Eishockey:Unter Krämpfen

"Kopf hoch, wir können gegen sie spielen": Das längste Finalspiel in der deutschen Eishockey-Liga zeigt, dass Wolfsburg dieses Jahr mit den Münchnern mithalten kann.

Von Christian Bernhard

Dominik Kahun ist am vergangenen Sonntagabend einiges schwer gefallen. Das Schnürsenkelbinden etwa, das er gleich achtmal erledigen musste, und sogar das Jubeln. Der Angreifer des EHC Red Bull München hatte mit all dem seine Probleme, da er 97 Minuten lang das hatte machen müssen, was normalerweise in 60 Minuten erledigt ist: Eishockey spielen. "Wir waren alle froh, dass wir uns hinsetzen und die Ausrüstung ausziehen konnten", sagte er, als er in den Katakomben der Münchner Olympia-Eishalle versteckt unter einer Kapuze und einem Käppi hervor blinzelte.

EHC München - Grizzlys Wolfsburg

Kahun, Kahun, Kahun: Der 21-jährige Münchner Stürmer beendete das Finalspiel mit seinem Tor.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Schön, brutal, wunderbar: So beschrieb Kahun das, was er zuvor beendet hatte, nachdem er bereits wegen Krämpfen vom Physiotherapeuten massiert worden war - das längste Finalspiel in der Geschichte der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Dank Kahuns Tor zum 3:2 gewannen die Münchner in der zweiten Verlängerung, sie führen 1:0 in der Neuauflage des Vorjahres-Endspiels gegen Wolfsburg. Die Serie wird nach dem Modus Best-of-seven ausgespielt, das zweite Duell findet am Dienstag in Wolfsburg statt. Kahun sei der Typ für solche Momente, sagt Münchens Verteidiger Florian Kettemer: "Er hat es drauf, das hat er heute wieder gezeigt. Und das war sehr, sehr wichtig." Die Münchner Fans lieben den Stürmer, sie rufen seinen Namen dreimal, wenn er vor dem Spiel aufs Eis kommt oder ein Tor erzielt hat. Der 21-Jährige ist quirlig, technisch stark; er verkörpert das filigrane, spielerische Eishockey.

Eishockey

Kahun ist so alt wie Leon Draisaitl, Deutschlands Vorzeige-NHL-Profi: die beiden sind in Mannheim einen Teil ihres Weges zusammen gegangen, und wäre Kahun körperlich etwas stärker, hätte er wohl auch schon seine Chance in der nordamerikanischen Profiliga bekommen. Technisch ist er über jeden Zweifel erhaben, nicht umsonst haben ihn Scouts aus der russischen Elite-Liga KHL in dieser Saison mehrmals beobachtet. Am Sonntag konnten die Beobachter sehen, wie Kahun den Unterschied machte. Der scheint zwischen den beiden Finalisten nicht mehr so groß zu sein wie im Vorjahr. Durch den knappen EHC-Sieg wurden zwar Erinnerungen an die letztjährige Endspielserie wach, damals hatten die Münchner ebenfalls das erste Spiel zu Hause in der Verlängerung gewonnen und dann die Serie überlegen mit 4:0 Siegen für sich entschieden. Doch die Niedersachsen sind näher an den Favoriten gerückt. "Nichts" sei wie im vorigen Jahr, erklärte Kettemer, "das war ein harter Kampf und so wird es wahrscheinlich weitergehen."

"Sie hören einfach nicht auf zu laufen", sagte Kahun anerkennend, "wir wussten, dass wir es gar nicht mit dem letzten Jahr vergleichen können." Der Sieg-Torschütze erwartet im zweiten Finalspiel am Dienstagabend in Wolfsburg eine noch härtere Aufgabe, "sie sind zu Hause noch viel aggressiver". Am Sonntag schwanden den Wolfsburgern erst in der Schlussphase der regulären Spielzeit die Kräfte, was zum Münchner Dauerdruck in der Verlängerung führte. Die Niedersachsen kaschierten ihr Defizit allerdings klug: Nach vorne fehlte ihnen zwar die Spritzigkeit, defensiv verloren sie ihre Ordnung aber auch in der zweiten Verlängerung nicht. Dadurch blieben sie im Spiel, obwohl die Münchner mehr als doppelt so viele Schüsse auf das gegnerische Tor abgaben (54 zu 26). Wenn der Meister doch durchkam, konnten sich die Gäste auf National-Torhüter Felix Brückmann verlassen, der 51 Schüsse abwehrte. "Sie verteidigen sehr gut", betonte Kahun und erklärte, dass der EHC aufgrund der Wolfsburger Konter stets aufpassen müsse, im Angriff keine Fehler zu machen. Kettemer schickte dennoch eine zwischen den Zeilen versteckte Botschaft in Richtung Wolfsburg. Man habe gesehen, "wie viel Energie wir haben", sagte er, und verwies darauf, dass am Schluss "in unserem Drittel das Eis noch relativ gut war". Auch Wolfsburgs Trainer Pavel Gross vermittelte seine Botschaft, obwohl er auf der Pressekonferenz mehr flüsterte als sprach. Er sei positiv gestimmt, sagte er, "ich habe den Jungs gesagt: 'Kopf hoch, wir können gegen sie spielen'." Gross glaubt nicht, dass die knappe Niederlage lange in den Köpfen seiner Spieler bleiben wird. In den Playoffs sei es egal, ob man 1:9 oder erst in der Verlängerung verliert, sagte er: "Es steht 1:0 für München, und am Dienstag geht es weiter." Auch Münchens Coach Don Jackson, der in seinem achten DEL-Finalspiel gegen Gross' Wolfsburger den achten Sieg gefeiert hatte, erklärte: "Eines ist sicher: Sie haben Selbstvertrauen." Beendet wurden Jacksons Ausführungen durch eine Stimme aus dem Hintergrund. "Jetzt braucht auch der Trainer eine Pause", sagte Münchens Manager Christian Winkler und ging mit Jackson ab. Das Spiel hatte alle Beteiligten geschlaucht, nicht nur Dominik Kahun.

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