Eishockey: Start der NHL-Saison:Fehlende Zähne und ein Fluch

Deutsche Spieler mit Chancen auf den Titel, skurrile Regeln und der Videobeweis als Vorbild für den Fußball: In der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL beginnt die neue Saison. Die Vorschau.

Jürgen Schmieder

Rentenverträge

New Jersey Devils v New York Islanders
(Foto: AFP)

Für die größte Diskussion in der Sommerpause sorgte nicht etwa die Eishockey-WM in Deutschland, sondern der Vertrag, den die New Jersey Devils mit Ilja Kowaltschuk (im Bild) vereinbarten. Nicht nur das Gehalt (102 Millionen Dollar) war exorbitant, sondern auch die Laufzeit: 17 Jahre, am letzten Geltungstag wäre Kowaltschuk 44 Jahre alt gewesen. Schon in der vergangenen Sommerpause hatten NHL-Klubs ein Schlupfloch in der Vereinbarung zwischen Liga und Spielergewerkschaft genutzt, um ganz legal die Gehaltsobergrenze aus den Angeln zu heben.

Die Chicago Blackhawks hatten dem damals 30-jährigen Stürmer Marian Hossa einen Zwölf-Jahres-Vertrag angeboten und wurden mit seiner Hilfe Meister, die Philadelphia Flyers statteten den 35-jährigen Chris Pronger mit einem Kontrakt über sieben Jahre aus. Grund für diese langen Laufzeiten: Für die Salary Cap ist der Gehaltsdurchschnitt aus allen Jahren entscheidend. Freilich war sowohl den Vereinen als auch den Spielern klar, dass diese Akteure nicht so lange werden spielen können, in der vergangenen Saison waren von den etwa 1000 Profis gerade einmal acht Spieler älter als 40 Jahre.

Die Liga hat nun reagiert und die New Jersey Devils wegen des Versuchs, den Arbeitsvertrag zu umgehen, zu einer Strafe von drei Millionen Dollar verdonnert und zwei Draft-Rechte entzogen. Zudem musste Kowaltschuks Vertrag geändert werden: Er verdient nun 100 Millionen Dollar in 15 Jahren.

Zurück zu den Wurzeln

Zurück zu den Wurzeln

Philadelphia Flyers v Buffalo Sabres
(Foto: AFP)

In den neunziger Jahren versuchten amerikanische Sportvereine, die Klubs als hippe Einrichtungen und die Spiele als gesellschaftliche Events zu verkaufen. Das brachte neben übertriebenen Cheerleadereinlagen, Feuerwerken und Verlosungen auch den Trend mit sich, die Logos der Vereine in grellen Farben zu präsentieren, mit Graffiti und Blitzen. Zumindest in der NHL ist das nun vorbei.

Die Buffalo Sabres verwenden auf ihren Trikots wieder das Wappen, das bei der Vereinsgründung vor 40 Jahren als Erkennungsbild diente, ein Bison mit zwei Schwertern darunter (im Bild). Auch die New York Islanders und die Vancouver Canucks greifen auf die Vintage-Trikots zurück - bereits in der vergangenen Saison holten die Pittsburgh Penguins und die Philadelphia Flyers die alten Uniformen aus den Schränken. "Ich weiß auch nicht, was uns geritten hat, als wir damals diese grellen Trikots verwendet haben", sagt Flyers-Präsident Peter Lukko.

Den Fans scheint die Rückkehr zu den alten Trikots zu gefallen - die Sabres und die Islanders melden bereits jetzt Lieferschwierigkeiten.

Wo sind die Deutschen?

Beleskey is taken off the puck by Glass and  Ehrhoff in the second period during their preseason NHL hockey game in Anaheim
(Foto: REUTERS)

Wo sind die Deutschen?

