Eishockey:Hektik im Bienenstock

19.09.2020 - Eishockey - Saison 2020 2021 - DEL - Fanaktion Nürnberg Ice Tigers - 5 vor 12 - / ThHa - 5 vor 12 Impressi

Protest vor dem Stadion: Fans der Nürnberg Icetigers sorgen sich um die Zukunft ihres Klubs.

(Foto: Thomas Hahn/Zink/imago)

Selten saß eine Liga derart in der Klemme wie die DEL: Fans, Spieler und Verband fordern einen baldigen Start - doch wie die Eishockey-Saison finanziert werden soll, steht weiter in den Sternen.

Von Johannes Schnitzler

Zu einem seriösen Agententhriller gehört eine zünftige Bombenentschärfung. Der Countdown tickt, tick, tick, der Held überlegt (roter Draht? grüner Draht?), der Schurke grinst. Pünktlich bei 0:07 Minuten Restzeit bis zur Detonation bleibt der Countdown stehen, weil der Held, einer spontanen Eingebung folgend, den blauen Draht kappt. Welt gerettet.

Der Deutschen Eishockey Liga (DEL) bleiben noch ein paar Stunden bis Zero. Aber der Countdown, den sie selbst in Gang gesetzt hat, tickt unerbittlich. Seit die 14 DEL-Klubs am Montag vor einer Woche tagten, brummt es in der Branche wie in einem Bienenstock. Den Klubs fehlen in der Pandemie laut Aufsichtsratschef Jürgen Arnold 60 Millionen Euro, um die Saison "seriös" am 13. November starten zu können. "Wir leben unheimlich stark von den Zuschauern", sagt DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke.

Bis zu 80 Prozent ihres Umsatzes erwirtschafteten die Klubs an den Spieltagen. Vom Gesamtumsatz, rund 120 Millionen Euro, fehlt die Hälfte: 60 Millionen, "die wir ohne die Hilfe Dritter alleine nicht aufbringen können", wie Arnold klagte. Erschwerend komme hinzu, "dass wir nicht sicher mit dem Zuschuss in Höhe von maximal 800 000 Euro pro Klub aus dem Konjunkturpaket planen können", weil Antragsteller sich laut der Billigkeitsrichtlinie des Bundestags für Coronahilfen im Profisport nicht bereits zum 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten befunden haben dürfen - was sich mit Ausnahme der konzerngestützten Klubs aus München (Red Bull), Mannheim (SAP), Berlin (Anschutz Entertainment Group) und vielleicht noch Wolfsburg (VW) aber wohl alle haben. Priorität habe, mit allen Klubs zu starten, beteuerte Arnold: "Aber nur, wenn uns bis zum 2. Oktober 2020 verbindliche Zusagen vorliegen."

60 statt 20 Prozent Zuschauer im Stadion? Nachvollziehbar - zurzeit aber realitätsfern

Diese Frist war allgemein als Ultimatum aufgefasst worden, sensiblere Ohren hörten gar eine Erpressung heraus: Geld her, oder wir spielen nicht (während Handball, Basketball, Volleyball und auch die DEL2 längst konkrete Pläne haben). Jene "Dritten", Politiker in Bund und Ländern, sollen die zulässigen Zuschauerzahlen von 20 Prozent auf 50, besser 60 Prozent erhöhen. Davon hängt ab, ob der bereits vom 18. September auf 13. November verlegte Saisonstart noch mal verschoben wird oder die Spielzeit ausfällt. 20 Prozent seien wirtschaftlich "sogar noch schlechter als Geisterspiele", sagte Daniel Hopp, Geschäftsführer der Adler Mannheim, dem Mannheimer Morgen - und Geisterspiele gelten in der Liga, die nach dem Fußball die meisten Zuschauer anlockt, aber kaum TV-Geld einnimmt, als unrealistisch.

Am Dienstag dann verkündeten Kanzlerin und Ministerpräsidenten angesichts steigender Infektionszahlen neue Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Nach einer Erhöhung der zulässigen Zuschauerkapazitäten klang das nicht.

