Deutsche Eishockey Liga:"Viele Talente fliehen"

Die Deutsche Eishockey-Nationalmannschaft im Olympia-Finale 2018

"Es ist möglich, mit jungen deutschen Spielern Erfolg zu haben!" Die Eishockey-Nationalmannschaft bejubelt im olympischen Finale gegen Russland (3:4) einen Treffer des Berliners Jonas Müller, 22. Als einer von fünf Nationalspielern wechselte Dominik Kahun (2. v.l.), 23, im Sommer in die NHL.

(Foto: Laci Perenyi/Imago)

Vor dem Start der DEL-Saison ist das Bild des deutschen Eishockeys noch durch die Silbermedaille bei Olympia geprägt. Doch DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel sagt: So ein Erfolg kann Augenwischerei sein.

Interview von Johannes Schnitzler

Olympia-Silber, Silbernes Lorbeerblatt vom Bundespräsidenten, 25. DEL-Saison: Es ist das Silber-Jahr im deutschen Eishockey. Sieben Monate nach dem überraschenden Medaillen-Coup in Pyeongchang verzeichnet der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) einen Zulauf von knapp 3000 Kindern unter zehn Jahren: "Für unsere Verhältnisse können wir das als Boom bezeichnen", sagt Präsident Franz Reindl. Die Deutsche Eishockey Liga (DEL), die an diesem Freitag in ihre Jubiläumsspielzeit startet, will von diesem Boom profitieren. Aus der einstigen Skandalnudel, die seit ihrer Premiere im Jahr 1994 nicht weniger als 18 Vereine verschlissen hat, ist die nach dem Profifußball zuschauerstärkste Spielklasse im deutschen Mannschaftssport geworden. Eine Herausforderung bleibt aber die Nachwuchsarbeit. Ein Gespräch mit DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel über Talentförderung, langfristige Karriereplanung - und kurzsichtige Klub-Manager.

SZ: Herr Schaidnagel, nach der Silbermedaille in Pyeongchang haben die Vereine im Nachwuchs rund 15 Prozent Zuwachs bekommen, die TV-Quoten waren top, eine Ehrung jagt die nächste. Eigentlich könnte es nicht besser laufen?

Stefan Schaidnagel: Das ist richtig, die Stimmung ist sehr gut. Wir haben positive Zahlen, auch in der Rekrutierung. Aber so ein Erfolg kann Augenwischerei sein. Wir nehmen die Silbermedaille mit, aber wir müssen sie auch richtig einordnen. Erfolg begründet sich durch Nachhaltigkeit, und Nachhaltigkeit definiert sich durch Wiederholung von positiven Ergebnissen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.

Entscheidend wird sein, dass möglichst viele Nachwuchsspieler in der ersten und zweiten Liga ankommen.

Richtig. Obwohl sich bereits viel getan hat, sind wir als Verband bestrebt, die Trainerausbildung weiter zu verbessern, die Qualität der Auszubildenden weiter zu erhöhen.

Sie haben eine Wissensplattform installiert und Literaturdatenbanken, in denen Trainer sich fortbilden können.

Wir haben da richtig investiert. Genauso müssen wir die strukturellen Veränderungen weiter vorantreiben: die Ligenreform, die Altersklassenreform. Das geht schon in die richtige Richtung. Am Ende des Tages kommt es aber darauf an, wie viele gut ausgebildete deutsche Nachwuchsspieler wir in den Profiligen aufs Eis kriegen.

Franz Reindl hat nach Olympia fast schon gepredigt: Seht, es ist möglich, mit jungen deutschen Spielern Erfolg zu haben! Liegt der Puck jetzt bei der Liga?

Und bei den Vereinen. Die Konzepte sind da, aber am Ende müssen wir sie auch umsetzen. Das versuchen wir gemeinsam mit den Managern durchzuziehen. Im Endeffekt obliegt das jedem Standort selbst. Wir können nur sagen: Es gibt diese Spieler, es lohnt sich, sie zu fördern, und es gibt vor allem keinen Grund, sie nicht einzusetzen. Diese Sichtweise gilt für Franz Reindl, Bundestrainer Marco Sturm und mich.

Reindl hat nach der WM in Dänemark, wo das Silber-Team mit einem Rumpfkader erstmals seit 2015 das Viertelfinale verpasst hat, die Kurzsichtigkeit der Klubs beklagt: Trainer dächten immer nur an den nächsten Spieltag, Manager daran, wie sie die Hallen voll bekommen, dafür müsse man Verständnis haben. Muss man? Oder fehlt den Klubs der Mut zum Talent?

