Süddeutsche Zeitung

DEL in der Krise:"Unser Ziel ist, dass es uns danach noch gibt"

Eine ansteckende Schwere bei den Spielern, drohende Millionenverluste und Fans, die sich nicht mehr sehen: Was Corona mit Erstliga-Eishockey macht, zeigt sich am Standort Straubing.

Von Johannes Kirchmeier

Gerade versöhnt die Straubinger nur die Erinnerung ans letzte Mal. 4674 Zuschauer standen am 8. März im Eisstadion am Pulverturm und feierten ihre Tigers zum Hauptrunden-Ende: "Deutscher Meister wird nur der EHC!", schrien die Fans durch die Halle. Sie sangen vom kleinen Eishockeyclub Straubing, der als Dritter, stark wie noch nie, mit großen Ambitionen in die Playoffs der Deutschen Eishockey Liga gehen sollte. Und doch nie ging.

Spiele gab es seit diesem Märzsonntag nicht mehr. Die DEL beendete ihre Saison wegen des Coronavirus vorzeitig - als erste deutsche Liga. Und als der Lockdown nach und nach beendet wurde, konkurrierende Sportarten wie Handball, Basketball oder Volleyball sich mit Hygienekonzepten ans Spielen wagten, blieb es in der DEL still. Was macht dieser Lockdown mit einer Sportart? Was macht er mit den Menschen, die ihr Geld damit verdienen? Am kleinsten DEL-Standort Straubing beginnen die Antworten heute mit einem geseufzten, fast bedrückten "mei". Und das heißt nichts Gutes in Niederbayern.

Bis Mitte November soll zum dritten Mal über den Starttermin der DEL entschieden werden, frühestens im Dezember könnte es losgehen, so recht glauben wollen daran gerade nur wenige im Eishockey. "Ohne Moos nix los", sagt Tigers-Geschäftsführerin Gaby Sennebogen und bringt die Misere schnell auf den Punkt. Ihr Sportlerherz sage zwar "ja" zum Start im Dezember, und darauf arbeiten sie in Straubing auch hin, aber: "Ich bin äußerst skeptisch, ob in dieser Saison noch ein Spielbetrieb stattfinden kann. Darüber traut sich nur keiner zu sprechen."

1,5 Millionen Euro Minus ohne Saison - oder vier Millionen mit maximal 20 Prozent Auslastung

60 Millionen Euro fehlen der Liga für den Betrieb, teilte ihr Aufsichtsratschef Jürgen Arnold vor vier Wochen nach Beratungen aller Klubs mit. Der Tenor: Sie würden gerne spielen, aber können so nicht.

Vor allem die derzeit erlaubte Stadionauslastung von maximal 20 Prozent bereitet Sorgen. Zu abhängig sind alle Klubs, die je 300 000 Euro vom TV-Partner Magenta Sport bekommen, von der Kundschaft live in der Halle. "Unser Geschäftsmodell basiert seit jeher auf Zuschauern im Stadion. Es wäre nie jemand auf die Idee gekommen, dass keine mehr reingelassen werden dürfen", sagt Sennebogen. Mit steigenden Infektionszahlen zerschlägt sich wohl auch die Hoffnung auf baldige Aufstockung, 40 bis 50 Prozent würde Sennebogen aus kaufmännischer Sicht gerne in der 5700-Zuschauer-Halle in der 50 000-Einwohnerstadt sehen. Ihr Credo bleibt Jahr für Jahr: Nur keine Schulden machen. Anders als manche Konkurrenten konnten die Straubinger daher auch Unterstützung aus dem Corona-Hilfspaket des Bundes beantragen, bis zu 800 000 Euro kann es für entgangene Zuschauereinnahmen geben.

Trotzdem lautet eine Rechnung Sennebogens mittlerweile so: 1,5 Millionen Euro Minus ohne Eishockey-Saison; oder vier Millionen Euro Minus mit maximal 20 Prozent Auslastung. Anderen Erstligisten geht es ähnlich, nur die Ligen unter der DEL wollen starten. "Vielleicht hat die DEL zum Schluss alles richtig gemacht. Das ist meine Hoffnung, auch wenn's gerade keiner versteht", findet Sennebogen. "Für mich steht die Wirtschaftlichkeit vor dem Sport. Unser Ziel ist, dass es uns danach noch gibt." Darauf schauen auch die 21 Straubinger Gesellschafter, eine Struktur, die nach der Insolvenz des EHC 2002 entstand. In der Krise kommt sie dem Klub entgegen: "Wir haben hier nicht 17 Jahre lang alles aufgebaut - und das war's dann." Noch halten auch die Sponsoren die Treue. Aber wer weiß, wie das nach anderthalb Jahren ohne Eishockey wäre.

