Eishockey:"Es ist viel populistischer Kokolores erzählt worden"

Hauptgesellschafter Lothar Sigl Augsburger Panther EHC Red Bull Muenchen vs Augsburger Panther; Eishockey

Lothar Sigl, 63, übernahm 1987 den Augsburger EV und führte ihn als Hauptgesellschafter aus dem Konkurs in die erste Liga. 1994 gehörten die Augsburger Panther zu den Gründungsmitgliedern der DEL.

(Foto: Christian Kolbert/Imago)

Im Eishockey tobt der Streit um den Gehaltsverzicht der Spieler. Lothar Sigl, Mitglied im Aufsichtsrat der DEL, spricht darüber, warum die Lage aus dem Ruder gelaufen ist und der Kollaps droht.

Interview von Johannes Schnitzler

Am vergangenen Sonntag endete für die Klubs der Deutschen Eishockey Liga (DEL) die Bewerbungsfrist für die neue Saison. Das im Grunde staubtrockene Lizenzierungsverfahren gerät gerade zum Politikum. In der Corona-Krise verlangt die wirtschaftlich angeschlagene Liga von den Spielern der 14 Klubs einen Gehaltsverzicht von 25 Prozent und mehr, je nach Beginn und Verlauf der Saison. Etliche verweigern die Unterschrift und sprechen von Nötigung, einige kündigten die Gründung einer Interessenvertretung an. Seitdem tobt der "Papierkrieg". Nun bezieht Lothar Sigl Stellung, geschäftsführender Gesellschafter der Augsburger Panther und Mitglied im Aufsichtsrat der DEL.

SZ: Herr Sigl, wann hat Augsburg die Unterlagen zur Lizenzprüfung abgegeben?

Lothar Sigl: Am Mittwochabend, 20. Mai.

Vier Tage vor Fristende: überpünktlich. Auch vollständig?

Jedenfalls, was das betrifft, worauf Sie hinaus wollen: Ja, alle Spieler haben die Zusatzvereinbarungen unterschrieben.

Dann ist Augsburg neben Bremerhaven der zweite Klub, der Vollzug meldet. Zwei von vierzehn.

Da muss ich korrigieren: Auch Iserlohn und Wolfsburg haben alles abgegeben, habe ich gehört.

Haben Ihre Spieler ein höheres soziales Bewusstsein als die anderen? Haben Sie ihnen das mit dem Gehaltsverzicht besser erklärt? Oder lieber nicht ganz so genau?

Wir in Augsburg haben uns ganz, ganz, ganz viel Arbeit gemacht, viele Konferenzen abgehalten, am Telefon, per Video. Wir haben hier ein enges, familiäres Verhältnis, das hat dazu beigetragen, dass die Spieler die Situation mittragen. Man macht so etwas ja nicht aus Jux und Tollerei.

Vier Klubs machen noch keine Liga - was ist mit den übrigen zehn?

Viele Spieler wussten bis jetzt nicht so genau, wie sich ein DEL-Klub finanziert, wie mühsam wir zum Teil unser Budget zusammenbasteln. Wenn man ihnen erklärt, dass alles, was mit dem Spielbetrieb zusammenhängt - Ticketing, Catering, das Fernsehen -, zurzeit null Einnahmen generiert und nur das Merchandising vielleicht noch ein paar Cent in die Kasse bringt, dann begreift irgendwann jeder Spieler, dass das nicht aufgehen kann, wenn auf der einen Seite 68 Prozent Ausgaben für die Spieler stehen und auf der anderen Seite eine Null. Die Situation ist eine andere als vor drei Monaten, die Welt ist eine andere. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, fliegt uns das ganze Konstrukt in die Luft. Oder wir machen es wie in der DDR, dann spielen eben nur drei, vier oder fünf Klubs weiter, die es sich leisten können. Das wäre auch nicht lustig.

