Süddeutsche Zeitung

Eishockey-Nachwuchs:Wie deutsche Top-Talente an der DEL verzagen

Lesezeit: 4 min

Von Johannes Schnitzler, München

"Hey, Du! Ich mach' Dich berühmt", sagt Emilio Estévez. Dann drückt er ab. Im Wilden Westen reichte es, von Billy the Kid erschossen zu werden, um sich einen Namen zu machen. Zumindest in "Young Guns", mit Estévez als Killer mit dem Kindergesicht. Anders als der Outlaw wollen sich die deutschen Eishockey-Junioren aber nicht aus einer verzwickten Lage heraus schießen, im Gegenteil - sie wollen hinein, rein in die Deutsche Eishockey Liga. Das Problem: Vor der Tür zu dieser DEL patrouillieren hart gesottene Sheriffs und verweigern Minderjährigen den Zutritt.

Wie schnell sie ziehen können, das haben die deutschen Young Guns, wie sie dieser Tage oft genannt wurden, rund um den Jahreswechsel gezeigt. Bei der U-20-WM in Ostrava gelang dem Team von Bundestrainer Tobias Abstreiter der Klassenerhalt. In der als "Mördergruppe" bezeichneten Vorrunde gewann der Aufsteiger gegen Gastgeber Tschechien 4:3, verlor respektabel gegen die USA (3:6) und Kanada (1:4), war lediglich gegen Russland (1:6) chancenlos und setzte sich in der Relegation gegen Kasachstan letztlich souverän in drei Sätzen durch: 4:0, 1:4, 6:0.

Kapitän Moritz Seider und seine Teamkollegen Tim Stützle, John Jason Peterka, Justin Schütz, Lukas Reichel oder Dominik Bokk rechtfertigten die Vorschusslorbeeren als womöglich begabteste Klasse in der Geschichte des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). "Wir sind näher an die Weltspitze herangerückt", sagte Sportdirektor Stefan Schaidnagel. Etliche aus dem aktuellen Kader werden sich im kommenden Dezember und Januar abermals den Talentspähern präsentieren dürfen - dann in Edmonton/Kanada, der sportlichen Heimat von NHL-Star Leon Draisaitl, im Eishockey-Eldorado, wo Milch und Honig und die Dollars sprudeln. Und aus der U18, sagen die Experten, rücken weitere viel versprechende Spieler nach. "Wir sollten aber nicht den Fehler machen und glauben, dass wir selbst schon Weltspitze sind", mahnt Schaidnagel. Die Talente müssten erst noch reifen. In der DEL aber spielen die meisten von ihnen keine oder nur eine Nebenrolle.

In Skandinavien ein Unding

Rückblick: Februar 2018, Pyeongchang, Südkorea. Deutschland führt im olympischen Finale kurz vor Schluss 3:2 und greift nach Gold. Am Ende ist es Silber - und der größte Erfolg in der deutsche Eishockeygeschichte. Die Euphorie ist groß, die Anmeldungen im Nachwuchs steigen. Der DEB hofft auf eine goldene Zukunft und formuliert diese süffig im Programm Powerplay 26: Bis 2026 soll die Nationalmannschaft in der Lage sein, dauerhaft um Medaillen mitzuspielen. Die DEL-Klubs kommen überein, bis dahin die Zahl der einsatzberechtigten Ausländer spürbar zu reduzieren. Passiert ist seitdem wenig.

Seit dieser Saison müssen die DEL-Klubs zwei Spieler aus der Altersklasse U23 auf dem Spielbericht haben. "Wir haben schon viel auf den Weg gebracht", findet dennoch Schwenningens scheidender Sportmanager Jürgen Rumrich. Die aktuelle U20 sei eine außergewöhnliche Generation, sagt der ehemalige DEB-Kapitän: "Das sind die absoluten Top-Talente. Vielleicht nicht alle. Aber sie zeigen auch in der Liga, dass sie es können." Tatsächlich sind Peterka und Schütz in München Stammspieler, Reichel in Berlin, Stützle in Mannheim. Die meisten anderen aber kommen nur sporadisch zum Einsatz. Oder in der zweiten Liga.

