Eishockey-Weltmeisterschaft:Die Kunst des Vergessens

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Erholung und Wut: Trainer Sturm lehrt seine Spieler, Niederlagen wie die gegen Schweden schnell zu verarbeiten - auch wenn das Spiel gegen Russland noch schwerer wird.

Von Johannes Schnitzler, Köln

Die Lage war offensichtlich ernst. Tief drunten im Bauch der Kölner Arena, wo nach den Spielen der Gruppe A bei dieser Eishockey-Weltmeisterschaft die Pressekonferenzen stattfinden, stand Rikard Grönborg, umlagert von einer Traube schwedischer Journalisten. Der Trainer der Tre Kronor hatte das Podium verlassen, noch bevor irgendein internationaler Reporter eine Frage hätte stellen können. Nun stand Grönborg, ein stattlicher Mann mit Ehrfurcht gebietender Gesichtsbehaarung, vor einer dieser Stellwände, auf denen die Logos der Turniersponsoren aufgedruckt sind, und erklärte seinen Landsleuten exklusiv die vergangenen 60 Minuten. Grönborg sah sehr ernst dabei aus.

Drei Meter daneben stand Marco Sturm. Die Traube, die den deutschen Bundestrainer umringte, maß im Radius drei Meter. Die Gesichter der Reporter waren so ernst wie der Tonfall, in dem sie ihre Fragen stellten. Mittendrin stand Sturm, der deutsche Bundestrainer. Und lachte.

Wer die beiden Trainer und Trauben miteinander verglich, konnte meinen, es wäre Grönborg, der ein 2:7 erklären sollte. Nicht Sturm.

Kapitän Christian Ehrhoff ist weiterhin verletzt. Womöglich wird er im WM-Kader ersetzt.

Vielleicht ist das Marco Sturms größte Leistung, seit er im Juli 2015 überraschend das Amt des Bundestrainers übernahm. In dieser Zeit hat er die Eishockey-Nationalmannschaft zum ersten Mal nach fünf Jahren wieder in ein WM-Viertelfinale (2016) und erfolgreich durch die Qualifikation zu den Olympischen Spiele 2018 geführt; die deutschen Profis, die in der nordamerikanischen NHL viele Dollars verdienen, steigen sofort ins Flugzeug, sobald die Saison für ihre Klubs beendet ist. Aber wenn die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft, Neunter der Weltrangliste, mal 2:7 gegen den neunmaligen Weltmeister Schweden verliert, dann steht da ein Trainer, der noch lachen kann.

Zu viel für Thomas Greiss: Der deutsche Torwart genießt bei seinem NHL-Klub, den New York Islanders, hohes Ansehen. Gegen die fünf Treffer der Schweden vor und nach der zweiten Pause (hier Linus Omark zum 3:2) war er jedoch machtlos. (Foto: Joel Marklund/imago/Bildbyran)

"Netter Versuch", antwortete Sturm, als einer fragte, was Verteidiger Christian Ehrhoff denn genau fehle. Ehrhoff ist der Kapitän des deutschen Teams, eigentlich. Aber bei dieser WM hat er noch keine Sekunde gespielt. Oberkörperverletzung. Mehr wird nicht verraten, so ist das internationale Frage-Antwort-Geschäft nun mal. Aber Sturm versteht, dass die Frage kommt. Er sagt: "Natürlich können wir nicht ewig warten. Wir müssen eine Entscheidung treffen." Ob es noch Sinn ergibt, auf die Genesung des 34-Jährigen zu warten, oder besser, einen Ersatzmann zu nominieren. Aber wann diese Entscheidung getroffen wird, ob es schon eine Tendenz gibt? Bitte um Verständnis: Geheimsache.

