Eishockey-Film "Red Army":Kaltgestellt vom Vaterland

Eishockey-Film "Red Army": Die rote Maschine auf dem Höhepunkt ihrer Zeit: Krutow, Torhüter Tretjak und Kapitän Fetisow (v.l.) feiern den Olympiasieg 1984 in Sarajevo.

Die rote Maschine auf dem Höhepunkt ihrer Zeit: Krutow, Torhüter Tretjak und Kapitän Fetisow (v.l.) feiern den Olympiasieg 1984 in Sarajevo.

(Foto: imago/Sven Simon)

Die UdSSR-Mannschaft der Achtzigerjahre gilt bis heute als Jahrhundertteam im Eishockey. Eine gelungene Dokumentation zeigt, mit welcher Härte sie gedrillt wurde - und was die Protagonisten später vom Leben als Sport-Idol hatten.

Von Johannes Schnitzler

Als die Sowjetunion untergeht, ist Alexander Mogilny 19. In Berlin steht noch die Mauer. Mogilny gilt als bester Eishockey-Junior der Welt, doch die Tür zur besten Liga ist für Spieler aus der UdSSR verschlossen. Aber Mogilny, 1988 Olympiasieger, will nicht als Held des Vaterlands sterben. Nach dem WM-Finale 1989 in Schweden setzt er sich ab. Die NHL begrüßt ihren ersten Profi aus der Sowjetunion. In der ruhmreichen Historie des sowjetischen Eishockeys ein Präzedenzfall mit Folgen. Ein 19-Jähriger stößt das Tor zum Westen auf, wo die Menschen in Freiheit leben, wie Mogilny ("Daheim war ich ein streunender Hund") nach Hause berichtet. Mehr als 500 sind ihm seitdem gefolgt.

Für Wjatscheslaw Alexandrowitsch Fetissow, genannt "Slawa", war das undenkbar. Zum Zeitpunkt von Mogilnys Flucht hatte er zwei olympische Goldmedaillen gewonnen und sieben WM-Titel. Fetissow fühlte sich seiner Heimat verpflichtet: "Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, das Gesetz zu brechen." Zum Dank verlieh die Sowjetunion ihm den Lenin-Orden. Als auch er ganz offiziell in die NHL wechseln wollte, stellte dasselbe Vaterland ihn kalt.

Slawa Fetissow ist eine russische Eishockey-Ikone, Teil der Russian Five mit Alexei Kassatonow, Vladimir Krutow, Igor Larionow und Sergei Makarow. Fetissow, ihr Kapitän, steht im Zentrum der Doku Red Army, die an diesem Donnerstag in die Kinos kommt. An Fetissows Biografie entlang führt Regisseur Gabe Polsky, ein in den USA geborener Sohn russischer Immigranten, das sozialistische Sportsystem vor. "Sport war für die Sowjets mehr als ein Spiel", sagt der russische Journalist Wladimir Posner: "Es war Propaganda. Und immer auch ein bisschen Krieg."

Die Idee war, die "Besten der Besten der Besten" (Posner) herauszufiltern. Im Zentralen Sportklub der Armee (ZSKA) in Moskau wurden schon die Kleinsten für den Sieg über den Klassenfeind gedrillt. Fetissow, dessen Familie mit zwei anderen auf 40 Quadratmetern ohne Toilette hauste, erinnert sich an harte Zeiten. "Aber wir waren glücklich. Wir spielten Eishockey." Sport bot die Möglichkeit zum Aufstieg. 1978 zur Junioren-WM durfte er erstmals nach Kanada.

Es folgten Tourneen mit ZSKA durch Nordamerika. "Ich fand das toll", sagt Fetissow. Anders als in der NHL, wo das Spiel härter und auf die Stars zugeschnitten war, agierten sie als Kollektiv. Ihren Stil, eine Art Tiki-Taka on Ice, hatte ihnen Anatoli Tarassow beigebracht, für viele Spieler der Generation Fetissow eine Vaterfigur, wenngleich eine von großer Strenge. Tarassow ließ bis zu sieben Stunden trainieren, brachte die Spieler aber auch mit Schach oder Ballett in Berührung.

