Eishockey:Der verbindliche Franz

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Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, gilt als Favorit auf die Nachfolge von Weltverbandschef René Fasel. Er selbst übt sich aber noch in taktischer Zurückhaltung.

Von Johannes Schnitzler, München

Rom im Herbst ist halbwegs erträglich. Wenn die größte Hitze aus der Ewigen Stadt weicht und die Sonne nicht mehr so steil auf die sieben Hügel knallt, den Aventin, den Quirinal und auch den Vaticanus. Eben dort, in der Sala Clementina, dem Thronsaal der Päpste im Apostolischen Palast, saßen Ende September 140 Menschen, die es gerne etwas kühler haben. Die Delegierten der im Weltverband IIHF vereinten Eishockey-Nationen hatten sich in Rom zum Halbjahres-Kongress versammelt. Das Protokoll sah unter anderem eine Audienz beim Papst vor. In der ersten Reihe saß Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB).

Reindl war, wie er erzählt, "positiv überrascht": Statt zu predigen, habe das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche über die Integrationskraft des Sports gesprochen. Am Ende sagte der Pontifex, besser bekannt als Franziskus I., dem Besuch aus Deutschland Grüßgott. "Honorable and moving", sei der Moment gewesen, schrieb der nach seinen Worten nicht übermäßig religiöse Reindl danach in den Sozialen Kanälen, ehrenvoll und bewegend.

Franziskus und Franz, Hand in Hand. Es gibt wohl kaum einen besseren Ort auf dieser Welt, um höhere Weihen zu empfangen, als Rom. Von Reindl heißt es, er wolle im nächsten Herbst, wenn nach 26 Jahren die Präsidentschaft des Schweizers René Fasel endet, dessen Nachfolge im höchsten Amt der IIHF antreten. Bis zum 1. Juni 2020 müssen Bewerber ihre Kandidatur einreichen. Reindl werden beste Chancen nachgesagt - aber auch taktische Zurückhaltung. "Er lässt sich nicht in die Karten schauen", sagt einer, der ihn gut kennt: "Er tritt nur an, wenn er weiß, dass er gewinnt." Immerhin sagt Reindl: "Ich beschäftige mich intensiv mit dem Thema."

"Es wäre die logische Folge seines Werdegangs"

Franz Reindl wäre aktuell der vierte Deutsche an der Spitze eines olympischen Weltverbandes neben Klaus Schormann (Moderner Fünfkampf), Sepp Fendt (Rennrodeln) und Thomas Weikert (Tischtennis) und der zweite deutsche IIHF-Präsident nach Günther Sabetzki (1975-94). "Es wäre die logische Folge seines Werdegangs", sagt ein Wegbegleiter. Dieser Werdegang hat den gelernten Groß- und Außenhandelskaufmann aus Garmisch-Partenkirchen ins Innerste des nationalen und internationalen Geschäfts geführt. Im deutschen Eishockey war Reindl alles: Nationalspieler, (Bundes-)Trainer, erster Geschäftsführer der Deutschen Eishockey Liga (DEL), Sportdirektor, Generalsekretär, mehrmals WM-Organisator, seit 2014 führt er den DEB. Vermutlich ist er auch mal heimlich nachts mit der Zamboni übers Eis gekurvt.

Ähnlich wie Franz Beckenbauer, der als einziger deutscher Fußballer als Spieler und Teamchef Weltmeister wurde, ist Reindl der einzige Deutsche, der als Spieler (1976, Bronze) und Funktionär (2018, Silber) eine olympische Eishockey-Medaille gewann. Vielleicht ist das mit den Vornamen ja kein Zufall. Der Unterschied: Reindl gilt als unbescholten. International ist Reindl engmaschig vernetzt. Seit 1998 ist er Mitglied in verschiedenen Komitees der IIHF. Im Mai 2016 wählten ihn die Delegierten mit großer Mehrheit ins Council, den obersten Rat. Reindl vertritt die IIHF in der kontinentalen Champions League. 2016 führte er das Team Europa an, das beim World Cup Platz zwei belegte; berufen hatten ihn die NHL-Klubs und die Gewerkschaft der NHL-Profis, ein Zeichen, dass er auch in Nordamerika Respekt genießt. Das zeigte sich wieder beim Kongress in Rom.

