Die Attacke kam ohne Vorwarnung und aus dem Hinterhalt. Genauer gesagt: aus dem Untergrund. Arno Tiefensee hatte sich tief in die Hocke geduckt, so tief wie man sich eben niederkauern kann mit 1,92 Meter Körperlänge und 20 Kilo Torhüterausrüstung am Leib. Aus dem Schnee an seinen Schlittschuhkufen formte Tiefensee kleine Wurfgeschosse und bewarf damit den Kollegen Leon Gawanke, der gerade ein Interview gab und somit wehrlos war. Torhüter, das ist empirisch gut belegt, sind alle ein wenig gaga, während Verteidiger wie Gawanke selten etwas auf sich sitzen lassen. Und so konterte Gawanke, wie es wohl nur gebürtige Berliner können: „Arno, hamse dich wieder aus’m Kindergarten gelassen, Digger? Wahnsinn!“ Tiefensee gluckste und strolchte zufrieden davon, Gawanke drehte sich wieder zum Reporter: „Alles gut.“ Kleine Streiche erhalten die Freundschaft.
Die kurze Episode nach dem Training am Donnerstagmorgen dokumentierte zweierlei: Die Stimmung in der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft ist ausgezeichnet. Aber es gibt auch einen pädagogischen Impetus, eine Art moralische Selbstverpflichtung. Bei allem Spaß, den die Spieler beim Deutschland Cup in Landshut haben wollen und sollen: „Jeder konzentriert sich erst mal darauf, hier so gut zu spielen, wie er kann“, erklärte Gawanke. Klingt banal. Aber jenseits von Titelverteidigung und viertem Turniersieg in Serie lautet das mittelfristige Ziel, sich für die WM 2025 und vor allem für den Kader für die Olympischen Spiele 2026 zu empfehlen. Und das ist alles andere als selbstverständlich. Auch für Tom Kühnhackl.
Kreis lobt die Rückkehrer: „Sie sind eine Bereicherung für die Mannschaft“
Kühnhackl, 32, Sohn von „Jahrhundertspieler“ Erich Kühnhackl, ist in seiner Heimatstadt viel beschäftigt als Spieler und als Botschafter. Der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) will beim wichtigsten Turnier hierzulande neue Publikumskreise erschließen. Das geht über den direkten Publikumskontakt und über PR. So sind erstmals Kameras in der Kabine erlaubt und zeigen etwa die Ansprachen des Bundestrainers an sein Team. „Wir wollen uns weiter öffnen, und das ist eine zeitgemäße Art“, sagt Christian Künast. Der DEB-Sportdirektor hat den Deutschland Cup als „Schaufenster“ bezeichnet, ein Fenster, das einen Blick zulässt von außen nach innen – aber auch einen Blick aus dem Inneren der Kabine in die sportliche Zukunft. Und so muss auch der zweimalige NHL-Champion Kühnhackl in Landshut vorspielen. Weil Bundestrainer Harold Kreis, wie er sagte, Kühnhackl „noch nie in der Kabine erlebt“ hat. Um im Bild zu bleiben: Der Schaufensterdekorateur Kreis will wissen, wer ins Gesamtbild passt.
Kühnhackl findet es „ganz normal, dass man sich neu präsentieren muss, wenn ein neuer Trainer kommt“. Der Stürmer hat dem DEB-Team mit seinem Siegtreffer in der Qualifikation gegen Lettland einst den Weg zur Silbermedaille 2018 geebnet. Er selbst war in Pyeongchang nicht dabei, weil die NHL ihre Profis damals nicht für das olympische Turnier freistellte, 2022 konnte er, mittlerweile in Schweden angestellt, zwar teilnehmen, aber das Turnier in Peking, Corona, Aus vor dem Viertelfinale … ach, Schwamm drüber. „Wir hatten nicht wirklich das volle Erlebnis 2022“, sagte Kühnhackl. Deshalb will der Profi, seit 2023 in Mannheim unter Vertrag, 2026 unbedingt noch einmal dabei sein, wenn erstmals seit 2014 auch die NHL-Spieler wieder an Olympischen Spielen teilnehmen dürfen. Darum tut er in Landshut alles, worum er gebeten wird. Und das kommt an.
Zwar hat Kreis, der beim Deutschland Cup auf die meisten Akteure der drei deutschen Champions-League-Klubs verzichtet, gerade in der Offensive die Qual der Wahl. Allein aus der NHL werden 2026 wohl fünf Profis zum Kader stoßen, darunter Weltklassestürmer Leon Draisaitl und die aufgehenden Sterne Tim Stützle und JJ Peterka. Aber Routine kann nie schaden, das zeigte das 5:6 (4:3, 1:1, 0:1) nach Penaltyschießen am Donnerstag zum Turnierauftakt gegen Dänemark. Kreis lobte Kühnhackl, der in Unterzahl zum 5:4-Führungstreffer für Stefan Loibl auflegte, und den zweiten Rückkehrer Patrick Hager, 36, dem bei seiner Rückkehr ein Tor gelang: „Sie machen wenig Fehler, sind selten aus der Position.“ Beide seinen „eine Bereicherung für die Mannschaft“, die insgesamt „ein bisschen übereifrig“ gewesen sei.
Kühnhackl musste darüber schmunzeln. Ein „so chaotisches Drittel“ wie das erste mit gleich sieben Toren, darunter ein kurioses Eigentor zum 0:1, habe er „lange nicht mehr erlebt“. Gegen die Slowakei (Samstag, 18 Uhr) und Österreich (Sonntag, 15 Uhr/beide live bei Magentasport) gebe es jedenfalls Luft nach oben. Aber auch Kühnhackl weiß: Nach oben wird die Luft immer dünner.