Die Uhr tickt. Und die Nervosität bei den DEL-Verantwortlichen steigt. Im Interview mit dem Magazin Eishockey News dementierte Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Brück zunehmend gereizt ("Wie kann man nur so eine Frage stellen?"), dass es jemals ein Ultimatum gegeben habe: "Mich interessiert nicht, was andere glauben. Wenn ich den Sachzusammenhang erkläre, kann niemand von einem Ultimatum reden." Und wenn nun kein Spezialagent zu Hilfe eilt, um den richtigen Draht zu kappen? "Es gibt viele Szenarien, die man im Kopf hat", sagte Brück. Das war neu.

Vor der Gesellschafterversammlung am 21. September hatte DEL-Geschäftsführer Tripcke erklärt, man wolle "einem Plan B oder C nicht vorgreifen". Das klang so, als wollten die Klubs mal sehen, was die Politik noch im Angebot hat. Was man hat, hat man. Am liebsten 60 Millionen. Nachdem seit Monaten Gerüchte wabern, den Klubs käme ein Ausfall der Saison aus Kostengründen gerade recht, sah sich Tripcke nun zur Moderation gezwungen: "Wir werden die Saison nicht absagen. Das sind wir den Fans, Partnern, Spielern, dem Nachwuchs und der Nationalmannschaft schuldig", versprach er im Spiegel. Interessant: Zum ersten Mal wurden die Fans als solche erwähnt, nicht nur als Kunden, von denen die Klubs existenziell abhängig sind.

Eishockeyfans sind treue, langmütige Menschen. Alle teilen die Sorgen ihrer Herzensvereine, am Wochenende demonstrierten sie vor den Hallen für mehr Unterstützung. Zuletzt riss aber einigen der Geduldsfaden: "Was für ein Schwachsinn der Liga, dumm", oder: "Das ist das Todesurteil für die DEL!" lauteten Kommentare auf die "aberwitzige" 60-Millionen-Forderung, "die ja vom Steuerzahler finanziert werden" müsse. Von "Schmierentheater" war die Rede: "Warum wird nie ein Plan B oder C erwähnt? Weil es keine Pläne gibt!"

Was sagt eigentlich der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) dazu?

Am Dienstag saßen Bundestrainer Toni Söderholm und Sportdirektor Stefan Schaidnagel im Leistungszentrum Füssen und blickten ernst in eine Laptopkamera. Söderholm will seine Auswahl dort auf die nächsten Ziele einstimmen, den Deutschland Cup (5. bis 8. November) in Krefeld, die WM 2021 sowie die Olympischen Spiele 2022. Der Finne hat sein Team seit dem Deutschland Cup 2019 nicht mehr um sich gehabt, auch in Füssen ist es nur eine Rumpfauswahl. Man merke den Spielern die Freude an, dass sie "ihrem Beruf nachgehen dürfen", sagte Söderholm. Man merke aber auch, dass sie "viel nachdenken". Eine Absage der Saison wäre "für die Spieler katastrophal" und für die Nationalmannschaft "eine sehr schwierige Situation". Die DEL sei eine autonome Liga, erinnerte Sportdirektor Schaidnagel: "Sie hat ihren Weg gewählt mit der Adressierung ihrer Probleme, das ist legitim." Wie dieser Weg bei der Politik ankomme, deren erster Ansprechpartner nun mal der Dachverband ist? "Für uns als Verband ist es eminent wichtig, dass wir gemeinsam vorgehen", sagte Schaidnagel. Seinen Worten konnte man durchaus den Wunsch nach mehr Abstimmung entnehmen. Aber mit wem? Daniel Hopp zum Beispiel ist DEB-Vizepräsident und sitzt im Aufsichtsrat der DEL. Im Moment hat er aber genug in Mannheim zu tun: Das Hygienekonzept für die Arena ist noch nicht freigegeben. Und am Freitag läuft die nächste Frist ab. Tick, tick.

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