Eishockey-Nationalteam verpasst Olympia:Durchgefallen beim Charaktertest

Deutschland - Österreich

Eishockey-Spieler André Rankel: mit dem deutschen Team an Österreich gescheitert.

(Foto: dpa)

Bitteres Aus für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft: Erstmals in der Geschichte des Verbandes kann sich das Team nicht für die Olympischen Spiele qualifizieren. Gegen Österreich verspielt die Auswahl von Pat Cortina einen Erfolg - und schlittert in eine tiefe Krise.

Von Johannes Schnitzler, Bietigheim-Bissingen

Die Antwort hatte Pat Cortina früh gegeben. "No", hatte er gesagt, nein, er sei kein Italiener. Vater und Mutter, ja, die schon. Und ja, er hat mal die italienische Mannschaft gecoacht. Cortina spricht Italienisch. Aber die Staatsbürgerschaft, nein, die besitze er nicht. Er sei Kanadier. Also: "no". Es war ein weiches englisches "no", kein italienisches "nó" und schon gar kein deutsches "nein". Diese merkwürdige Sprache kommt Cortina immer noch schwer über die Lippen.

Die Frage nach seiner Identität hat der Trainer des EHC München, seit er auch Bundestrainer ist, mindestens so oft gestellt bekommen wie jene nach der Identität seiner Mannschaft. Vielen ist Cortina immer noch ein Unbekannter. Er lebe und arbeite in Deutschland, also fühle er deutsch, hat Cortina stets geantwortet. Und so stand Pat Cortina, 48, geboren und aufgewachsen in Montréal, Kanada, am Sonntagabend in Bietigheim, Schwaben, und trauerte mit den anderen Deutschen in der Halle, denen auf dem Eis und denen auf den Zuschauerplätzen.

Die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) hatte soeben durch ein 3:2 (1:0, 0:1, 1:1) nach Verlängerung gegen Österreich die Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi verpasst. Zum ersten Mal ist Deutschland sportlich nicht qualifiziert. Nach dem 1:2 nach Verlängerung vom Freitag gegen Italien belegte der Favorit in Gruppe D nur Platz zwei bei diesem Turnier, von dem nur ein 5:1-Pflichterfolg gegen die drittklassigen Niederländer bleibt. Und eine Menge Fragen.

Ist Cortina der richtige Trainer? Darf er seinen bis 2015 geltenden Vertrag erfüllen, der ihn von der kommenden Saison an zum Trainer und Sportdirektor befördert? Wird Bietigheim zum Fanal für DEB-Präsident Uwe Harnos? 2014, wenn die anderen Nationen in Sotschi spielen, stehen beim DEB Neuwahlen an.

Cortina muss sich angesichts der Diskussion in den Tagen von Bietigheim vorgekommen sein wie ein Genealoge, der sich Ast für Ast den eigenen Stammbaum hinunterhangelt. Es war eine Diskussion, die er zu seinem Amtsantritt im September selbst angestoßen hatte, als er sagte, die Mannschaft müsse ihre deutschen Tugenden pflegen, Ordnung, Disziplin. Sie müsse aber auch von anderen lernen. Als Beispiel nannte er: die Italiener.

Was Cortinas Team zu einer stabilen Siegermentalität fehlt, zeigte sich dann auch bereits gegen Italien. Die Italiener standen tief und lauerten auf Fehler der Deutschen. Cortina wirkte in diesem Spiel wie einer dieser Italiener aus dem Fernsehen. Er kreuzte die Fäuste und signalisierte "Behinderung", er packte mit der rechten Hand seinen linken Arm und reklamierte "Halten", er fuchtelte, er schrie. Der Plan war ja gewesen, den Gegner auf die Strafbank zu locken und Überzahlchancen zu bekommen. Aber letztlich war es Italien, das zwei Überzahlspiele zu Treffern nutzte. "Das ist ihr Weg, Spiele zu gewinnen", konstatierte Cortina.