Nun sind die Etats in Mannheim oder München doppelt so hoch wie in Augsburg oder Bremerhaven, die Verträge der Spieler variieren sogar klubintern erheblich. Warum hat die DEL pauschal einen Gehaltsverzicht von 25 Prozent verfügt und das mit dem Datum 24. Mai verknüpft?

Der 24. Mai war völlig in Ordnung, das haben wir immer so gemacht.

Sie haben gerade selbst gesagt, die Welt hat sich verändert. Dann hätte man doch auch diese Frist verlängern können.

Im Gegenteil. Das Prüfungsverfahren ist normalerweise bis Ende Juni abgeschlossen. In diesem Jahr könnte es sich länger hinziehen. Was ist, wenn im September der Herr Söder (bayerischer Ministerpräsident, d. Red.) sagt: "Ihr dürft jetzt spielen", und wir haben noch nicht zu Ende geprüft? Diese 25 Prozent sind doch völlig irrelevant, wenn wir alle fröhlich spielen dürfen.

Ein regulärer Saisonstart mit Zuschauern zum 18. September ist aber äußerst unwahrscheinlich.

Aber was passiert, wenn wir nichts machen? Dann fliegen reihenweise Klubs durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung! Wir können nicht blauäugig einfach abwarten.

Hätte man den Klubs und Spielern nicht wenigstens zwei Wochen Aufschub gewähren können, um Alternativen zu suchen?

In zwei Wochen ändert sich doch nichts. Ich verstehe, dass das für die Spieler schmerzhaft ist. Aber was haben sie davon, wenn ihr Klub keine Einsparungen darstellen kann? Nichts. Ihr Klub erhält keine Lizenz, und sie haben keinen Vertrag.

Jeder Klub ist für seine Hausaufgaben verantwortlich

Adler Mannheim - EHC Red Bull München

Als noch alles wie immer war: Mannheims Brent Raedeke (l) und Münchens Maximilian Kastner im Februar

(Foto: dpa)

Am Montag hieß es nun, die Unterschriften der Spieler könnten nachgereicht werden? Warum hat die Liga dann so viel Druck gemacht zu diesem 24. Mai?

Ich glaube, der Druck kam nicht von der Liga. Ich kann nur für uns sprechen. In Augsburg haben wir vor der Abgabe immer zwei Wochen Rush Hour. Wir versuchen, alles so akkurat wie möglich zusammenzutragen. Aber es ist völlig normal, dass mal was fehlt. Wenn in vier Wochen ein Sponsor kommt und mir den Betrag x zahlt, verbessert das die Situation, also reicht man das nach. Umgekehrt: Wenn die Unterlagen nicht komplett sind, wird man aufgefordert werden nachzureichen, was fehlt.

Die meisten Spieler und Klubs haben es aber so verstanden: Wer bis 24. Mai nicht alle Unterschriften hat, erhält keine Lizenz. DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke sagte in der vergangenen Woche, die "Bedingungen gelten unverändert". Warum hat die DEL die Situation eskalieren lassen?

Das hat sie nicht. Das war kein Ausschlusskriterium. Dafür ist das ganze Thema viel zu wichtig, als dass man es an einer Formalie scheitern lässt. Wir wollen ja eine intakte Liga mit 14 gesunden Klubs.

Offenbar haben die meisten da aber doch einen Zusammenhang gesehen.

Ich habe das nie als K.-o.-Kriterium verstanden. Die Zusatzvereinbarungen sind aber nun mal ein Teil des Prüfverfahrens. Da gibt es 100 Punkte, und die wenigsten werden jetzt schon 100 Haken dahinter machen können. Ich glaube, das war eine Fehlinterpretation, und ich finde es ungerecht, das jetzt Gernot Tripcke und der Liga in die Schuhe zu schieben. Jeder Klub ist für seine Hausaufgaben verantwortlich.

Warum sind eigentlich Trainer, Geschäftsführer und Sportdirektoren von der Regel ausgenommen? Oder ist das auch ein Missverständnis?

