Eishockey:Erstklassiges Angebot

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Zwei Nationalspieler, die in der neuen Saison erst einmal für ihre Jugendklubs in der DEL2 aufs Eis gehen: Felix Schütz (55) spielt in Landshut, Patrick Reimer (r.) für den ESV Kaufbeuren. (Foto: Marius Becker/dpa)

Weil die DEL frühestens im Dezember beginnt, starten viele Nationalspieler in die DEL2-Saison. Wie sich die bayerischen Teams wappnen.

Von Christian Bernhard, Johannes Kirchmeier und Johannes Schnitzler

Und damit willkommen zurück in den Neunzigern! Vor 25 Jahren drängten plötzlich reihenweise Nationalspieler aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) in die geteilte zweite Liga, die - Romantiker erinnern sich mit glänzenden Augen - im Süden den Namen "Hacker-Pschorr-Liga" trug. Auslöser dieser Welle war ein belgischer Fußballprofi namens Jean-Marc Bosman, der sich durch alle Instanzen des EU-Rechts die freie Wahl seines Arbeitsplatzes erstritt (Anm. d. Red.: vereinfachende Darstellung). Die Folge war eine Art Kontinentalverschiebung: Deutsche Profiklubs aus allen Sportarten deckten sich nun mit vergleichsweise günstigem "Spielermaterial" (so sagte man damals) aus dem EU-Raum ein, für teure deutsche Stars war vielerorts kein Platz mehr. So kam es, dass allein der EC Bad Tölz vor der Saison 1997/98 in Axel Kammerer, Mondi Hilger und Toni Krinner drei vielfache WM- und Olympiateilnehmer im Aufgebot hatte (und trotzdem fast abgestiegen wäre). Ein Vierteljahrhundert später ist es ein junger Weltenbummler namens SARS-CoV-2 mit der Rückennummer 19, der die Sportwelt verändert. Kurz gesagt: Weil die DEL frühestens Mitte Dezember den Spielbetrieb aufnimmt und sparen muss, finden sich in den Kadern der DEL2, die schon an diesem Freitag startet, von Kassel (Moritz Müller/Kölner Haie) bis Ravensburg (Niklas Treutle/Nürnberg Ice Tigers) plötzlich Nationalspieler und Olympiahelden auf der Suche nach Spiel- und Trainingspraxis. Bis Ende November werden sie das Gesicht der Liga prägen, mindestens - auch bei den bayerischen Klubs.

Tölzer Löwen

Den größten Coup hätten beinahe wieder die Tölzer gelandet: Korbinian Holzer, NHL-Profi, der seine Karriere in Tölz begonnen hat, trainierte seit einigen Wochen mit und bestritt sogar zwei Testspiele für die Löwen. Dann aber entschied sich der Nationalspieler für einen Wechsel in die russische KHL nach Jekaterinburg - mit Ausstiegsoption für die NHL. Die Löwen, in der nach der Hauptrunde abgebrochenen vergangenen Saison als Fünfter bestes bayerisches Team, haben sich in Reid Gardiner, 24, Topscorer der Düsseldorfer EG, dennoch einen dicken Fisch geangelt. Weil Gardiner aber verletzt den ganzen November über ausfällt, haben sie in Andrej Bires, 26, einen Profi nachverpflichtet, der bislang zwar erst in der DEL2 als Topscorer des EC Bad Nauheim von sich reden gemacht hat, das aber so laut, dass Nürnberg ihn verpflichtete - und nun an Tölz ausgeliehen hat. Das Urteil von Trainingsgast Holzer: "Die Mischung stimmt." Der Stamm ist geblieben, das Team sei gut verstärkt - "könnte interessant werden", glaubt Holzer. Er traue den Löwen einen Platz unter den ersten Vier zu, "auf jeden Fall die Top sechs".