Für Bundestrainer Toni Söderholm, der in Ostrava als Assistent von Abstreiter funfierte, ein Unding. In Skandinavien, sagt der Finne, spielten 17-, 18-Jährige selbstverständlich in der ersten Liga. So wie Dominik Bokk. Der gebürtige Schweinfurter steht seit 2017 in Schweden unter Vertrag, erst in Växjö, jetzt bei Rögle BK. Bei der WM war er mit acht Punkten bester deutscher Scorer. Kapitän Seider, 18, in der vergangenen Saison deutscher Meister mit Mannheim, hat sich einen Vertrag in der NHL bei den Detroit Red Wings erspielt. Sie sind die Ausnahmen.

Hierzulande fällt es vielen schwer, das Vertrauen der Klubs zu gewinnen. Den meisten ist das sportliche und wirtschaftliche Risiko zu hoch. Immer mehr deutsche Nachwuchsspieler suchen deshalb früh den Weg ins Ausland, um Einsatzzeiten zu bekommen und gleichzeitig Schule und Sport in Einklang zu bringen, wie die Berliner Taro Jentzsch (Phoenix) und Nino Kinder (Winnipeg). Aber: "Auch die Spieler aus den Top-Nationen haben in dem Alter mal noch einen Reifenplatzer", sagt Stefan Schaidnagel. "Selbst die, die später in der NHL 100 Millionen verdienen, produzieren mal eine Bogenlampe." Rumrich sagt: "Was möglich ist, hat man vor zwei Jahren bei Olympia gesehen. Aber es braucht ein schlüssiges Gesamtkonzept." Momentan gebe es in der DEL, der DEL 2 und den Oberligen zu viele Einzelregelungen: "Das ist nicht hilfreich. Alle müssen an einen Tisch. Und der DEB sollte die Federführung übernehmen."

Bei einer vom DEB initiierten Zusammenkunft nach dem Deutschland Cup sollen sich Vertreter der DEL und DEL 2 aber sehr deutlich gegen eine schnelle Reduzierung der Ausländerplätze zugunsten der Junioren ausgesprochen haben. Dem Vernehmen nach nahmen nicht einmal alle 28 Klubs aus den beiden Profi-Ligen teil, sondern nur wenige, von der Liga ausgewählte. Rumrich etwa sagt, er habe davon "nichts gehört".

Wie Tabellenführer München, der dank Eigentümer Red Bull Kapital und eine Nachwuchsakademie im Rücken hat, hatte sich auch Schwenningen, einer der kleinsten DEL-Standorte, für eine Reduzierung der Ausländerlizenzen zur kommenden Saison ausgesprochen. "Eine Reduzierung um eine Stelle pro Klub hätte dem Niveau der Liga nicht geschadet", sagt Rumrich. Aber: "Jeder Verein kämpft um sein Ergebnis." Immerhin in diesem Punkt herrscht Konsens.

Auch in Ingolstadt lernt der Nachwuchs in einer Akademie, die Nachwuchsarbeit der Panther hat vom DEB fünf Sterne erhalten. "Es ist richtig und wichtig, dass die Jungen spielen", sagt Sportdirektor Larry Mitchell. "Aber sie müssen gut genug sein. Wir dürfen keine Freifahrtscheine verteilen." Tim Wohlgemuth, 20, ist in dieser Saison mit neun Toren und neun Vorlagen Ingolstadts neuntbester Scorer. Seine Plus/Minus-Bilanz (+10), der Wert, der aussagt, ob eine Spieler öfter bei Toren des eigenen Teams oder des Gegners auf dem Eis war, ist sogar der beste. Es ist ja nicht so, dass die Jungen gar keine Chance bekämen. Sie müssen sich halt den Weg frei schießen. Wie im Kino.

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SZ vom 10.01.2020
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