Deutsche verstärken Druck

Die Deutschen hakten dieses 1:2 erstaunlich lässig ab. An der Ausgangssituation habe sich nur geändert, dass man gegen Österreich nun in der regulären Spielzeit gewinnen müsse. "Wir dürfen den Kopf nicht verlieren", sagte der Münchner Felix Petermann. "Ist doch schön, dafür spielen wir Eishockey", sagte der Berliner Constantin Braun. Das alles klang so selbstverständlich, als zähle die Niederlage gegen Italien irgendwie nicht. Tat sie natürlich doch. Aber man dürfe nicht daran danken, wie man scheitern könnte, warnte Cortina. Denn das führe geradewegs ins Versagen - der Deutsche denkt ja gerne mal in Grau.

Cortina redete seine Spieler stattdessen stark. Im Abschlusstraining lobte er viel, oft rief er "good work". Er ließ ein paar Grundlagen üben, das Forechecking gegen Italien hatte ihm nicht gefallen. Und dann hielt er noch eine kleine Ansprache an die Spieler: Sie bräuchten gegen Österreich "Herz und Kopf" und, ja, auch "Eier"- Cortina sprach jetzt deutsch. Am Sonntag werde man die Identität seiner Mannschaft erkennen können.

Cortina erwartete die Österreicher offensiver als die Italiener. Weil sie läuferisch mit den Deutschen mithalten können. Weil sie Tore schießen können. Und weil sie ja auch irgendwie gewinnen mussten, falls sie sich nicht auf das Glück in der Verlängerung oder im Penaltyschießen verlassen wollten. Im Tor setzte Cortina wie zum Auftakt gegen die Niederlande auf den Berliner Rob Zepp, im Sturm war Patrick Reimer nach seiner Verletzungspause gegen Italien wieder dabei.

Gegen das Team des Austrokanadiers Manny Viveiros, das Italien 3:2 und die Niederlande 6:1 besiegt hatte, attackierten die Deutschen früh, zuweilen wirkten sie hektisch. Zepp hielt gegen Thomas Hundertpfund, und als ein Österreicher auf die Strafbank musste, ließ Constantin Braun seinen großen Worten einen Schlagschuss folgen, den Benedikt Kohl wohl noch abfälschte (19.) - Deutschland führte nach 20 Minuten 1:0.

Das Tor gab dem DEB-Team Mut. Die Deutschen verstärkten den Druck auf das Tor von Bernhard Starkbaum, sie flogen wuchtig in die Checks, sie waren bereit für Abpraller. Und wenn schon Alexander Barta freistehend vergab, hätte Michael Wolf, der Kapitän, in Überzahl erhöhen müssen. Er tat es nicht. Lakos befreite Österreich mit dem 1:1 (32.). Das letzte Drittel, das war klar, würde die Frage beantworten müssen: Wer hat die besseren Nerven?

Die Deutschen erwischten den besseren Start. Sie hatten mehr Scheibenbesitz, schossen mehr - und nutzen ihre erste Powerplaychance: Aus spitzem Winkel traf Kapitän Wolf zum 2:1 (47.). Aber die Österreicher spielten nun wie die Italiener: clever, abwartend. Bis die Chance da war für Markus Peintner: Ausgleich, 2:2 (53.). Österreich blieb Tabellenerster. Das 3:2 in der Verlängerung durch Patrick Reimer war Statistik.

In Sotschi wird das deutsche Team nun also erstmals seit 1948 nicht bei Olympia antreten. Nach 16 Teilnahmen in Serie. Stattdessen trifft Österreich in der Vorrunde auf Tschechien, Schweden und die Schweiz. Die DEB-Frauen hatten sich am Freitag in Weiden nach Siegen gegen China und Tschechien vorzeitig qualifiziert. Den Männern bleibt nur die Rolle als Zuschauer. Eine Identität, die vor zwei Jahren unter Cortinas Vorvorgänger Uwe Krupp niemand für möglich gehalten hätte.

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