Ich verstehe, dass sich Spieler noch schwerer tun, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben, wenn sie das hören. Aber das stimmt so nicht. Soweit ich weiß, haben Charly Fliegauf (Manager Wolfsburg), Jason Dunham (Straubing) und auch Tripcke schon erklärt, dass sie auf Teile ihres Gehalts verzichten, andere werden sich noch beteiligen. Explizit ausgenommen sind nur Nachwuchsspieler und solche, die weniger als 2000 Euro pro Monat verdienen. Und ich schwöre: Ich werde keinen Trainer oder Spieler verpflichten, der meint, er könnte feixend da sitzen, während andere verzichten. Nicht in meiner Kabine!

Der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga, Frank Bohmann, hat gesagt, dass auch in der HBL 25 Prozent Gehaltseinbußen realistisch seien. Allerdings werde man sich in der Vorgehensweise "nicht am Eishockey orientieren". Die Verknüpfung eines Gehaltsverzichts mit der Lizenzvergabe sei "eine Vereinbarung zu Lasten Dritter, das ist nicht unser Weg".

Beim Eishockeysport sind die Zuschauer so nah wie nirgends sonst bei gefährlichen und schnellen Aktionsport - hier Flori; Eishockey

Als die Eishockeywelt noch in Ordnung und die Zuschauer nah am Geschehen waren: Szene aus einem DEL-Spiel zwischen den Eisbären Berlin und den Augsburger Panthern im November 2019.

(Foto: Mario Stiehl/Imago)

Ich glaube nicht, dass jemand gesagt hat: "Wenn ein Spieler nicht unterschreibt, erhaltet Ihr keine Lizenz." Noch mal: Es ist ein Schritt im Verfahren. Wir reden von 25 Prozent des Personalbudgets. Wenn das nicht gedeckt ist, macht mir das Angst. Und auch wenn das niemand hören will: Tripcke hat Recht, wenn er sagt, dass das Personal die einzige Stellschraube ist, um Fixkosten zu senken. Die vier Klubs, die ihre Unterlagen komplett abgegeben haben - vielleicht ist das ein klitzekleiner Fingerzeig -, sind Klubs, die keinen Cent zu viel haben. Wir sind noch old school, wir erarbeiten uns Jahr für Jahr Euro für Euro. Die sich jetzt schwerer tun, sind eher Klubs, wo die Spieler vielleicht denken, irgendwer wird die Rechnung schon bezahlen.

Sie machen sich Sorgen um die Großen?

Die Kleinen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Wir haben sehr früh und transparent die Spieler informiert. Wir haben oft gesprochen, Aufsichtsräte, Gesellschafter, Geschäftsführer, Sportmanager. In zwei Runden waren die Berater dabei, die mehr als 90 Prozent der DEL-Profis vertreten. Einmal waren Vertreter aus dem Kreis der Spieler dabei. Wir haben knapp vier Stunden gesprochen. Am Schluss haben wir gefragt: Wem ist was unklar? Wer hat Fragen? Niemand hat nachgefragt. Niemand.

In der Wirtschaft gibt es Gewerkschaften und Betriebsräte. Nun wollen die Spieler wie im Handball eine Interessenvertretung gründen. Halten Sie das für legitim?

Ja, klar, das würde der Liga gut tun. Viele Entscheidungen wären viel schneller umzusetzen. Was ich nicht richtig finde, ist das Timing, ausgerechnet jetzt, in der größten Krise. Das halte ich für fragwürdig.

Man könnte dagegen argumentieren: Wann, wenn nicht jetzt, in dieser Krise?

Aber dann zu sagen, mit uns redet keiner: Die Spieler müssen zu ihren Klubs gehen, die sind ihre Arbeitgeber. Die DEL als Verwaltungseinheit ist der falsche Ansprechpartner. Das ist etwas aus dem Ruder gelaufen, da ist viel populistischer Kokolores erzählt worden. Was mich persönlich beleidigt, ist, wenn von Nötigung und Erpressung die Rede ist. Da hört der Spaß auf.