ESV Kaufbeuren

Der ESV Kaufbeuren hat sich einen der großen Namen geschnappt: Nürnbergs Kapitän Patrick Reimer läuft bis Ende November leihweise für seinen Heimatverein auf. Die Chance, den erfolgreichsten Torschützen der DEL-Geschichte (357 Treffer) noch einmal im ESV-Trikot sehen zu können, "nutzen wir, auch wenn es bloß eine kurze ist", sagt Geschäftsführer Michael Kreitl. Möglich gemacht hat Reimers temporäre Rückholaktion das Engagement externer Sponsoren, "weil wir unser Budget damit nicht belasten wollen, dürfen und können", betont Kreitl. Das Thema Finanzen ist weiterhin das zentrale, und dazu gehört fraglos die Zuschauer-Thematik - trotz eventueller staatlicher Unterstützungen, die der Klub fristgerecht beantragt hat. Ohne Zuschauer sei die Saison "im Endeffekt" nicht zu stemmen, betont Kreitl. Bis Ende Dezember seien die finanziellen Hilfen erst einmal gedeckelt, danach bräuchte es weitere. Man müsse kein Mathematik-Professor sein um zu verstehen, "dass wir ohne Fördermaßnahmen nicht überleben werden". Sportlich spricht Kreitl von einem "kleineren großen Umbruch", den der ESV hinter sich habe. In Rob Pallin wurde ein neuer Trainer geholt, neun letztjährigen Spielern kein Vertrag mehr gegeben, der Kader verschmälert. Trotzdem ist der Geschäftsführer mit dem Team zufrieden, Ziel ist ein Platz unter den ersten acht.

Bayreuth Tigers

Matthias Wendel ist nicht neidisch. "Überhaupt nicht", sagt der Geschäftsführer der Bayreuth Tigers mit Blick auf die klingenden Namen der Konkurrenz. "Wir fahren einen anderen Weg", erklärt er - und nennt stellvertretend dafür Julius Karrer, David Trinkberger, Max Kislinger, Vincent Hessler und Timo Walther. Die fünf jungen Spieler des Kooperationspartners Nürnberg wurden bis Ende November ausgeliehen und sind auch danach als Förderlizenzspieler spielberechtigt. "Die nutzen uns in den nächsten Monaten und Jahren mehr, als ein Nationalspieler, der uns nach sechs Wochen wieder abhanden kommt", sagt Wendel. Die Entscheidung gegen einen großen Namen habe auch mit der Balance im Gehalts- und Mannschaftsgefüge zu tun: "Wir wollen die Ruhe in der Kabine bewahren." Trotz der ungewissen Corona-Umstände geht er mit einer "großen Vorfreude" in die Saison. Wirtschaftliche Fragezeichen gibt es dennoch - und zwar einige. Im Moment ist es für den Verein finanziell stemmbar, bis Ende November ohne Zuschauer zu spielen. Da die Zeit bis dahin ziemlich knapp ist, stehen jetzt schon weitere Gespräche mit Spielern und Partnern an, um potenzielle Einsparungsmöglichkeiten zu finden, erklärt Wendel. Für sportliche Freude soll das Team sorgen, das zu großen Teilen zusammengeblieben ist. Minimal-Ziel von Wendel und Trainer Petri Kujala ist das Erreichen der Playoffs.

EV Landshut

Der Start wird ungewohnt werden, ungewohnt ruhig, vermutet Felix Schütz. Auch die DEL2 muss im November ja auf Zuschauer verzichten, im Eishockey ist das neu. Dennoch steigt bei ihm die Vorfreude auf die Saison - endlich wieder Eishockeyspiele. Der 33-Jährige mit einem erst einmal befristeten Vertrag bis Jahresende ist nun natürlich der prominenteste Angreifer beim EV Landshut - lange spielte er im Ausland, und bis März bei den Straubing Tigers in der DEL. Schütz hat alle Höhen des deutschen Eishockeys im vergangenen Jahrzehnt mitgemacht: Bei der Heim-WM 2010 schoss er das entscheidende 2:1 in der Verlängerung gegen die USA vor 77 803 Zuschauern in der Arena auf Schalke, 2018 verließ er Pyeongchang mit einer Olympia-Silbermedaille um den Hals, der größte Erfolg einer Nationalmannschaft überhaupt. Im Finale gegen Russland traf der Angreifer. Und nun in Corona-Zeiten kommt wieder Zweitliga-Eishockey dazu. An dem Ort, an dem er sein erstes Profijahr absolvierte. "Ich freue mich, dass ich den Landshutern helfen kann. Woanders hätte ich das vielleicht gar nicht gemacht", sagt er. 20 Minuten fährt er mit dem Auto von Erding, wo er aufgewachsen ist und mit seiner Familie wohnt, zum Stadion am Gutenbergweg. "Und ich kenne die meisten meiner Mitspieler noch aus dem Nachwuchs." Er ist da in einer ganz soliden Truppe angekommen, die sich zum Ziel gesetzt hat, sich zumindest wieder etwas weiter oben einzuordnen. Beim vorzeitigen Saisonende im März belegte Landshut ja noch den letzten Tabellenplatz, mit Schütz und seinen alten Weggefährten soll sich das ändern.

© SZ vom 05.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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