Eishockey: NHL-Finale:Nordamerika sucht zweiten deutschen Sieger

Nach Dirk Nowitzki gewinnt in der Nacht auf Donnerstag wieder ein Deutscher einen großen Titel in Nordamerika - im Eishockey. Obwohl Dennis Ehrhoff mit Vancouver peinliche Niederlagen einsteckte, hat er im siebten Finalspiel besser Aussichten als Dennis Seidenberg mit Boston.

Michael Neudecker

In Kanada nennen sie Eishockey "our game", sie schreiben das gerne auf Pappschilder, "unser Spiel", und halten die Schilder bei jeder Gelegenheit hoch. Der Kanadier ist stolz, er ist Lokalpatriot, und er definiert sich über Eishockey. Er liebt die Maple Leafs, wenn er aus Toronto kommt, er vergöttert die Canadiens, wenn er in Montreal lebt, aber Liebe hat Grenzen, jedenfalls im Sport.

Vancouver Canucks v Boston Bruins - Game Four

Kandidat Nummer eins: Dennis Seidenberg (links) und die Boston Bruins.

(Foto: AFP)

In Deutschland soll es Dortmund-Fans geben, die dem FC Bayern im Finale der Champions League die Daumen drücken würden, aber in Kanada ist die Grenze der Liebe zum Klub dort, wo die Stadt zu Ende ist. Es ist eine harte Grenze, eine eindeutig gezogene.

Die Vancouver Canucks können Mittwochnacht nach 18 Jahren wieder den Stanley Cup nach Kanada holen, die Meistertrophäe der Eliteliga NHL, und der Toronto Star, die auflagenstärkste Zeitung des Landes, druckte am Dienstag die Schlagzeile: "Warum die Canucks der Meister wären, der den Titel am wenigsten verdient hätte", und dann, im Text: "Wohl von allen Meistern der Sportgeschichte, der Menschheitsgeschichte, zurück bis in die Zeiten, in denen Mammuts und Dinosaurier lebten."

Das Blatt begründete die These stichhaltig: Wer in einem Finale auswärts dermaßen untergehe wie die Canucks regelmäßig in Boston untergingen, dürfe nicht Meister werden. Punkt.

Die Finalserie 2011 der NHL ist eine besondere, nicht nur aus deutscher Sicht, weil erstmals zwei Deutsche im Finale sind, Christian Ehrhoff (Vancouver) und Dennis Seidenberg (Boston), und somit feststeht, dass der Cup zum zweiten Mal in seiner Geschichte nach 1996 (Uwe Krupp) nach Deutschland kommen wird; das tut er tatsächlich, weil jeder Cup-Gewinner das Recht hat, den Pokal für 24 Stunden mitzunehmen.

Die Verteidiger Ehrhoff und Seidenberg haben großen, bisweilen entscheidenden Anteil an den Resultaten ihrer Teams, und das ist nun das Besondere in dieser Finalserie: die Resultate. In den bislang sechs Spielen gab es ausschließlich Heimsiege, Vancouver verlor in Boston 1:8, 0:4, und jetzt, in Spiel sechs in der Nacht zu Dienstag, 2:5. Nach acht Minuten und 18 Sekunden lagen sie schon 0:4 zurück, es waren die schnellsten vier Tore in der Geschichte der NHL-Finals. Es war peinlich.

118 Dezibel beim 4:0

Ehrhoff stand beim ersten Gegentreffer auf dem Eis, Seidenberg leitete das Tor mit einem Pass ein, aber darum geht es nicht, wenn sie in Vancouver und Boston dieser Tage über das Finale diskutieren. Es geht um die beiden Torhüter, schon die ganze Serie: Tim Thomas, der 37-Jährige, hält konstant so überragend, dass er ein sicherer Kandidat für die Auszeichnung als wertvollster Spieler der Finalserie ist, sollte Boston gewinnen.

Bruins' Ryder collides with Canucks' Ehrhoff durng the first period of Game 2 of the NHL Stanley Cup hockey playoff in Vancouver

Kandidat Nummer zwei: Christian Ehrhoff (links) und die Vancouver Canucks.

(Foto: REUTERS)

Roberto Luongo dagegen, der Torhüter Vancouvers, hat eine verheerende Statistik vorzuweisen: 66 Schüsse, 15 Gegentreffer, Fangquote 77 Prozent. Die Zahlen beziehen sich allerdings ausschließlich auf die Partien in Boston - in Vancouver hält er wie Thomas, dort kommt Luongo auf beachtliche 97 Prozent. Heimvorteil ist nur ein Wort, in der NHL-Finalserie 2011 aber ist er eine Tatsache.

Die Amerikaner sind selbstverständlich in der Lage, den Heimvorteil statistisch auszudrücken. Die Liga nimmt während der Spiele Lautstärkemessungen vor, in der Tabelle zu Spiel sechs ist zu sehen, dass die Lautstärke in Bostons Arena, die sie den Garden nennen, oft nahe an den Grenzbereich des für das menschliche Ohr Erträglichen ging.

118 Dezibel, so laut wie ein sehr großer Presslufthammer, als Boston das 4:0 erzielte, aber doch auch 106 Dezibel, als das Stadion höhnisch "Luoooongo, Luoooongo" rief. Und noch einmal 107 Dezibel, als Luongo nach seiner Auswechslung nach drei Gegentreffern auf dem Videowürfel gezeigt wurde, auf der Bank sitzend.

Luongo wird in Spiel sieben trotzdem wieder das Tor hüten, das steht außer Frage, und auch Dennis Seidenberg und Christian Ehrhoff werden auflaufen, die beiden absolvieren regelmäßig die meiste Eiszeit in ihren Teams. "Jeder spielt als Kind im Garten immer Spiel sieben des Finales aus", sagt Christian Ehrhoff, "jetzt haben wir die Chance, uns diesen Traum zu erfüllen." Er ist zuversichtlich, der Garten ist ja jetzt noch einmal in Vancouver.

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