Eishockey:Grantige Passagiere

Tom Pokel (Trainer, Headcoach, Straubing Tigers ), Nuernberg Ice Tigers vs. Straubing Tigers, Eishockey, DEL, 26.09.202

Als Psychologe gefordert: Tigers-Trainer Tom Pokel.

(Foto: Thomas Hahn/Eibner/imago)

Unreif, disziplinlos, defensivschwach: Die Straubing Tigers haben in der DEL sechs Mal in Serie verloren.

Von Christian Bernhard

Noch fehlte ein ganzes Drittel, doch Sandro Schönberger hatte schon genug gesehen. "Ich kann es nicht fassen", klagte der Kapitän der Straubing Tigers am Sonntag bei Magentasport, "mir fehlen einfach wieder die Worte." Schönberger hatte kein Verständnis dafür, wie sein Team beim Auswärtsspiel gegen die Grizzlys Wolfsburg zu Werke ging. "Wir spielen völlig unreif", polterte er nach dem Mitteldrittel, "keine Ahnung, was uns da wieder in den Kopf gefahren ist." Dann kündigte er eine "saubere Ansage" in der Kabine an. Auch diese half den Straubingern nicht, sie verloren in Wolfsburg 1:2 und kassierten damit ihre sechste Niederlage in Serie in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Am Freitag hatten sie zu Hause gegen Aufsteiger Bietigheim Steelers 3:4 nach Verlängerung verloren, wodurch sie nun den 14. und damit vorletzten Tabellenplatz belegen. Tigers-Trainer Tom Pokel hatte noch auf der Pressekonferenz nach dem Spiel einiges zu notieren, ehe er sagte: "Momentan werden die Jungs nicht für ihren Kampfgeist und die Arbeit, die sie bringen, belohnt."

Es gibt derzeit bei den Tigers wirklich sehr viel zu notieren - und zwar meist nichts Gutes. Die Niederbayern, die in den vergangenen Jahren nicht nur laut Pokel "in der Hierarchie der Liga etwas geklettert" sind, stellen mit 36 Gegentoren nach neun Spielen die schlechteste Defensive der Liga. Ein zentrales Problem - wie wichtig eine verlässliche Abwehr für eine Eishockey-Mannschaft ist, erläuterte der frühere Nationalspieler und jetzige TV-Experte Christoph Ullmann: "Du brauchst eine starke Defensive, denn du baust ein Spiel immer von hinten auf." Daran hapert es bei den Tigers derzeit sehr.

Kein Team der Liga kassiert so viele Strafminuten wie die Niederbayern

In Wolfsburg erfüllte die Tigers-Defensive ihren Job - doch beim Vorjahres-Finalisten kam ein weiteres großes Problem dieser Tage zum Tragen: die Disziplinlosigkeit. Beide Wolfsburger Treffer fielen in Überzahl, der spielentscheidende bei Fünf gegen Drei. Zufall war das nicht, kein Team der Liga kassiert so viele Strafminuten wie die Niederbayern. Defensivprobleme und Disziplinsorgen führen zu jeder Menge Frust. Andreas Eder, der in Wolfsburg das 1:0 erzielte und mit zehn Punkten zu den besten Scorern der Liga gehört, merkte kürzlich sichtlich angefressen an, man habe jetzt genug geredet und analysiert. "Wenn wir dann am Wochenende so rausgehen und so einen Scheiß spielen, brauchen wir uns auch nicht mehr zusammensetzen und Videos schauen."

Dem "grantigen" Tigers-Team (Zitat Pokel) gelingt es nicht, den Unmut in positive Energie umzusetzen. Auf seinen Spielern liegt ein Schleier, der dann besonders dicht wird, sobald sie im Spiel mit Negativerfahrungen konfrontiert werden. Sowohl gegen Bietigheim als auch in der Woche zuvor gegen Nürnberg gaben die Tigers Zwei-Tore-Führungen aus der Hand, oft aufgrund individueller Fehler. "Wir finden Wege, Fehler in den falschen Zonen zu machen", sagte Stürmer Mike Connolly. Fehler seien Teil des Spiels, "aber wir machen sie zu nah am eigenen Tor". Die Negativspirale dreht sich dadurch weiter. Es sei einfach "bei jedem im Kopf drin, dass bei uns momentan nichts auf die Reihe geht", sagte Angreifer David Elsner zum Gemütszustand der Straubinger Spieler. Sein Rezept: "Wir müssen uns einfach wieder selber vertrauen und müssen zusammenarbeiten."

"Wir müssen da hingehen, wo es weh tut, das machen nicht alle", sagt Kapitän Schönberger

Wenn das bloß so einfach wäre. Kapitän Schönberger gab bei seiner verbalen Eruption in Wolfsburg zu verstehen, dass die Straubinger Probleme tiefer liegen. "Wir haben gerade viel zu viele Passagiere an Bord", sagte er und legte damit Probleme in der Spieler-Führungsebene offen. Selbst die Einsatzbereitschaft einiger Teamkollegen stellte er infrage. "Wir müssen da hingehen, wo es weh tut, das machen einfach nicht alle." Dass der Kapitän, der seit 2009 das Tigers-Trikot trägt und ein Sinnbild des intensiven, harten und kampfbetonten Stils ist, der die Straubinger in den vergangenen Jahren immer näher an die DEL-Spitze geführt hat, diese Qualitäten vermisst, sollte den Niederbayern zu denken geben.

Der in der Liga hoch angesehene Pokel ist jetzt nicht nur als Trainer, sondern auch als Psychologe gefordert. Natürlich sei die Stimmung in der Mannschaft bei solch einer Negativserie nicht gut, sagte Verteidiger Benedikt Kohl, "da spielt sich viel zwischen den Ohren ab". Diesen so sensiblen Bereich gilt es bei den Tigers schnellstmöglich wieder mit positiven Erlebnissen zu füllen.

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