Ähnliches gilt für die Profis, die im Sommer unter dem Druck der DEL-Klubs einem 25-prozentigen Gehaltsverzicht zustimmten, nun aber trotzdem nicht spielen dürfen. "Dass es so ein Horrorszenario wird und alle warten, damit hat keiner gerechnet", sagt Torwart Sebastian Vogl: "Ich fühle mich so ein bisschen wie ein Hund an der Leine, der endlich losgelassen werden will." Manchmal lockert er die Leine, das schon, dann geht er zum Training aufs Eis. Vogl ist Klub und Trainern dankbar für die Möglichkeit, an anderen Standorten sehe das anders aus. "Wir haben eine Verantwortung für unsere Spieler. Und wollen sie auch in dieser Phase weiterentwickeln", sagt der Sportliche Leiter Jason Dunham. Aber nur trainieren? Sie üben alle gerade für kein Ziel - und da leide bei dem ein oder anderen schon die Motivation. Sonst wirkt der Ehrgeiz im Teamsport ansteckend. Nun tut es die Schwere. Verständlich, es geht um Existenzen.

Vogls Frau hatte ihren Job aufgegeben, um mit ihm nach Straubing zu gehen. Und jetzt steckt er bis auf die Trainingsstunden in Kurzarbeit: "Wie die meisten anderen auch, haben meine Familie und ich einen Finanzplan gemacht. Doch die Einhaltung des Plans ist jetzt leider nicht mehr möglich." Vier Kollegen sind bereits weg, leihweise. Sie wollten Spielpraxis, sie wollten von der Leine. Sollte die Tigers-Saison beginnen, kehren sie zurück. Der gebürtige Landshuter Vogl würde wohl nur zu einem Klub in der Nähe gehen. Er ist Optimist, er hofft auf den Start mit Straubing im Dezember. Sorge hat er ein wenig um den Teamgeist der bislang eingeschworenen Einheit, die gerade auseinanderdriftet. "Der Stolz einer Stadt", drucken die Tigers auf Plakate. Streitig macht ihnen die folkloristische Hauptrolle in der Stadt nur das Gäubodenvolksfest, das im August ausfiel wie später das Münchner Oktoberfest.

Das Eisstadion am Pulverturm steht neben dem Festplatz am Hagen, der Straubinger hat seine Sehnsuchtsorte beieinander. Die beiden Fanbeauftragten der Tigers, Peter Saller und Florian Mittermaier, sind sich sicher: "Wenn morgen ein Spiel angesetzt würde, die Karten wären sofort weg." Ohne Fest und Sport fehlt es am sozialen Kitt in der Stadt. Mittermaier berichtet, dass ihnen beim Frühschoppen bereits die Themen ausgehen, die Tigers waren gesetzt in den Wirtshäusern. "Die Leute haben sich ja jedes Wochenende im Stadion gesehen, das geht ihnen auch ab", sagt Saller. Gemeutert wird nicht, die Fans verstehen die Lage der Vereine.

Trotzdem vermissen sie Transparenz in der Liga, etwa zu den Plänen, wie sie wieder durchstarten will. "So ein bisschen setzt sich das Gefühl durch: Gebt uns lieber eine schlechte Nachricht als gar keine", sagt Mittermaier. Die erste schlechte Nachricht musste er jüngst verdauen: Die Champions Hockey League fällt aus, und damit die erste Europapokal-Teilnahme der Tigers überhaupt. Gaby Sennebogen versichert, dass alle Pläne für einen Dezember-Start in der Schublade liegen, so wie es die DEL verlangt. Die Idee ihres sportlichen Leiters ist offenbar (noch) nicht darunter: Jason Dunham regte bereits vor Wochen eine Spaltung in eine Nord-Liga und eine Süd-Liga für diese Saison an, so könnten Fahrt- und Hotelkosten gespart werden. Weiterhin favorisiere die DEL aber die Idee der Einheit, betont Sennebogen. "Wir werden nicht aufhören zu kämpfen, um endlich wieder Eishockey am Pulverturm live erleben zu können", sagt Dunham. Die Hoffnung ist noch da - mindestens bis zur Entscheidung im November.

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SZ vom 17.10.2020/tbr
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