Reindl war Teil einer sechsköpfigen Gruppe, die mit dem Vermarkter Infront einen neuen Kooperationsvertrag aushandelte. Der bringt der IIHF bis 2033 rund 450 Millionen Euro, etwa dreimal so viel wie der noch bis 2023 laufende Kontrakt. "Die Verlängerung bringt Entwicklungssicherheit für unseren Sport", sagt Reindl.

Der ehemalige Stürmer versteht es, das Spiel aus dem Hintergrund zu lenken. Ein Kongress wie in Rom diene "natürlich auch dazu, Kontakte zu pflegen", sagt er. "Der Franz macht das gut", sagt ein Vertrauter: Nähe schaffen. Brücken bauen. Im Dialog berührt Reindl Gesprächspartner schon mal vertraulich am Arm. Er kann mit IOC-Präsident Thomas Bach ebenso wie mit Alfons Hörmann, dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). In Pyeongchang war Hörmann ständig in der Nähe der Mannschaft, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte das Trainingscamp. Die Nähe zu Fasel, Bach und Hörmann, durchaus umstrittenen Figuren des Weltsports, sehen manche kritisch. Reindl weiß das, er sagt, die Aufgaben für den nächsten Präsidenten stünden fest; Kompetenzen, Entschädigung, Compliance - alles sei in Rom festgelegt worden. "Das ist alles offen und transparent. Es gibt keine Grauzonen."

In anderen Augen ist es eben diese Trittsicherheit auf schmalen diplomatischen Pfaden, die Reindl für das Amt des IIHF-Präsidenten prädestiniert. Fasels Nachfolger wird in einer "Sandwich-Position" zwischen Nordamerika und Russland agieren müssen und deren Milliarden-Ligen NHL und KHL (deren Einfluss die NHL eindämmen möchte). "Das ist Weltpolitik", sagt ein Insider, mit all ihren Winkelzügen und Strippenziehern. Ganz so hoch will Reindl es nicht hängen. "Natürlich muss man moderieren können, die Interessen auch der kleinen Verbände und Institutionen sehen", sagt er. Bevor man eine Kandidatur verkünde, müsse man erst einmal "die Leute hören. Das mache ich gerade. Ich höre da wirklich rein".

Im nächsten Jahr findet die WM in der Schweiz statt, dort laufen alle Fäden zusammen: Fasel, der die IIHF erst zu einem großen Verband gemacht hat, ist Schweizer; Vermarkter Infront, dessen Präsident und Geschäftsführer Philippe Blatter ist, ein Neffe des ehemaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter, sitzt in der Schweiz. Ebenso das IOC. Was er aus seinen Sondierungsgesprächen herausgehört hat, ist "eine riesige Unterstützung", sagt Reindl. Ob er aber 2020 den "ganz großen Schritt" wage: "Das weiß ich jetzt noch nicht."

Wie intensiv er sich mit dem Thema beschäftigt hat, verraten indes zwei Details. "Natürlich" habe er mit seiner Frau Clivia und den drei Kindern gesprochen. Ohne Rückendeckung der Familie ein solches Amt zu übernehmen, "das geht nicht". Und dann ist da noch sein Alter. Reindl wird am 24. November 65, er ist nur knapp fünf Jahre jünger als Fasel. Bis auf den IIHF-Vize Bob Nicholson, 66, aus Kanada, sind seine möglichen Konkurrenten teils erheblich jünger: der Däne Henrik Bach Nielsen, 53, der ehemalige tschechische Nationaltorwart Petr Briza, 54, der Weißrusse Sergej Gontscharow, 36. "Es ist klar, dass man mit Gegenargumenten konfrontiert wird", sagt Reindl. Das Alter sei keins. Wählbar ist man bis 72, gewählt wird für vier Jahre. "Zum Zeitpunkt der Wahl wäre ich 65. Dann könnte ich mit 69 noch einmal antreten." Zwei Amtsperioden, "mehr wollen die Leute eh nicht". Außerdem: "Jeder fühlt sich so alt, wie seine Arterien sind. Und da bin ich ganz gut unterwegs."

