutsche Bewerbung den Zuschlag erhalten wird. Aber auch Stimmen, die sagen, der globale Sportvermarkter Infront, der die Rechte an der Eishockey-WM hält, präferiere Kasachstan, weil er dort ungleich mehr verdienen könnte.

Er hofft auf den Zuschlag: Claus Gröbner, Generalsekretär des Deutschen Eishockey-Bundes. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Gröbner sagt: "Die Bedeutung einer WM ist uns allen bewusst, wir brauchen sie, na klar." Als Leuchtturmprojekt für den Nachwuchs, für die Infrastruktur, für die politische Unterstützung. Stichwort Fördermittel. Aber selbst der Zuschlag wäre keine Garantie für einen Gewinn. Es brauche nicht nur die Geschlossenheit des DEB (der mit seinen Landesverbänden immer wieder mal im Clinch liegt). "Wir brauchen die Unterstützung von Gesamteishockeydeutschland, DEL, DEL2. Wir brauchen aber auch den Bund. Wir brauchen die Städte und die Wirtschaft." Aber zunächst einmal brauchen sie: ein positives Abstimmungsergebnis.

Und wenn die WM nicht nach Deutschland kommt? Nicht erst seit den noch laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen Ex-Präsident Reindl wegen des Verdachts der Untreue - unter anderem im Zusammenhang mit der WM 2017 und der Vorbereitung einer weiteren WM-Bewerbung - halten sich Gerüchte, der DEB stehe finanziell bald auf dem Trockenen, die Festgeldreserven seien nahezu aufgebraucht.

"Der DEB hat genügend liquide Mittel", sagt der Generalsekretär

Ist der WM-Zuschlag existenziell wichtig für den DEB? "Nein!", sagt Gröbner. "Der DEB hat genügend liquide Mittel, das ist alles nicht existenziell wichtig. Aber wenn wir so eine WM nicht bekommen, muss an der einen oder anderen Stelle gespart werden. Und das ist unter dem Strich für die Zukunft, für den Nachwuchs, für die Entwicklung des Frauensports kontraproduktiv."

So könnte es passieren, dass 2026 bei den Olympischen Winterspielen in Italien die womöglich talentierteste deutsche Eishockeymannschaft der Geschichte auf dem Eis steht, mit den NHL-Stars Draisaitl, Grubauer und Seider, mit den NHL-Spielern Sturm, Stützle, Peterka und Reichel, die dann ihr volles Potenzial entfaltet haben, mit DEL-Spielern aus dem aktuellen WM-Aufgebot, die bislang positiv überrascht haben. Und, wie es der DEB in seinem Konzept "Powerplay 2026" festgeschrieben hatte, die 2026 tatsächlich um eine Medaille spielen.

Es könnte aber auch sein, dass danach ein tiefes Loch kommt. Die U-18-Nationalmannschaft ist bei der WM vor einem Monat aus der Top-Division abgestiegen. Die U17 hat von ihren jüngsten zehn Spielen neun verloren, zum Teil zweistellig. Ein Leuchtturm wäre hilfreich.

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