Die Initiatoren um Moritz Müller (Kölner Haie) und Patrick Reimer (Nürnberg Ice Tigers) beteuern, dass sie ja helfen wollen. Sie wollen aber mit entscheiden, wie.

Diese Spieler waren über Jahrzehnte wichtige Bestandteile des Systems. Das sind super Sportsmänner. Wir wissen alle, was wir erreicht haben, durch unser Nachwuchsprogramm, durch Olympiasilber und so weiter. Die Liga hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren super entwickelt. Aber wenn wir nicht alle zusammenhelfen, dann wird es diese Liga, wie wir sie jetzt kennen, für viele Jahre nicht mehr geben. Und gerade Spieler, die so lange auch von diesem System profitiert haben - und hoffentlich noch lange gesund bleiben und spielen können - haben eine Verantwortung gegenüber ihrem Klub und ihren Teamkollegen, die vielleicht noch zehn oder 15 Jahre spielen wollen.

Werden Spieler wie Reimer oder Müller, langjährige Nationalspieler, die vor zwei Jahren als Olympiahelden gefeiert wurden, die als Kapitäne die Gesichter ihrer Klubs und der Liga sind und Dauerkarten verkaufen sollen, so nicht als uneinsichtige Raffzähne in die Ecke gestellt?

Wer hat sie denn in die Ecke gedrängt? Die DEL hat sich seit zwei Wochen medial nahezu komplett rausgenommen. Ich glaube, die Spieler sind an der falschen Adresse. Keiner redet mit ihnen? Den schwarzen Peter nimmt die DEL gerne an. Was soll Gernot Tripcke denn auch sagen: ,Bitte wende Dich an Deinen Klub, dort musst Du Dein Problem platzieren?' Seit Ende April waren alle informiert, jeder Klub kannte die Kriterien. Wir sind stolz, dass wir in dieser Liga seit Jahren keinen Klub mehr in der laufenden Saison verloren haben, denn das wäre das Schlimmste: Wenn wir im Oktober anfangen dürften und im Januar wäre es vorbei. Das ist keine Jux-Veranstaltung.

Ingolstadt, der Klub Ihres Aufsichtsratskollegen Jürgen Arnold, hat sich mitten in der Krise von seinem Geschäftsführer getrennt, mutmaßlich, weil man mit seiner Sponsorenakquise nicht zufrieden war. Die DEL steht derzeit ohne Liga-Sponsor da, obwohl lange bekannt war, dass Covestro nach vier Jahren aussteigen wird.

Klar, wir ermuntern unseren Geschäftsführer jede Woche hundert Mal, dass er Erfolge darstellt. Ich bin mir sicher, dass er jeden Tag darüber nachdenkt. Er hatte ja auch Erfolge. Der Deal mit Covestro und die Partnerschaft mit MagentaTV sind Gernot Tripckes Verdienst. Wir sind nach dem Fußball die Sportart mit der zweithöchsten Zuschauerfrequenz und den größten Hallen. Aber diese Krise ist nichts Hausgemachtes, wir sind nicht daran schuld. Und eine Verramschung der Liga will keiner.

Ihr ehemaliger Trainer Larry Mitchell, jetzt Sportdirektor in Ingolstadt, hat mal über Sie gesagt: "Egal, wie schlimm die Lage ist, Lothar behält klaren Kopf." Gilt das immer noch?

Ich hoffe. Ich gebe in solchen Situationen Vollgas. Wenn ich ein Spieler wäre, würde ich mich in der 59. Minute bei Rückstand einwechseln, dann geht's erst los. Ich will mir nicht selbst auf die Schulter klopfen. Aber ich nehme für mich in Anspruch, dass ich mich in 30 Jahren allen Spielern und Angestellten gegenüber anständig verhalten habe. Auch diesmal. Ich habe die Hosen runtergelassen und gesagt: Helft mir. Ohne Euch wird die Rechnung nicht aufgehen. Meine Spieler haben das verstanden.

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EHC Red Bull München - Düsseldorfer EG

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