Dass er auch mit 60 plus zupacken kann, hat Reindl als DEB-Präsident bewiesen. Als diplomatisches Meisterstück rechnen ihm Unterstützer wie Kritiker die Satzungsänderung des als verkrustet geltenden Verbandes und die Annäherung an die Liga an. "Er hat ein total zerstrittenes Eishockey-Deutschland wieder vereint", sagt ein DEL-Manager: "Das kommt direkt nach dem Mauerfall." Mit mehr oder weniger sanfter Gewalt zwang Reindl Ende 2014 die Klubs der ersten und zweiten Liga zurück unter das Dach des DEB und machte den klammen Verband wieder flüssig. Er scheute sich nicht, mit der Gründung eines neuen Verbandes zu drohen, sollten die Landesverbände nicht mitziehen. Unterstützung beim sogenannten Dialogtag in München kam damals von: René Fasel. Das Manöver löste kleinere Beben aus. Aber seitdem steigt die Zahl der Mitglieder und Aktiven, die Heim-WM 2017 war ein finanzieller Erfolg, die Nationalmannschaft als Aushängeschild der zweitbeliebtesten Mannschaftssportart im Land rückte wieder in den gemeinsamen Fokus. Unter dem alten Präsidium, sagt ein Funktionär, der die Zeit miterlebt hat, hätten Verband und Liga "nicht mal mehr übereinander geredet". Bis der verbindliche Franz die Kluft überbrückte.

Die vorläufige Krönung folgte 2018 in Pyeongchang. Den unglücklich agierenden Bundestrainer Pat Cortina recht unsentimental durch den völlig unerfahrenen Marco Sturm zu ersetzen, war Reindls Idee. Und das Kalkül ging auf. Sturm, der deutsche NHL-Rekordspieler, öffnete die Fenster, ließ frische Luft herein und holte den größten Erfolg in der deutschen Eishockey-Geschichte: Olympia-Silber. Die Profis - auch aus der NHL - kommen wieder gerne zum Nationalteam. "Der DEB hat in den vergangenen Jahren ein paar sehr gute Entscheidungen getroffen", sagt ein DEL-Manager. Die Nachwuchsmannschaften seien nun alle mit hauptamtlichen Trainern besetzt, Sturms Nachfolger Toni Söderholm setzt wie sein Vorgänger (der in die NHL wechselte) auf junge Spieler. Die Kommunikation mit dem Verband und dem Bundestrainer sei nie besser gewesen als jetzt, heißt es aus der Liga.

Beim Deutschland Cup an diesem Wochenende in Krefeld wird über eine Umwandlung des DEB von ehrenamtlichen Strukturen hin zu einer professionell geführten Gesellschaft diskutiert - für eine Zeit nach Reindl? Der sagt: "Wir müssen den DEB zukunftsfähig machen, unabhängig davon, was 2020 bei der IIHF passiert." Die Strukturen müssten so schlank und effektiv sein wie möglich. Als potenzielle Nachfolger gelten die Vizepräsidenten Daniel Hopp, 39, Geschäftsführer der Adler Mannheim sowie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der DEL, und Marc Hindelang, 52, Eishockey-Kommentator, Präsident des EV Lindau und seit 2018 Pressesprecher beim Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt. Auch Sportdirektor Stefan Schaidnagel, 38, dessen systematische Entwicklungsarbeit viele loben, und DEL-Aufsichtsratschef Jürgen Arnold (Ingolstadt) werden für Führungsämter gehandelt. "Im Rahmen der Präsidiumssitzung wird beim Deutschland Cup dazu ein erstes Gespräch stattfinden", sagt Reindl und bemüht ein Bild aus der Autoindustrie: "Erst müssen wir eine Karosserie bauen. Und dann suchen wir den Fahrer." Unabhängig davon, was 2020 beim DEB passiert, prophezeien die meisten aber: Reindl wird der nächste IIHF-Präsident. Falls er nicht vorher Papst wird.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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