Süddeutsche Zeitung

Eishockey-Nationalmannschaft:Vorsicht vor dem Rücksturz in dunkle Zeiten

Der Abschied von Eishockey-Bundestrainer Söderholm hat den Verband überrumpelt - ganz so überraschend ist er aber nicht. Bei der Nachfolger-Suche dürfen vergangene Fehler nicht wiederholt werden.

Kommentar von Johannes Schnitzler

Zu den deutschen TV-Erzeugnissen, an denen der Begriff "Kult" pappt, gehört die 1966 in Schwarz-Weiß gedrehte, darüber hinaus kunterbunte Serie "Raumpatrouille" über "Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion" (Untertitel), seinen Kampf gegen die Frogs und andere interstellare Fieslinge. Ihren Kultstatus begründeten Wortschöpfungen wie "Rücksturz" (die Heimreise der Crew zur Erde) sowie die Souveränität der Macher, über technische Mängel hinweg zu improvisieren: Mit Alufolie umwickelte Plastikbecher, Duschköpfe und sogar ein Bügeleisen stellten die Instrumente im Armaturenbrett dar, und wenn es einen Treffer am Schiff gab, torkelten die Schauspieler auf Kommando durch die Cockpit-Kulisse (das hatten sie mit den Kameraden der neun Tage vorher im US-Fernsehen gestarteten Enterprise gemein). Oliver Storz, einer der Autoren, schämte sich anfangs so sehr, dass er nur unter Pseudonym in den Credits auftauchen wollte.

Aus Storz wurde dann trotzdem einer der angesehensten deutschen Nachkriegsregisseure, einer, der gerne mit einem gewachsenen Ensemble arbeitete, dem er aber bisweilen Rollen anvertraute, in denen sich die Schauspieler selbst nie gesehen hätten. Mit Erfolg. In dieser Art der Zuschreibung ist der Eishockeytrainer Toni Söderholm dem Filmregisseur Storz sehr ähnlich. Vier Jahre lang verstand es Söderholm, aus dem nicht immer höchsten Ansprüchen genügenden Material nach und nach ein Ensemble zu formen, Rollen neu zu definieren und die Nationalmannschaft so in der oberen Sphäre der Weltelite zu etablieren. Fast beiläufig verteidigte er am Wochenende mit einem notgedrungen blutjungen Team erfolgreich den Titel beim hauseigenen Deutschland Cup. Schämen muss er sich dafür nicht. Gekündigt hat er trotzdem. Volltreffer auf der Brücke.

Schon nach dem vorzeitigen Olympia-Aus in Peking erwog Söderholm seinen Abschied vom DEB

Dass Söderholm während eines laufenden Turniers um die Freigabe für einen leicht angegrauten Schweizer Altmeister bat, hat auch emotionale Gründe - der Finne spielte selbst zwei Jahre für den SC Bern mit dem heutigen Geschäftsführer Raeto Raffainer zusammen. Seine Vorgesetzten beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB) hat er sichtlich überrumpelt. Ganz so spontan, wie die Verantwortlichen es darstellen, kam die Entscheidung freilich nicht. Schon nach dem vorzeitigen Olympia-Aus in Peking erwog Söderholm seinen Abschied vom DEB. Damals ließ ein Engagement in der nordamerikanischen NHL oder bei einem europäischen Spitzenklub sich nicht realisieren. Sein Ausstieg aus dem dann bis 2026 neu aufgesetzten Vertrag schien dennoch programmiert zu sein.

Zwischen dem Trainer und Sportdirektor Christian Künast soll es teilweise Turbulenzen gegeben haben wie auf der Brücke der Orion. Angeblich betrat Söderholm die Kommandozentrale in München zuletzt nur noch widerwillig. Das war vor allem während und nach Olympia in Peking zu spüren, als das deutsche Team - vier Jahre zuvor mit Silber dekoriert - unerwartet kläglich das Viertelfinale verpasste. Wenn Künast nun sagt: "Wir haben immer zielführend und vertrauensvoll zusammengearbeitet, das sieht man auch an den Resultaten. Und damit ist genug gesagt", dann ist das in der Tat vielsagend kurz angebunden. Anders als in Peking sagte Künast diesmal immerhin nicht, man sei "auf alles vorbereitet".

Dass Künast und DEB-Vizepräsident Andreas Niederberger den Weggang Söderholms als Beleg dafür werten, dass "wir mittlerweile so gut ausbilden, dass unsere Trainer weltweit interessant sind", ist eine steile These. Der Erfolg der Nationalmannschaft gründet zwar auf einigen strategisch richtigen Entscheidungen, deren letzte die Wahl Söderholms als Bundestrainer war - aber auch auf glücklichen Fügungen. Söderholm, das als Erinnerung, hatte zuvor lediglich den Zweitligisten SC Riessersee trainiert und in die dritte Liga begleitet.

Künast, der erst nach Söderholms Berufung ins Amt kam, muss bei seiner Nachfolgersuche nun den Rücksturz in dunkle Zeiten vermeiden, als manche Berufung beliebig bis panisch wirkte. Bei der einzigen WM unter der Verantwortung des Schweizers Köbi Kölliker etwa setzte es 2012 eine desavouierende 4:12-Niederlage gegen Norwegen, unter seinem glücklosen Nachfolger Pat Cortina (der sich als Co-Trainer beworben zu haben glaubte und als Cheftrainer das Sprechzimmer verließ) verpasste das Team 2013 zum einzigen Mal die sportliche Olympia-Qualifikation; nach der WM 2015 (und einer 0:10-Klatsche gegen Kanada) war für Cortina Schluss. Auf ihn folgte der als Trainer völlig unbeleckte Marco Sturm, dessen Zuversicht und Frohbotschaft vom Glauben an sich selbst die Nationalmannschaft sensationell zu Olympia-Silber trugen.

Umsicht, Weitsicht und, ja, auch Glück: Es bedarf nun mehr als Improvisationstalent, um einen neuen Bundestrainer zu finden. Der Sportdirektor ist nun in seiner Rolle gefragt. Für Abenteuer ist im Raumschiff Nationalmannschaft weder Raum noch Zeit.

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