Da waren's nur noch vier. Erstmals seit Jahren droht die deutsche Fraktion in der NHL auf ein Quartett zusammenzuschrumpfen. Nur Christian Ehrhoff (im Bild rechts), Dennis Seidenberg, Jochen Hecht und Marcel Goc sind in der besten Liga der Welt bei ihren Teams noch gesetzt - mit dem verletzten Marco Sturm (Kreuzbandriss im Mai) könnte zu Jahresende immerhin der beste deutsche Profi als Nummer fünf dazukommen. Immerhin gelten Ehrhoffs Vancouver Canucks als Favorit auf den Titel. "Das ist mein Ziel, es wäre der absolute Höhepunkt", sagt der Verteidiger.

Für den Rest sieht es düster aus. Thomas Greiss droht die Tribüne, Alexander Sulzer ein weiteres Jahr im unterklassigen Farmteam. Die Rookies Marcel Müller und Korbinian Holzer fangen ebenfalls im Unterhaus (AHL) an. Christoph Schubert wechselte im September zu Vastra Frölunda nach Schweden.

Den großen Sprung verpasst haben erst einmal Stürmer Müller und Verteidiger Holzer. Die Nationalspieler sind aus Köln und Düsseldorf zu den Toronto Maple Leafs gewechselt, konnten sich aber noch nicht durchsetzen und spielen bei den Toronto Marlies in der AHL. Immerhin hat Torhüter Dennis Endras einen Zwei-Jahres-Vertrag bei den Minnesota Wild unterschrieben. In dieser Saison spielt er allerdings noch in Augsburg, erst danach soll der Sprung in die NHL folgen.

Ab nach draußen

Chicago Blackhawks Practice at Wrigley Field
(Foto: AFP)

Ab nach draußen

Auch in dieser Spielzeit trägt die NHL wieder ein Spiel der regulären Saison unter freiem Himmel aus. Das sogenannte Winter Classic Game gibt es seit 2008, als die Buffalo Sabres vor 71.217 Zuschauern im Ralph Wilson Stadium mit 1:2 gegen die Pittsburgh Penguins verloren. Ein Jahr später spielten die Chicago Blackhawks im legendären Baseballstadion Wrigley Field gegen die Detroit Red Wings (im Bild, 4:6), im vergangenen Jahr gab es im Bostoner Fenway Park die Partie der Boston Bruins gegen die Philadelphia Flyers (2:1).

In dieser Saison spielen die Pittsburgh Penguins gegen die Washington Capitals. Die Partie findet am 1. Januar im Footballstadion der Steelers statt, es werden mehr als 60.000 Zuschauer erwartet. Die teilnehmenden Mannschaften indes erwartet sowohl der "Winter-Classics-Segen" als auch der "Winter-Classics-Fluch": Bisher erreichte das siegreiche Team dieses Duells immer das Finale um den Stanley Cup - und bisher unterlag dieser Verein stets in dieser Finalserie.

Schwere Titelverteidigung

San Jose Sharks v Chicago Blackhawks - Game Four
(Foto: AFP)

Schwere Titelverteidigung

Duncan Keith, Verteidiger der Chicago Blackhawks, brachte es während der Vorbereitung auf den Punkt: "Den Titel zu verteidigen wird sehr schwer, wenn man bedenkt, wie viele Spieler den Verein gewechselt haben", sagte er. "Wir haben mehr Spieler verloren als ich in den vergangenen Playoffs Zähne." Keith (im Bild) bekam damals einen Puck ins Gesicht, sieben Zähne flogen aus seinem Mund. In der Sommerpause mussten die Blackhawks neun Spieler abgeben.

Zwar blieb der Kern der Mannschaft zusammen, die Verteidiger Brent Seabrook, Brian Campbell, Niklas Hjalmarsson und eben Keith sind noch in Chicago wie auch die Stürmer Patrick Kane, Patrick Sharp und Marian Hossa. Doch die Statistik spricht gegen die Blackhawks. Die letzte Mannschaft, die ihren Titel in der NHL verteidigen konnte, waren die Detroit Red Wings im Jahr 1998.

Wo sind die Franzosen?

Montreal Canadiens goalie Auld makes a save on the Buffalo Sabres during their NHL pre-season hockey game in Montreal
(Foto: REUTERS)

Wo sind die Franzosen?

