Halbfinals in der Deutschen Eishockey Liga:Den Ersten beißen die Hunde

Halbfinals in der Deutschen Eishockey Liga: Müllmann bei der Drecksarbeit: Trevor Parkes (Mitte) zwischen den Wolfsburgern Dominik Bittner (links) und Gerrit Fauser.

Müllmann bei der Drecksarbeit: Trevor Parkes (Mitte) zwischen den Wolfsburgern Dominik Bittner (links) und Gerrit Fauser.

(Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Geht es nach den Zahlen, ist München in den DEL-Playoffs klarer Favorit gegen Wolfsburg - doch Grizzlys-Trainer Mike Stewart zwang den Hauptrunden-Primus schon einmal in eine kinotaugliche K.-o.-Serie.

Von Johannes Schnitzler

Das Vorrunden-Orakel ist ein bemerkenswertes Geschöpf. Sein Habitat ist dasselbe, in dem auch das Abstiegsgespenst umgehen soll. Während das Abstiegsgespenst, das zwar noch niemand je gesehen hat, immerhin ganz realen Schrecken entfaltet, ist das Vorrunden-Orakel aber blanker Unfug. Trotzdem wird es verlässlich angerufen. "In nur 19 von 41 Fällen stimmte das Vorrunden-Orakel, wonach sich die nach der Hauptrunde erstplatzierte Mannschaft auch in den seit der Saison 1980/81 ausgespielten Play-offs durchsetzte", informierte der Sport-Informationsdienst vor Beginn der Playoffs in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). 19 von 41: Welches Orakel, das auf sich hält, würde sich mit so einer Trefferquote an die Öffentlichkeit wagen?

Tabellen haben nichts mit Prophezeiungen, giftigen Dämpfen aus Erdspalten oder anderen bewusstseinserweiternden Substanzen zu tun. Eine Tabelle ist eine Tabelle, also retrospektiv zu lesen, ein Ausdruck dessen, was gewesen ist. Und so sagte Patrick Hager, Kapitän des Vorrunden-Ersten EHC Red Bull München, korrekt voraus: "Die Playoffs starten bei Null." Ergebnisse aus der Hauptrunde hätten keine Bedeutung, "weder einzelne Duelle noch der Punktestand", sagte Hager, sonst hätten die Münchner ihren vierten Titel schon sicher. Trotzdem: "Eigentlich können wir uns fast nur selber schlagen", sagte Verteidiger Konrad Abeltshauser. "Die Tiefe im Kader ist auf jeden Fall ein Vorteil. Und wir sind auf der Torhüterposition top besetzt."

Abeltshauser hatte ja völlig recht: Nicht zuletzt dank Nationaltorhüter Mathias Niederberger schlossen die Münchner die Hauptrunde mit dem Klubrekord von 122 Punkten und 19 Zählern Vorsprung auf Ingolstadt ab - dann verloren sie die beiden ersten Viertelfinalspiele gegen Bremerhaven.

504:46 Minuten - das Halbfinale 2019 ist bis heute die längste Playoff-Serie der DEL-Geschichte

Nicht nur die Münchner sind froh, dass in diesem Jahr wieder im Format best of seven gespielt wird: Zum Weiterkommen braucht es vier Siege, nicht nur drei wie in den pandemiebedingt verkürzten Playoffs der vergangenen Spielzeit. "Wir mussten an unsere Grenze gehen, um gegen Bremerhaven zu gewinnen", sagte Münchens Trainer Don Jackson, dessen Team nach dem 0:2-Weckruf die nächsten vier Spiele gewann, das entscheidende mit 2:1. Jackson, 66, mit acht Titeln der Rekordtrainer der Liga, schüttelte danach die Hand seines Bremerhavener Kollegen Thomas Popiesch, der es also wieder nicht ins Halbfinale geschafft hatte, wie ein Großvater, der geduldig versucht, dem Enkel das Fahrradfahren beizubringen: Wird schon, Junge, nur immer weiter probieren.

