Eishockey:Wach wie nie

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Tim Wohlgemuth vom ERC Ingolstadt ist der beste junge Stürmer der DEL. Der 20-Jährige vertraute anfangs auf Cola vor den Spielen - inzwischen kommt er auch ohne Zuckerschock zurecht.

Von Christian Bernhard

Aktuellen Untersuchungen zufolge trinkt jeder Deutsche im Schnitt knapp 42 Liter Cola pro Jahr. So viel ist es bei Tim Wohlgemuth nicht, und doch hat der Stürmer des ERC Ingolstadt gute Erfahrungen mit der Zucker-Limo gemacht. Vor seinem ersten Playoff-Spiel in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) nahm Wohlgemuth im März einen kleinen Becher Cola zu sich und erzielte dann ein Tor. Nach zwei Spielen ohne Cola-Zufuhr gönnte er sich vor Spiel vier erneut einen Schluck - und traf wieder. Sein Teamkollege Colton Jobke bestärkte ihn daraufhin, auch vor der fünften Partie gegen Köln Cola zu konsumieren. Wohlgemuth befolgte den Rat des erfahrenen Teamkollegen - und traf schon wieder.

Die aktuelle DEL-Saison ist nun 13 Spiele alt, genau ein Viertel der Hauptrunde ist absolviert. Und Wohlgemuth hat bewiesen, dass er es auch ohne Cola kann. Vier Tore hat der 20-Jährige schon geschossen, doppelt so viele wie in seinen ersten 42 DEL-Hauptrundenpartien in der Vorsaison. Damit ist er teamintern der zweitbeste Torschütze, ligaweit hat kein jüngerer Spieler öfter getroffen als er.

"Ich bekomme in diesem Jahr um einiges mehr Verantwortung und auch mehr Vertrauen", erklärt der Angreifer, der mittlerweile auch in Unterzahl regelmäßig auf dem Eis steht. "Im Schnitt habe ich vier, fünf Minuten mehr Eiszeit als in der vergangenen Spielzeit." Diese nutzt er - Wohlgemuth hat den Schritt vom Talent zum Leistungsträger gemacht. Das zeigt sich schon daran, in welcher Angriffsreihe er nun seit einigen Spielen aufläuft. Wohlgemuth hat als Mittelstürmer Jerry D'Amigo und Kris Foucaul an seiner Seite - zwei der namhaftesten Angreifer im ERC-Kader. Trainer Doug Shedden vertraut dem 20-Jährigen: "Timmy ist so reif und schlau für sein Alter", sagte er der Augsburger Allgemeinen.

Wohlgemuth zahlt das Vertrauen mit Leistung zurück. Am vergangenen Wochenende bereitete er beim 3:0-Sieg in Iserlohn zwei Tore vor, herausragend und mannschaftsintern unerreicht ist seine Plus-Minus-Bilanz von +7. Diese gibt Auskunft darüber, ob ein Spieler öfter bei Toren der eigenen Mannschaft (+) oder der gegnerischen (-) auf dem Eis war. Sie ist ein Indikator für eine gutes Defensivverhalten. "Ich komme um einiges besser mit der Spielweise in der Liga zurecht", erklärt er. Den Schwung, den er sich mit seinen starken Playoffs im Frühjahr geholt hat, "versuche ich gerade am laufen zu halten".

Dabei hilft ihm seine besonnene Art. "Wenn man so bodenständig und intelligent wie Tim ist, habe ich keine Angst, dass er nicht den nächsten Schritt gehen kann", sagte ERC-Sportdirektor Larry Mitchell. Shedden fügte an, er wäre "schockiert", wenn Wohlgemuth, der über sich selbst sagt, er sei eher ein Kopf- als ein Bauchmensch, sein Level nicht auch in diesem Jahr beweisen würde. Obwohl er zuletzt von Scouts der Vancouver Canucks beobachtet worden sein soll, gibt sich Wohlgemuth bescheiden. Man solle seinen guten Auftakt nicht zu hoch hängen. "Ich weiß immer noch sehr gut, wer und wo ich bin - beziehungsweise woran ich noch arbeiten muss." Vom Potenzial her sieht er sich "derzeit noch ziemlich weit unten".

Abheben ist nicht Wohlgemuths Art. Daran hat auch die aufregende Vorsaison nichts geändert, in der ihn Jochen Reimer früh geadelt hatte. Ingolstadts Torhüter lobte die Ruhe des Angreifers, mit der er auf dem Eis zu Werke gehe und betonte, er habe selten einen Spieler gesehen, der in so jungen Jahren schon so bereit für die Liga gewesen sei. Reimers Worte waren ein gutes Omen. Wohlgemuth wurde nicht nur zum fixen Bestandteil des ERC-Angriffs, sondern hatte auch maßgeblichen Anteil daran, dass die deutsche U20-Nationalmannschaft den Aufstieg in die Top-Division schaffte. Dann spielte er in den Playoffs groß auf und wurde dadurch von Bundestrainer Toni Söderholm in die A-Nationalmannschaft einberufen. Sein Debüt feierte Wohlgemuth im April im Kaufbeurer Eisstadion - nur 200 Meter von jenem Haus entfernt, in dem er die ersten 18 Jahre seines Lebens verbracht hatte. Beim Blick ins Publikum habe er "gefühlt 2000 Gesichter erkannt", erzählte er hinterher.

All das schürte die Erwartungen zur neuen Spielzeit. Würde er seine Leistungen bestätigen, der erhöhten externen und eigenen Erwartungshaltung gerecht werden und mit der gesteigerten Aufmerksamkeit umgehen können? Die Antwort lautet: ja. Seine nächste Aufgabe besteht darin, den aktuell Neuntplatzierten ERC weiter nach oben zu führen. "Wir sind in der Tabelle nicht ganz da, wo wir sein wollen und können", sagt Wohlgemuth. Besonders zuhause hapert es noch, Ingolstadt verlor sechs seiner acht bisherigen Heimspiele. Das Heimspiel an diesem Freitag gegen die Eisbären Berlin soll die Wende einläuten. Wie das gehen kann, weiß Wohlgemuth: Er traf im ersten Saisonduell mit den Berlinern doppelt.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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