Die Montreal Canadiens sind der Sportklub mit den meisten Fans in Kanada, mehr noch, sie sind Ausdruck eines Lebensgefühls. In Kanada ist keine Rivalität so ausgeprägt wie die zwischen den englisch und den französisch sprechenden Kanadiern, und weil kulturelle Unterschiede gerne mit Hilfe des Sports ausgedrückt werden, gibt es in Kanada seit Anfang des vorigen Jahrhunderts eine tiefe Rivalität zwischen den Canadiens und den Toronto Maple Leafs.

Die Canadiens sind der erfolgreichste Klub der NHL-Geschichte, 24-maliger Meister; zu verdanken haben sie das den Flying Frenchmen, Spielern wie Jean Beliveau, Jacques Plante und Maurice Richard, die allein in den fünfziger Jahren sechsmal den Cup nach Montreal holten. Die Fans legen Wert auf ihre französische Herkunft und darauf, dass der Klub "Les Canadiens de Montréal" heißt und die Liga LHN, "Ligue Nationale de Hockey". Und sie bestehen darauf, Frankokanadier im Team zu haben. Allerdings haben sie jetzt nur noch drei davon im Kader: die Stürmer Maxim Lapierre, Benoit Pouliot und Mathieu Darche. Drei von 22, das ist zu wenig, finden die Fans, überhaupt zähle Pouliot gar nicht, weil er in Ontario geboren ist und nicht in Québec.

Buffalo Sabres v Philadelphia Flyers
(Foto: AFP)

Ein Hoch dem Videobeweis

Ein Hoch dem Videobeweis

Der War Room in Toronto ist kein schöner Raum, elf mal vier Meter, keine Fenster. Aber er ist das Herz der NHL, der besten Eishockey-Liga der Welt. An jedem Spieltag sitzen dort acht Mitarbeiter, von denen die meisten mal Eishockeyprofis waren. An den Wänden hängen riesige Fernseher, vier Uhren aus den Zeitzonen, dazu die Kaderlisten der Teams inklusive Gehälter. Man ist über alles informiert, jederzeit.

Die NHL setzt - wie überhaupt die nordamerikanischen Ligen - Standards im Sport. Seit 2003 wird der Videobeweis in der NHL ausschließlich in diesem Raum in der Ligazentrale geführt, dort wird grundsätzlich jedes Tor begutachtet, aus acht Kameraperspektiven, und falls einer der zwei Hauptschiedsrichter am Spielort bei einem Tor unsicher ist, läuft er zur Bande und telefoniert mit Toronto. Das dauert Sekunden - in denen sich Spiele entscheiden.

Im Eishockey wurden 1877 - zwei Jahre nach dem ersten Spiel überhaupt - bereits Torrichter eingesetzt. Und 1991, als sie in der NHL den Videobeweis einführten, da erfanden sie im Fußball: die gelb-rote Karte.

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(Foto: AFP)

Neue Regeln für Torhüter

Neue Regeln für Torhüter

Gleiche Schoner für alle, das war lange Zeit die Regel für die NHL-Torhüter. Der Fußschutz durfte maximal 96,52 Zentimeter lang sein, ob der Mann zwischen den Pfosten nun 1,98 Meter groß war wie der größte Torwart der Liga, Ben Bishop, oder nur 1,77 Meter groß wie der kürzeste, Manny Legace. Nun sollen die Torhüter Schoner tragen, die ihrer Größe entsprechen. "Damit machen wir das Spiel ein wenig fairer", sagt Ryan Miller, der Torhüter der Buffalo Sabres.

Auf jeden Fall sorgt die neue Regel für ein kompliziertes Messverfahren: Jeder Torhüter wird zwei Mal vermessen, einmal von der Sohle bis zum Knie und dann vom Knie zum Hüftknochen. Der erste Wert wird mit 55 Prozent des zweiten Wertes addiert, dazu werden 10,16 Zentimeter hinzugerechnet. Dann wird abgerundet auf den nächstniedrigeren Wert in Inches - und schon ist die Maximalgröße des Schoners für einen Torwart festgelegt.

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