An diesem Freitag zum Auftakt ins Halbfinale erwartet Jacksons Team nun die Grizzlys Wolfsburg, den Fünften nach der Vorrunde. Würden Tabellen und Zahlen etwas gelten, wären die Münchner fein raus. Bereits zum fünften Mal treffen beide Teams in den Playoffs aufeinander. Und nur ein Mal, 2015, setzte Wolfsburg sich durch, im Viertelfinale. Danach gewann München zehn K.-o.-Serien nacheinander und holte sich drei Mal den Titel, 2016 (4:0 Siege) und 2017 (4:1) im Finale jeweils gegen Wolfsburg. Auch in der vergangenen Saison im Halbfinale ging der Sieg glatt an die Bayern, die in dieser Saison zudem alle vier Punktspiele gegen die Niedersachsen gewonnen haben.

Halbfinals in der Deutschen Eishockey Liga: Mike Stewart, Cheftrainer der Grizzlys Wolfsburg, weiß, wie man den Branchenprimus aus München besiegt.

Mike Stewart, Cheftrainer der Grizzlys Wolfsburg, weiß, wie man den Branchenprimus aus München besiegt.

(Foto: Johann Medvey/Eibner/Imago)

Mike Stewart, 50, im zweiten Jahr Trainer der Grizzlys, kennt die Zahlen. Und weiß, dass sie für die Aktualität nichts bedeuten. Nachdem sich seine Mannschaft am Mittwoch in Spiel sieben gegen die Straubing Tigers durchgesetzt hatte, sagte der Kanadier mit österreichischem Pass: "Wir freuen uns auf die nächste Challenge."

Stewart hat Erfahrung in Playoff-Serien gegen München. 2019, damals noch als Coach der Augsburger Panther, zwang er den haushohen Favoriten München im Halbfinale in eine denkwürdige Serie über sieben Spiele. Insgesamt 504:46 Minuten beharkten sich die beiden Nachbarn, bis klar war, wer Mannheim ins Finale folgen würde. Titelverteidiger München setzte sich im siebten Spiel schließlich 2:0 durch, die Gesamtspielzeit hätte für mehr als acht reguläre Partien gereicht, zweimal ging es in die dritte Verlängerung. Es war die längste Playoff-Serie in der Geschichte der DEL, episch, Kinoformat, Cinemascope und Surround-Sound.

Solide auf hohem Niveau: Der Weg ins Finale führt über die beiden Torhüter

Und auch dieses Halbfinale zwischen München und Wolfsburg verspricht enger zu werden als sein Vorgängermodell. Beide Teams sind auf Schlüsselpositionen ähnlich besetzt. Münchens Rekordtorschütze Trevor Parkes (105 Tore), der vor sieben Jahren unter Stewart für Augsburg in der DEL debütierte, bezeichnet sich selbst als Müllmann, der alles aufsammelt, was vor dem gegnerischen Tor herumliegt, also dort, wo die Zweikämpfe besonders hart geführt werden. Wolfsburgs Müllmann heißt Darren Archibald: Am Mittwoch gegen Straubing traf Archibald zum 2:1-Zwischenstand, indem er einen Abpraller aus nächster Nähe ins Tor kehrte: nicht spektakulär, aber effektiv.

Und wie einst in Augsburg mit Drew LeBlanc hat Mike Stewart auch im Kader der Grizzlys einen Dauerläufer: Verteidiger Jordan Murray spulte gegen Straubing im Schnitt 30:20 Minuten ab, mehr als die Hälfte jeder Partie. Vor allem aber dürfte das Duell zwischen den Nationaltorhütern Niederberger und Dustin Strahlmeier den Weg ins Finale weisen; der zweite Endspielteilnehmer wird zwischen Ingolstadt und Mannheim ermittelt. Nach dem 3:1 in Straubing, das Strahlmeier mit zahlreichen Paraden sicherte, sagte Stewart bei Magentasport: "Strahli war solide heute." Auf Nachfrage korrigierte er lachend, nein, das sei schon "hohes Niveau" gewesen. Nur Niederberger ist statistisch noch besser.

Aber was sind schon Zahlen. Wenn er das Viertelfinale heranziehe, sagte der neue Bundestrainer Harold Kreis am Donnerstag, "das war ein echter dog fight, unheimlich hart umkämpft". Und eins könne er vorhersagen: "Das wird sich nicht beruhigen."

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