Süddeutsche Zeitung

Eishockey:Voll geschäftsfähig

Mannheims Tim Stützle wird als nächster deutscher NHL-Star gehandelt: Bei den europäischen Feldspielern wurde er von den Scouts auf Platz eins gesetzt.

Von Johannes Schnitzler

Seit Mittwoch ist Tim Stützle ein freier Mann. Er darf ohne Erlaubnis seiner Eltern heiraten, hochprozentigen Alkohol kaufen oder sich an "jugendgefährdenden Orten" aufhalten, wie es der Gesetzgeber formuliert: Er ist nun voll geschäftsfähig. Und das könnte schon bald von Bedeutung sein. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit hat sich Stützles Blick buchstäblich noch mal geweitet - als Volljähriger muss er kein Schutzgitter mehr vor dem Gesicht tragen. Seine Aussichten hätten allerdings zuvor schon kaum besser sein können. Spätestens seit am Dienstag die National Hockey League (NHL) in ihrem Semester-Ranking veröffentlich hat, welche Talente die besten Chancen haben, im Sommer beim Draft von einem der 31 Klubs vorausgewählt zu werden, gilt der Stürmer vom deutschen Meister Adler Mannheim als aufgehender Stern am Eishockeyhimmel: Die Scouts setzten den 18-Jährigen auf Platz eins der europäischen Feldspieler.

Zum Vergleich: Leon Draisaitl, der beste Deutsche in der NHL, war in seinem Jahrgang die Nummer zwei und wurde schließlich als Nummer drei von Edmonton ausgewählt. Viele Experten glauben, Stützle könnte sogar an Nummer eins gezogen werden, noch vor dem Kanadier Alexis Lafrenière, der die Liste der Nordamerikaner anführt. Stützle wäre der erste Nummer-eins-Pick aus Deutschland. Auch der Münchner John Jason Peterka, seit Dienstag 18, und der Berliner Lukas Reichel, 17, als Achter und 14. der Setzliste haben Ende Juni in Montreal gute Chancen - drei deutsche Erstrunden-Picks wären ein Novum.

Draisaitl sammelt drei Scorerpunkte

Leon Draisaitl hat die Edmonton Oilers in der NHL zurück in die Erfolgsspur geführt. Der 24-jährige Eishockey-Nationalspieler war mit zwei Toren und einer Vorlage maßgeblich am 4:2-Erfolg gegen die Nashville Predators beteiligt. Zuletzt hatte Edmonton das Alberta-Derby in Calgary 3:4 verloren. Mit 73 Punkten ist Draisaitl zweitbester Scorer der Liga hinter seinem Teamkollegen Connor McDavid (74), der mit drei Vorlagen gegen Nashville ebenfalls überzeugte. SID

Dass Stützles Weg über kurz oder lang in die NHL führt, daran zweifelt niemand. Dass die Talentspäher ihn und die anderen seit Monaten beobachten (und hymnisch loben), "das ist nichts Neues für uns", sagte er vor der U 20-WM in Tschechien. Gemeinsam mit Peterka, Reichel, dem in Schweden spielenden Dominik Bokk, 2018 in der ersten Runde von St. Louis ausgewählt, und dem ehemaligen Mannheimer Moritz Seider, 18, vor einem Jahr als Sechster von den Detroit Red Wings gedraftet und bereits bei deren Farmteam in der American Hockey League im Einsatz, führte Stützle den Aufsteiger zum Klassenerhalt. Wie Draisaitl kann er außen oder als Mittelstürmer spielen. In der Deutschen Eishockey Liga hat er in 26 Partien fünf Tore und 18 Vorlagen verbucht, seine fünf Scorerpunkte aus der Partie gegen Augsburg sind DEL-Saisonbestwert. Auch in der Champions League (acht Spiele, fünf Punkte) überzeugte er. Wer Stützle gegenübersitzt, trifft einen aufgeräumten jungen Mann, der weiß, was er kann und was er will. Noch spiele er aus Spaß an der Freude. "Mit 25, 26", glaubt er, werde das wohl anders aussehen. Dann gehe es ums Geld.

Er habe zuletzt viele Interviews geben müssen, sagt Stützle. "Ich versuche immer, ich selbst zu sein, das kommt am besten rüber." Es ist eine erstaunlich abgeklärte Sichtweise, die auch Reichel, Stützles Freund und Zimmerkollege bei der U 20, an den Tag legt. "Manchmal reden wir darüber, wer schon mit welchem Klub gesprochen hat", sagt Reichel. Sie verstehen das Interesse an ihnen als Motivation. Nervös macht es sie nicht. Stützle sagt, seit er 14 geworden sei, lebe er "fast allein" für die Profikarriere. Damals wechselte er aus dem Krefelder Nachwuchs in die Mannheimer Akademie. Das sei der Preis, "wenn man im Eishockey was erreichen will". Während Reichel, Sohn des ehemaligen deutschen Nationalspielers Martin Reichel und Neffe des tschechischen Weltmeisters Robert Reichel, die Schule nach der neunten Klasse abgeschlossen hat, büffeln Peterka und Stützle nebenbei für ihr Abitur: "Damit ich noch was anderes habe", sagt Stützle und grinst: Außerdem sei die Schule eine "gute Ablenkung". Womöglich beginnt der Teil der vollen Geschäftsfähigkeit, in dem es ums Geldverdienen geht, ja schon im Juni in Montreal.

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SZ vom 16.01.2020
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