Nun ist es nicht so, dass Sturm Niederlagen besonders spaßig finden würde, schon gar nicht ein 2:7. Aber er versteht sie zu moderieren. Er sagt: "Die Spieler sind alle sauer. Das ist ein gutes Zeichen. Sie wissen, dass das im letzten Drittel zu wenig war." Binnen zwei Minuten machten die Schweden im letzten Drittel aus einem 4:2 ein 7:2. Aber weil die Spieler das ja selbst wissen, muss er es ihnen nicht noch extra aufs Brot schmieren. "Ob wir mit sieben Toren verlieren oder mit drei: Niederlage ist Niederlage", sagt Sturm. "Wir müssen es positiv sehen: Wir haben schon ein Spiel gewonnen." 2:1 gegen die USA.

Den Spielern scheint Sturms positiver Pragmatismus gut zu tun. "Wenn wir verlieren, dürfen wir vielleicht eine Stunde schlecht drauf sein. Aber dann müssen wir uns auf das nächste Spiel konzentrieren", sagt Stürmer Yasin Ehliz. "In den letzten zwei Jahren haben wir so viel zusammen erlebt, da ist ein echtes Team gewachsen", sagt Verteidiger Moritz Müller. Felix Schütz, der seine siebte Weltmeisterschaft spielt, sagt: "Oft hat man einfach gesehen, da ist nicht viel drin. Aber bei uns ist viel drin." Aus dem schweren Auftaktprogramm gegen die USA, Schweden und Russland wollten die Deutschen drei Punkte holen. Die hatten sie schon nach dem ersten Spiel. "Wer rechnen kann, sieht: Es ist alles offen", sagt Schütz.

Nach dem "Traumstart" vom Freitag, wie DEB-Präsident Franz Reindl das 2:1 gegen die USA vor ausverkaufter Halle nannte, und dem Albtraum gegen Schweden sind sie bei der deutschen Mannschaft um Normalität bemüht. "Es war ganz gut zu sehen, dass wir auch gegen solche Mannschaften bestehen können, wenn wir 60 Minuten unser Spiel durchziehen", sagte Stürmer Patrick Reimer. Gegen Schweden reichte die Konzentration aber eben nur für knappe 40 Minuten. Nachdem Patrick Hager (17.) und Philip Gogulla (26.) zweimal Schwedens Führung egalisiert hatten, konnte Denis Reul dann Marcus Krüger nicht stoppen, Linus Omark vollendete. 2,5 Sekunden vor der zweiten Pause erhöhte Jonas Brodin auf 4:2. "Das ist natürlich ärgerlich", sagte Reimer. "Aber solche Fehler werden von den Top-Mannschaften sofort bestraft." Selbst Torwart Thomas Greiss, in den ersten 100 WM-Minuten mit 74 Paraden der überragende deutsche Spieler, war im letzten Drittel hilflos. "Da haben die Schweden gezeigt, wie gut sie wirklich sind", sagte Brooks Macek. Nach dem siebten Gegentreffer (52.) durfte Greiss vorzeitig die Regeneration beginnen.

Man habe gesehen, dass "es vielleicht doch zu viel" für sein Team sei, sechs Drittel hintereinander "auf diesem Niveau zu spielen", sagte Sturm. In den letzten 20 Minuten sei speziell den Verteidigern die "Müdigkeit in den Beinen und in den Köpfen" anzusehen gewesen. Was man daraus lernen könne? Nicht viel. "Wir müssen dieses Spiel vergessen und uns schnell erholen", sagte Sturm. Es war Samstag, kurz vor Mitternacht. Den Sonntag gab der Bundestrainer frei. Er wolle "niemanden in der Arena sehen". An diesem Montag (16.15 Uhr) wartet Rekordweltmeister Russland, der nach dem 2:1-Penaltysieg gegen Schweden Aufsteiger Italien am Sonntag beim 10:1 nicht den Hauch einer Hoffnung ließ. "Wir sind der Außenseiter", sagte Patrick Reimer. "Aber wir werden uns nicht verstecken." Er lächelte. Zumindest ein bisschen.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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