Süddeutsche Zeitung

Eishockey:Unerwarteter Rückhalt

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Wie St. Louis, im Januar noch das schlechteste Team der NHL, den Weg ins Stanley-Cup-Finale fand.

Von Johannes Kirchmeier

Ob es denn nicht nervenaufreibend für ihn sei, fragte ein Journalist noch zu Beginn der Playoffs in der nordamerikanischen Profiliga NHL. Jordan Binnington kniff seine Lippen kurz zusammen und antwortete dann mit einer Gegenfrage: "Schaue ich etwa nervös aus?" Nein, meinte der Gesprächspartner. "Dann haben Sie Ihre Antwort." Das saß, dieser Mann scheint reichlich Selbstvertrauen zu haben.

So eine Antwort verwundert auch gar nicht, wenn man den Umstand bedenkt, dass sie ein NHL-Spieler gegeben hat. Die Leute, die dort auf dem Eis stehen, haben sich gegen eine riesige weltweite Konkurrenz durchgesetzt, die sind gestählt. Doch Binnington ist eigentlich gar kein erfahrener Recke, er spielt erst seit Januar in der stärksten Eishockey-Liga der Welt. Seine Berufung kam reichlich spät, muss man hinzufügen, er ist ein Liganeuling im Alter von 25 Jahren. So einer könnte auch ein zweifelnder Charakter sein. Doch zum Zweifeln fehlen Binnington gerade die Gründe. Denn seitdem er ins Tor der St. Louis Blues kam, hat er das Team, von dem man dachte, dass es wohl nie einen Stanley Cup gewinnen wird, ins erste Stanley-Cup-Finale seit 1970 geführt. In der Nacht auf Dienstag (2 Uhr MESZ) beginnen sie die Best-of-7-Serie bei den Boston Bruins, kurioserweise war das auch vor 49 Jahren der Gegner. "Das ist unglaublich", sagte der Angreifer Pat Maroon, geboren und aufgewachsen in St. Louis, nach dem Sieg. "Diese Stadt hat so viele Jahre auf das gewartet."

Die Geschichte des Finaleinzugs hat vor allem mit der Geschichte von Binnington zu tun. Denn am 2. Januar war das Team aus dem US-Bundesstaat Missouri noch das schlechteste der Liga. Trainer Craig Berube wagte etwas und setzte fünf Tage später erstmals auf Binnington, der seit Jahren Torhüter des Farmteams in der American Hockey League (AHL) war, zeitweise spielte er sogar in der drittklassigen ECHL und hielt eine NHL-Karriere daher wohl selbst nur noch für bedingt möglich. Doch dann ließ er in seinem ersten Einsatz für die Blues kein Gegentor gegen die Philadelphia Flyers zu (3:0). Er wurde schnell zum sicheren Rückhalt und trug dazu bei, dass St. Louis in den insgesamt 45 Hauptrunden-Spielen seit Anfang Januar das stärkste Team der Liga war. 30-mal blieben die Blues unbesiegt und in den Playoffs schlugen sie in jeweils engen Serien erst die Winnipeg Jets und anschließend die Dallas Stars sowie die San José Sharks.

Ein Erfolgsgeheimnis: Binnington grübelt nach schlechten Spielen nicht

Binnington hat in dieser Zeit nicht immer überragend gehalten, doch er weist immer noch einen passablen Gegentorschnitt auf (1,89 in der Hauptrunde, 2,37 in den Playoffs) und er hat die Fähigkeit, dass er auch nach schlechten Spielen, in denen er mal fünf oder sechs Gegentore kassiert, wieder stark und gar nicht grüblerisch zurückkommt. Als sein Team nach einer Niederlage gegen Dallas, die das 2:3 nach Siegen in der Serie bedeutete, mit Pfiffen aus der eigenen Halle verabschiedet wurde, führte es Binnington anschließend zu den entscheidenden zwei Erfolgen. St. Louis zog ins Finale der Western Conference ein. "Er hat immer die richtige Antwort gefunden", sagt Trainer Berube über den Keeper. Nein, ein normaler Rookie ist der nicht.

Hinzu kommt bei den Blues natürlich auch, dass sich das Team vor ihm so stark präsentiert wie lange nicht. Angreifer Jaden Schwartz etwa, Bruder des früheren Bremerhavers und baldigen Nürnbergers Rylan, hat bereits zwölfmal getroffen in den Playoffs, und sein Partner Vladimir Tarasenko war mit acht Punkten in den sechs Conference-Finalspielen gegen San José der Topscorer der Serie. Es funktioniert gerade seit langem wieder sehr viel in der Stadt der Musik.

Favorisiert ist in der Finalserie trotzdem nicht St. Louis, sondern Boston, das die Hauptrunde im Osten als zweitbestes Team abschloss. Doch was heißt das schon in diesem Jahr, in dem Jordan Binnington so vieles gelingt, was man nie für möglich hielt? "Schaue ich etwa nervös aus?", würde er jetzt vermutlich fragen. Dieser Mann startet selbstbewusst in die Serie gegen die Bruins.

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Quelle:
SZ vom 26.05.2019
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