Eishockey:Lawine aus Colorado

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Torwart Philipp Grubauer hat seinen Klub in der Profiliga NHL gerade mit einem Wahnsinns-Lauf in die zweite Playoff-Runde bugsiert.

Von Jürgen Schmieder, Denver/Los Angeles

Es hilft natürlich, wenn sich irgendwo im Vor-, Nach- oder Spitznamen eines Sportlers der Laut "u" versteckt, weil dann das Gebrüll aus mehreren Tausenden Kehlen in einer Arena zu diesem langen und dumpfen Hall anschwillt, fröhlicher als Buhrufe und beinahe so majestätisch wie die von einem Männerchor vorgetragene russische Nationalhymne. Der Fußball-Nationalspieler Rudi Völler hat das erlebt ("Ruuuudi"), nun erlebt es der deutsche Eishockey-Torwart Philipp Grubauer in den Playoffs der Profiliga NHL. Wann immer er einen Schuss abwehrt, was er zuletzt sehr oft getan hat, dann brüllen 18 000 Fans seines Klubs Colorado Avalanche: "Gruuuuuuuuuu!"

"Ich höre die Rufe auf jeden Fall - es ist schon eine tolle Sache, was da zwischen den Fans und mir passiert", sagt Grubauer, der vor 27 Jahren in Rosenheim zur Welt gekommen und bei der Talentbörse vor neun Jahren an 112. Stelle von den Washington Capitals gewählt worden ist. Grubauer ist gerade der Protagonist der Geschichte vom Hinfallen und Aufstehen, die sie lieben in den USA und die schon häufig in Filmen erzählt worden ist. Er selbst sieht das weniger kitschig, er sagt mit der Nüchternheit eines Oberbayern: "Man kann in ein Loch fallen und sich selber leid tun, oder man bleibt positiv und zieht sich raus."

Vor exakt einem Jahr ist Grubauer in dieses Loch gefallen. Die Capitals hatten die ersten beiden Playoff-Spiele gegen die Columbus Blue Jackets jeweils nach Verlängerung verloren; während der zweiten Partie wurde Grubauer - der bis dahin in fünf Spieldritteln acht Tore kassiert hatte - durch seinen Freund Braden Holtby ersetzt, den er davor als Stammtorwart abgelöst hatte. Holtby hielt außerordentlich und blieb für den Rest der Playoffs im Tor, die Capitals holten den Stanley Cup. Den größten Erfolg seiner Karriere erlebte Grubauer auf der Ersatzbank; in der Sommerpause wurde er nach Denver transferiert.

Philipp Grubauer hält fast alles - wie diesen Puck während der Playoff-Partie gegen Calgary. (Foto: David Zalubowski/AP)

Grubauer wechselte sich in dieser Spielzeit mit dem Russen Semyon Warlamow ab, doch gewann seine Mannschaft mit keinem Torwart besonders häufig - am 23. Februar hatte Colorado sechs Punkte Rückstand auf einen Playoff-Platz. Dann jedoch passierte Außerordentliches: Grubauer spielte in drei von fünf Partien zu Null, Colorado verlor bis zum Ende der Hauptrunde von den 13 Partien, bei denen er im Tor stand, nur zwei. Grubauer hielt in dieser Phase 95,3 Prozent aller Schüsse, mehr als jeder andere Torwart in der NHL. Colorado qualifizierte sich für die K.-o.-Runde - mit der schlechtesten Bilanz aller Teilnehmer. Und Grubauer war keineswegs gesetzt.

Gegner in der ersten Runde waren die Calgary Flames, die nach Punkten beste Mannschaft der Western Conference. Das klang nach einer klaren Angelegenheit, und das war es auch - für den Außenseiter: Grubauer spielte grandios, während der vierten Partie der Best of 7-Serie hielt er seine Mannschaft mit einem unfassbaren Reflex während der Verlängerung im Spiel: Er lag auf dem Eis und riss das linke Bein instinktiv nach oben. Kurz darauf erzielte Colorado den Siegtreffer und setzte sich später mit 4:1 Erfolgen durch. Zum ersten Mal in der NHL-Geschichte sind die beiden Teams mit der besten Bilanz bereits in der ersten Runde ausgeschieden: Tampa Bay Lightning gewann gegen die Columbus Blue Jackets keine einzige Partie. Grubauer, den sie in Denver mittlerweile "The Great Gruby" nennen, ist inzwischen der Stammtorwart.

"Ich kann das auch nicht wirklich erklären", sagt Trainer Jared Bednar über die Heldentaten von Grubauer, der beweglich und blitzschnell agiert und gleichzeitig mit der Ruhe eines Oberbayern, der weiß, dass er gerade einen Wahnsinns-Lauf hat. "Aus dem Schneeball hat sich eine Lawine entwickelt", sagt Bednar: "Gruby hat gut gehalten, ist selbstbewusst geworden und hat seinen Mitspielern gezeigt, dass sie sich auf ihn verlassen können. Wir haben gewonnen, plötzlich läuft es bei allen, jeder glaubt an sich - dann wird es zur selbsterfüllenden Prophezeiung, dass wir sehr gut spielen und gewinnen."

Schwere Fracht: Philipp Grubauer schleppte den Stanley Cup im vorigen Sommer in seine Heimat Rosenheim. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Die Angreifer Mikko Rantanen und Nathan MacKinnon treffen tatsächlich zuverlässig, nach Toren wartet Grubauer an der Bande zum Abklatschen - eine Angewohnheit, die er sich bei den Capitals von Holtby abgeguckt und nun beibehalten hat. "Er spielt unfassbar, er ist derzeit unser bester Spieler", sagt MacKinnon: "Wir dürfen uns glücklich schätzen, diesen Typen zwischen den Pfosten zu haben." Grubauer kommentiert seine Leistungen zurückhaltend, mit der Nüchternheit eines Oberbayern eben: "Ich habe aus Fehlern gelernt und an meinen Schwächen gearbeitet."

Er weiß freilich, dass so ein Lauf auch sehr schnell wieder vorbei sein kann. Wie schnell das gehen kann, das zeigte die entscheidende Partie bei der Ermittlung des Zweitrunden-Gegners am Dienstagabend: Die Golden Knights aus Las Vegas führten bereits 3:0, dann erzielten die San José Sharks während einer Fünf-Minuten-Strafzeit der Gäste vier Tore und sahen bereits wie der Sieger aus. Kurz vor dem Ende schaffte Las Vegas den Ausgleich, doch in der Verlängerung gelang den Sharks nach mehr als 18 Minuten der Siegtreffer zum Weiterkommen. So nahe liegen beim Eishockey Triumph und Desaster beieinander.

Philipp Grubauer kennt das aus den vergangenen zwölf Monaten, er lässt sich davon auch vor der zweiten Runde nicht ablenken, in der die Sharks zuerst Heimrecht haben werden. Der 27-Jährige ist eben ein trockener Oberbayer mit einer Vorliebe für Lederhosen und Leberkäse, der auch weiß, dass gerade in den vergangenen Jahren einige Teams nach durchwachsener Hauptrunde von einer Welle des Selbstbewusstseins durch die Playoffs zum Stanley Cup getragen worden sind, zum Gewinn des Titels. Oder dorthin auf dem Rücken eines Torwarts in Hochform geritten sind, in dessen Nachname sich ein wunderbares "u" befindet.

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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