Es gibt während Partien der Edmonton Oilers diese Momente, die sie im US-Sport-TV wie die Ankunft der Pistoleros im Saloon inszenieren: Aufpassen, da wird was passieren! Strafzeit für den Gegner und damit Überzahl für die Oilers. Zu sehen ist der Täter, wie er in die Strafbox fährt; danach dessen Trainer, der so besorgt guckt wie der Barkeeper, der ahnt, dass das nicht gut für ihn und sein Team ausgehen wird. Dann: Schnitt auf zwei Oilers-Angreifer im Splitscreen. Der eine, Connor McDavid, guckt oft grimmig; Leon Draisaitl hat dagegen meist einen Mundwinkel oben und ein Auge halb geschlossen zum Charles-Bronson-Blick.
Sie dürfen jetzt gemeinsam aufs Eis, und das ist ja wirklich so, als kämen Wyatt Earp und Doc Holliday gemeinsam zum Duell in der Mittagssonne – gegen einen Kontrahenten, wie schon erwähnt: Überzahl. Vor Wiederbeginn dann Vogelperspektive mit Grafik: Hier ist Draisaitl, dort McDavid, als würde irgendwer nicht wissen, wer die beiden sind. Aber gut, zu den Stanley Cup Finals, der Finalserie der Eishockeyliga NHL, schalten vielleicht Neulinge ein. Es dürften auch einige deutsche Fans in der Nacht zum Sonntag aufstehen, um die erste Partie der Best-of-seven-Serie zwischen den Oilers und den Florida Panthers (2 Uhr, Sky) zu gucken. Und die wollen wissen: Wer wird diese prägen? Worauf sollte man achten?
Das Interessante: Selbst Leute, die in ihrem Leben nie Eishockey gesehen haben, erkennen McDavid nach spätestens 20 Sekunden. Der Mann fetzt übers Eis wie der tasmanische Teufel, der Puck scheint von ihm besessen zu sein. Beispiel: der erste Treffer der Oilers beim letzten Halbfinalspiel gegen Dallas. Es braucht die Zeitlupe, um zu kapieren, was passiert: Überzahl Oilers, Draisaitl passt auf McDavid. Der umkurvt einen Gegenspieler, foppt den nächsten mit Vorhand-Rückhand-Wechseln und lupft den Puck ins rechte obere Eck.
Erstmals seit 31 Jahren könnten die Oilers den Stanley Cup wieder nach Kanada holen
Draisaitl erkennt man nicht unbedingt sofort, der Puck gehorcht ihm anders. Die NHL-Kollegen haben ihn mehrfach zum besten Passgeber der Liga gewählt – in dieser Saison stand das bei der Umfrage nicht auf dem Zettel; wohl deshalb, weil Draisaitl ohnehin gewonnen hätte. Er antizipiert Situationen, und er wandelt den Spruch von Wayne Gretzky („Fahre nie dorthin, wo der Puck ist – sondern dahin, wo er sein wird“) auf seine Fähigkeiten um: Spiele den Puck dorthin, wo ein Mitspieler ein Tor erzielen kann. Seine technischen Fertigkeiten erlauben es ihm, quasi aus jeder Lage und zur Not auch durch die Beine oder mit den Kufen zu einem Kollegen zu passen. Als Zuschauer sagt man hinterher, nach Studium der Zeitlupe: Natürlich musste der Puck in genau diesem Moment exakt dorthin – Draisaitl ist aber der, der das permanent in Echtzeit schafft.
NHL-Profi Leon Draisaitl:In den Sphären von Gretzky
In allen zwölf Playoff-Partien hat NHL-Profi Leon Draisaitl mindestens ein Tor erzielt oder aufgelegt, seine Edmonton Oilers stehen im Halbfinale. Dort sind sie Außenseiter - aber mit neuem Selbstbewusstsein, das viel mit dem Kölner zu tun hat.
Die zweite große Fähigkeit: Direktabnahme von halbrechts, wuchtig und präzise. Genau deshalb stehen bei McDavid 31 Scorerpunkte (Tore und Vorlagen) auf dem Playoff-Zettel und bei Draisaitl 28. Der erste Panthers-Spieler ist Matthew Tkachuk mit 19. Überzahl-Quote der Oilers: 37,3 Prozent, Florida nutzt weniger als ein Viertel seiner Powerplays. Das ist die dritte Stärke von Draisaitl, für die man allerdings genau aufpassen muss. Er nutzt die Gabe der Antizipation mittlerweile auch in der Defensive – vor allem in Unterzahl. Er stellt Passwege zu, blockt Schüsse, stibitzt Pucks. Die Oilers haben die letzten 24 Strafzeiten ohne Gegentor überstanden und im Halbfinale gegen Dallas sogar selbst in Unterzahl getroffen.
Das ist die Magie von McDavid und Draisaitl bei ihrer ersten Finalteilnahme und der Chance, den Stanley Cup zum ersten Mal seit 31 Jahren wieder nach Kanada zu holen: Dem einen gehorcht der Puck am Schläger, dem anderen bei Schüssen und Pässen – und wenn die beiden in Überzahl gemeinsam auf dem Eis sind, sollte man nicht blinzeln; man könnte den Zauber verpassen.