Eishockey:Ein Blitz nach sechs Stunden

Eishockey: Da führt kein Weg vorbei: Columbus' Verteidiger Seth Jones (links) und Torwart Joonas Korpisalo (rechts) verteidigen ihr Tor mit aller Macht gegen Tampas Angreifer Anthony Cirelli.

Da führt kein Weg vorbei: Columbus' Verteidiger Seth Jones (links) und Torwart Joonas Korpisalo (rechts) verteidigen ihr Tor mit aller Macht gegen Tampas Angreifer Anthony Cirelli.

(Foto: Frank Gunn/AP)

In einer der längsten Partien der NHL-Geschichte benötigt das Eishockeyteam von Tampa Bay Lightning zu Beginn der Eishockey-Playoffs fünf Verlängerungen, um die Columbus Blue Jackets 3:2 zu besiegen - und Dämonen der Vorsaison zu vertreiben.

Von Jürgen Schmieder, Toronto/Los Angeles

Es war der 151. Torschuss in dieser Partie, die sich über mehr als sechs Stunden hinzog. 2:2 hatte es nach der regulären Spielzeit im ersten Duell der ersten Playoff-Runde zwischen Tampa Bay Lightning und den Columbus Blue Jackets gestanden. In den ersten vier Verlängerungen war kein Treffer gefallen. Nach einer Nettospielzeit von 150 Minuten und 27 Sekunden - länger dauerten in der 102 Jahre währenden Geschichte der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga NHL nur drei Partien - kullerte der Puck zu Tampas Stürmer Brayden Point, und der schlenzte ihn in die linke obere Ecke.

"Ich habe nicht gezielt, sondern einfach draufgehalten", sagte Point später. Das war wohl die beste Idee angesichts des Rekordes, den der gegnerische Torwart Joonas Korpisalo mit 85 abgewehrten Schüssen aufgestellt hatte. Es war ein Schuss wie ein Blitz, der die Columbus-Spieler direkt in die Magengegend traf und gleichzeitig Tampas Dämonen verscheuchte.

Tampa Bay Lightning war in der vergangenen Saison die mit Abstand erfolgreichste Mannschaft der Hauptrunde gewesen, 100 Prozent der Experten prognostizierten mindestens die Teilnahme an der Finalserie. Doch dann gewann das Team in der ersten Playoff-Runde keine einzige Partie. Der Gegner hieß: Columbus.

Man kann immer die alte Floskel bemühen, dass die Vergangenheit in die Vergangenheit gehöre, Tampas Trainer Jon Cooper hat genau diese Einordnung vorgenommen: "Das steht für immer in den Geschichtsbüchern, und genau da gehört es auch hin und nicht in unsere Köpfe in der Gegenwart." Wer jedoch jemals an einem Wettkampf teilgenommen hat, der kennt dieses flaue Gefühl im Magen, wenn es in der gleichen Runde gegen das Team geht, das einen in der Vorsaison blamiert hat. Wenn dieser Gegner in der ersten Partie 1:0 und 2:1 führt und in der fünften Verlängerung trotz Unterzahl eine Wahnsinnschance auf den Siegtreffer hat. Wenn das Herz im Schlittschuh steckt, weil es erst in die Hosentasche und von dort aus noch weiter nach untern gerutscht ist. Wenn der Unterschied sichtbar wird zwischen denen, die nicht verlieren wollen - und jenen, die gewinnen wollen. Man glaubt oft, das sei gerade in den Playoffs dasselbe, doch das stimmt nicht, der Unterschied ist gewaltig.

Tampa gehört seit fünf Jahren zu den Titelfavoriten der NHL, 2015 erreichte die Mannschaft die Stanley Cup Finals, 2016 und 2018 jeweils das Halbfinale. In der vergangenen Saison glückten dem Team die meisten Siege der NHL-Geschichte, nämlich 62. In der Playoff-Serie gegen Columbus jedoch wurde dieses so spielfreudige Team zuerst eingeschüchtert und dann regelrecht überrollt: Die letzte Partie endete 3:7. Seitdem herrscht da dieser Verdacht, dass Leute wie Victor Hedman und Nikita Kutscherow womöglich mehr Angst vor Niederlagen als Lust auf Siege haben.

"Wir müssen eine neue Geschichte schreiben, wenn wir die Erinnerung loswerden wollen", hatte Trainer Cooper vor der ersten Partie gefordert. Damit das klappt, hatte Manager Julien Brise Bois vor der Saison einige Spieler geholt, die weniger Künstler sind als vielmehr Steinmetze: Pat Maroon zum Beispiel, Barclay Goodrow und Blake Coleman. Das Gerüst blieb, doch gibt es nun ein paar Stabilisatoren im Team wie Maroon, der in der Saison zuvor mit St. Louis Blues den Stanley Cup gewonnen hatte: "Viele meiner Kollegen wissen, wie man gewinnt - sie wissen aber auch, wie es sich anfühlt, wenn man verliert und das große Ziel nicht erreicht. Ich hoffe, dass mein Einfluss in der Umkleidekabine für eine neue Identität sorgt", sagte er. Das Ziel hieß also: Weniger Angst vor dem Scheitern, mehr Gier auf diesen Pokal, den man am Ende überreicht bekommt.

Tampa Bay Lightning gelang in dieser Saison vor der Unterbrechung wegen der Corona-Pandemie die drittbeste Bilanz der NHL. Bei der Fortsetzung der Eastern Conference in Toronto (die Western Conference spielt in Edmonton, wo auch die Halbfinals und die Finalserie stattfinden) gab es deshalb zunächst nur drei Platzierungsspiele, von denen Lightning zwei gewann. Die erste Partie von Bedeutung war jene am Dienstag: Und dieser Schuss von Brayden Point dürfte einige Geister vertrieben haben, die sich ansonsten gehässig lächelnd in den Köpfen festgesetzt hätten.

"Ich war noch nie in meinem Leben bei einem Spiel dabei, das so lange gedauert hat", sagte Braydon Point danach: "Es war ein Kampf, körperlich wie mental, aber wir haben das Eis am Ende als Sieger verlassen." Das sei wichtig fürs Gemüt: "Es steht dennoch nur 1:0, und es geht am Donnerstag schon wieder weiter." Er weiß: Die Geschichte der Eishockey-Playoffs wird nicht in einem Spiel geschrieben, so lange es auch sein mag. Sondern in vier Runden, von denen jede einzelne sieben Spiele dauern kann.

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