"Manche pissten Blut"

Unter dem KGB-Offizier Wiktor Tichonow verschärfte sich von 1976 an der Ton. Nachdem die UdSSR bei den Olympischen Spielen 1980 überraschend den USA unterlegen war, raste Tichonow. "Manche pissten Blut", sagt der damalige Torhüter Wladislaw Tretjak. Tichonow kasernierte das Team. Wenn die Spieler mit ihren Frauen telefonieren wollten, standen 25 Mann um das einzige Telefon herum. Und der KGB hörte mit. Unter Tichonow holte die Sbornaja drei Mal Olympia-Gold und acht WM-Titel. Der Olympiasieg 1984 "war der glücklichste Moment meines Lebens", sagt Fetissow. Doch das Glück war teuer erkauft.

1985 stirbt Fetissows jüngerer Bruder Anatoly bei einem Autounfall; am Steuer sitzt Wjatscheslaw Fetissow. Er sagt: "Ich wollte damals nicht mehr leben." Tichonow gab den Mitleidenden: "Wir teilen Freude und Schmerz." Was das bedeutete, musste Andrei Chomutow erfahren. Als dessen Vater im Sterben lag, verweigerte ihm Tichonow einen Besuch: "Du musst dich auf das nächste Spiel vorbereiten", lautete die Antwort.

Unter den Spielern kursierte der Spruch, wer je eine Herztransplantation brauchen sollte, solle sich das Herz Tichonows wünschen: "Er hat es nie gebraucht." Auch Fetissow bekam die Kälte des KGB-Obersten zu spüren. Als er nach New Jersey wollte, drohte Tichonow mit Sibirien. Fetissows Frau erzählt, auf Anweisung Tichonows sei ihr Mann auf ein Polizeirevier verschleppt und stundenlang verprügelt worden. Erst auf öffentlichen Druck etwa von Schach-Weltmeister Garri Kasparow wurde der Kapitän rehabilitiert. Als er endlich in die NHL durfte, begann Fetissows zweite Leidenszeit.

In New Jersey lebte die Familie im Luxus, im Fernsehen machte "Captain Kirk" William Shatner Werbung. Unter den Kollegen aber wurden die Russen geschnitten. Nach sechs glücklosen Jahren knüpfte Fetissow erst in Detroit an alte Erfolge an. Drei Stanley Cups feierte er mit den Red Wings, ehe er in seine Heimat zurückzukehrte - um sich alsbald wieder wie ein Fremder zu fühlen. Denn das Land, das er verlassen hatte, war nicht mehr das Land, das er vorfand: "Wir hatten unseren Stolz, unseren Patriotismus verloren."

Regisseur Polsky gelingt es mit Red Army, am Sport entlang die politischen Zeitläufte von den Achtzigerjahren in die Gegenwart nachzuzeichnen. Zu den Stärken des Skripts, das für die Writers Guild of America Awards nominiert ist, gehört das Gespür des Autors für die Dramatik von Thema und Figuren. Wenn etwa Krutow antwortet: "Wir waren alle gleich. Warum fragen Sie immer dasselbe?", offenbart sich die stille Tragik der "Legenden auf dem Eis" (deutscher Untertitel), die abseits der Spielfläche oft nicht wussten, was zu tun ist. Einen Monat nach dem Interview starb Krutow an Leberzirrhose. Tichonow starb im November 2014. Polskys Interviewanfragen hatte er abgelehnt.

Die Schwäche des Films liegt darin, dass er Fetissows politische Karriere nicht hinterfragt. Unter Wladimir Putin stieg Fetissow zum Sportminister auf und war maßgeblich an der Bewerbung um die Spiele 2014 in Sotschi beteiligt. Nur einmal wagt Polsky ein Widerwort. Es ist die letzte Szene, als Fetissow gönnerhaft meint: "Nicht schlecht, der Knabe aus Kalifornien." Chicago, korrigiert Polsky. So viel Patriotismus muss sein.

Red Army - Legenden auf dem Eis (USA 2014): Buch und Regie Gabe Polsky, Weltkino-Filmverleih, 85 Minuten.

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