Eishockey:Stürmer mit Führungsspieler-Paket

Ice hockey, Eishockey - Red Bull Salute KITZBUEHEL,AUSTRIA,14.AUG.21 - ICE HOCKEY - Red Bull Salute, EHC Red Bull Muenc; Ben Street

Am Donnerstag und am Samstag soll Ben Street ( hier im Testspiel gegen den HC Kosice) wieder für den EHC München scoren.

(Foto: Thomas Bachun /Imago)

Ben Street bereichert mit Tempo, Spielwitz und Gelassenheit das Spiel des EHC Red Bull München. Mit Trevor Parkes und Frederik Tiffels bildet er im Angriff die neue Parade-Reihe.

Von Christian Bernhard

Die ersten Tage in Europa halten für so manchen Nordamerikaner Überraschungen bereit. Ben Street etwa hatte in seinem neuen Zuhause so seine Probleme mit einem handelsüblichen deutschen Fenster. Als der neue Angreifer des EHC Red Bull München es zum ersten Mal öffnete, dachte er, es sei kaputt. "Dann habe ich festgestellt, dass man in Deutschland die Fenster auch kippen kann", berichtet der 34-jährige Kanadier. Die deutschen Straßenschilder und Straßenvorschriften sind für ihn auch jetzt noch gewöhnungsbedürftig.

Deutlich weniger, um nicht zu sagen keine Anpassungsschwierigkeiten hatte Street im Kreise seiner neuen Mannschaftskollegen. Läuferisch sticht er bereits heraus. Vorne, hinten, links, rechts, auf offener Eisfläche, an der Bande: Der Mittelstürmer ist auf dem Eis sehr viel unterwegs. Bei seinen ersten Auftritten im EHC-Trikot konnte man bisweilen den Eindruck gewinnen, drei Ben Streets stünden gleichzeitig auf dem Eis, so aufopferungsvoll jagte er Puck und Gegner hinterher. Diese Woche kann sich das Münchner Publikum, das erstmals seit eineinhalb Jahren wieder in die Olympia-Eishalle darf, selbst ein Bild davon machen: Am Donnerstag treffen Street und der EHC in der Champions Hockey League (CHL) auf das dänische Team aus Vojen (19 Uhr), am Samstag ebenfalls zu Hause auf Rögle BK aus Schweden (20 Uhr).

Als ihm ein stürzender Gegenspieler versehentlich mit der Kufe den Nacken aufschlitzt, behält Street die Ruhe

Street scheint schon in seinen ersten Münchner Wochen eine besondere Chemie mit seinen Reihenpartnern Trevor Parkes und Frederik Tiffels aufgebaut zu haben. Das Trio ergänzt sich sehr gut: Rund um das Tor bringt Parkes seine Physis ein, Tiffels glänzt mit seiner Schnelligkeit und Street ist der spielstarke Kitt, der die Formation zusammenhält. "Die Neuen sind auf dem Eis ziemlich flink unterwegs, genau das, was wir brauchen", sagt Nationalspieler Yasin Ehliz, der ebenfalls zur Abteilung Geschwindigkeit beim EHC zählt. Beim jüngsten Münchner CHL-Auftritt in Schweden reichte Street eine Szene, um seine Dynamik, Spielstärke und Übersicht geballt vorzuführen. Beim Tiffels-Treffer gegen Rögle BK legte er sich die Scheibe noch in der neutralen Zone selbst vor, zog inmitten von zwei Gegenspielern blitzschnell davon und passte die Scheibe von der Bande hinter dem Tor so präzise vors Tor, dass Tiffels sie problemlos versenken konnte. Zuvor hatte Street in Überzahl per wuchtigem und präzisem Schlenzer selbst getroffen. Seine Ausbeute in den ersten zwei CHL-Spielen: ein Tor, zwei Vorlagen.

Zusammen mit Ben Smith, der aus Mannheim kam, soll Street nach den Weggängen von Mark Voakes und Derek Roy die nächste erfahrene nordamerikanische Mittelstürmer-Achse beim EHC bilden. Street hat dafür erstmals Nordamerika verlassen. Er blickt auf sieben Jahre in der NHL zurück, so richtig durchgesetzt hat er sich in der besten Eishockey-Liga der Welt aber nie: Sechs Saisonspiele hier (Calgary), sieben dort (Colorado), drei da (New Jersey). Ziemlich erfolgreich war er aber in der AHL, dem NHL-Unterbau. Dort verbuchte er 484 Scorerpunkte in 587 Partien, wurde 2017 Meister mit den Grand Rapids Griffins und war zuletzt Kapitän bei den Binghamton Devils. EHC-Manager Winkler schreibt ihm ein "echtes Führungsspieler-Paket" zu. Teil des Pakets scheint auch eine ausgewiesene Gelassenheit zu sein. Die war vor knapp fünf Jahren nicht zu übersehen, als ihm ein stürzender Gegenspieler versehentlich mit der Kufe den Nacken aufschlitzte. Street verließ das Eis aus eigener Kraft und wurde direkt ins Krankenhaus gebracht, wo die Wunde mit zahlreichen Stichen genäht wurde. Der Kanadier hatte Glück, keine großen Arterien und Venen waren betroffen. "Ich habe wirklich Angst bekommen", sagte sein damaliger Trainer Jeff Blashill, der Streets "unglaubliche Selbstbeherrschung" in jenen Momenten lobte. Kurz darauf stand Street schon wieder auf dem Eis.

Bei den New Jersey Devils war er Teil der "Taxi Squad", um im Fall einer Corona-Infektion einzuspringen

Auch in der letztjährigen Saison machte der Kanadier eine alles andere als alltägliche Erfahrung. In der Organisation der New Jersey Devils war er Teil der sogenannten "Taxi Squad", die vom Rest des Kaders isoliert wurde, um im Falle eines Corona-Ausbruchs im Team sofort einspringen zu können. So sehr ihn die Aussicht auf NHL-Einsätze zunächst antrieb, sei das ständige Trainieren abseits des Teams und das Warten auf eine etwaige Corona-Infektion eines Kollegen nach einer Weile zu einer mentalen Herausforderung geworden, erzählt Street. Bei den Münchnern wird er Probleme solcher Art nicht bekommen, Street ist als einer der Anker in der Mannschaft eingeplant. Gegen Rögle stand er mehr als 18 Minuten auf dem Eis, kein EHC-Angreifer kam auf so viel Einsatzzeit. Street vereine viele wichtige Eigenschaften, betont Winkler, darunter auch "Charakterstärke und Leadership-Qualitäten". In Schweden führte sein beherztes Auftreten zu einem folgenschweren Foul, das Rögle sechs Sekunden vor Spielende einen Penalty bescherte, der die 3:4-Niederlage des EHC besiegelte. Streets Reihenkollege Parkes gefiel die Schiedsrichterlinie überhaupt nicht, was in einer Strafe wegen Schiedsrichterbeleidigung mündete. Der Maßstab europäischer Unparteiischer ist für nordamerikanische Spieler manchmal schwer nachzuvollziehen - noch etwas, an das sich Ben Street erst noch gewöhnen muss.

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