Ich würde gar nicht von Mut sprechen. Ich glaube einfach, die Zeit ist reif dafür. Diese blöde Floskel "Wenn nicht jetzt, wann dann?" trifft auf uns eins zu eins zu. Es gibt einen Pool von einsatzfähigen Spielern. Was es braucht, ist eine Strategie, um diesen Spagat, wirtschaftlich und sportlich erfolgreich zu sein, mit ihnen zu schaffen. Das ist definitiv möglich. Es gibt Beispiele.

Welche?

Ich denke an Schwenningen. Oder an München, wo Dominik Kahun sich durchgesetzt hat. Oder an Berlin. Oder an einen Spieler wie Dominik Bokk, der mit seinen 18 Jahren in Schweden beweist, dass er absolut würdig ist, ihm das Vertrauen zu schenken (im NHL-Draft wurde Bokk in der ersten Runde von den St. Louis Blues ausgewählt; d. Red).

Wie überzeugt man 14 DEL-Manager davon, ihre seit Jahrzehnten eingefahrene Praxis zu überdenken, dass Mittelklasse-Spieler aus Nordamerika sportlich und wirtschaftlich mehr Sicherheit bieten?

Indem man viel kommuniziert, ihnen zeigt, dass man Knowhow hat, sie aber auch abholt und Sorgen ernst nimmt. Das Schöne ist, dass wir als Verband jetzt Feedback bekommen von Vereinen, die das umsetzen wollen. Ich verzeichne eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber jungen deutschen Spielern. Das ist die Zukunft der Nationalmannschaft, und das betrifft die Außendarstellung der Sportart. Wir haben ja alle gesehen, was möglich ist. Nie waren Reformen besser möglich als jetzt.

Und wenn nicht jetzt - was dann?

Ganz klare Prognose: Wenn wir die Reformen nicht weiterführen, dann werden wir den Sprung vom oberen Mittelmaß in den Spitzenbereich nicht schaffen.

Es gab immer zwei Argumente gegen deutsche Nachwuchsspieler: Erstens, es gebe nicht genug wettbewerbsfähige Talente. Zweitens, sie seien zu teuer.

Wir haben die Zahl der wettbewerbsfähigen Spieler erhöht. Jetzt gilt es, diese einzusetzen. Und zum zweiten: Den Preis für einen Spieler regelt der Markt über Angebot und Nachfrage. Solange die Masse für ein gesundes Preisgefüge nicht dafür da ist, wird es immer Preistreiberei geben. Aber dieses Argument fällt jetzt weg.

1. Hauptrundenspieltag der DEL (alle Freitag, 19.30 Uhr)

Eisbären Berlin - EHC Red Bull München Straubing Tigers - ERC Ingolstadt Iserlohn Roosters - Grizzlys Wolfsburg Schwenninger Wild Wings - Nürnberg Ice Tigers Kölner Haie - Augsburger Panther Adler Mannheim - Düsseldorfer EG Krefeld Pinguine - Pinguins Bremerhaven

In diesem Sommer haben gleich fünf Nationalspieler Verträge in der NHL unterschrieben. Immer mehr Talente gehen bereits mit 15, 16 Jahren nach Nordamerika. Bei der Summer Challenge standen elf der 23 Spieler aus dem U-20-Kader nicht bei deutschen Vereinen unter Vertrag, sondern in Nordamerika, Schweden und Österreich. Deutschland hat also interessante Spieler. Bemühen sich die Klubs hier zu wenig um diese Spieler?

Da sind wir beim langfristigen Karriereplan. Viele Talente fliehen aus Deutschland, weil sie in Amerika die Chance sehen, am College Bildung mit sportlich hohem Niveau zu verbinden. Dem wollen wir entgegenwirken.

Wie?

Wir wollen eine U-20-Liga etablieren, um den Klubs die Gelegenheit zu geben, das Thema Schule und Sport besser zu verknüpfen. Ein anderes Stichwort ist der von mir ins Spiel gebrachte Fördervertrag, der mit transparenten Summen im Rahmen des Mindestlohns den Aufstieg vom Nachwuchs ins Männer-Eishockey ermöglicht. Ich muss als Verein, als Trainer, als sportlich Handelnder für meine Toptalente einen Karriereplan entwickeln: Wo steht er? Wo soll er hin? Wie will ich ihn integrieren?

Die Nachwuchsausbildung war lange ein Argument gegen Auf- und Abstieg zwischen DEL und DEL2. Es hieß, wenn Gesellschafter XY abstiegt, geht mit ihm die Nachwuchsarbeit im Verein unter. Jetzt haben DEL und DEL2 beschlossen, von der Saison 2020/'21 an doch wieder Auf- und Abstieg einzuführen. War das Nachwuchsthema eine Schutzbehauptung?

Das ist ein sehr diffiziles Thema. Die Ligen sind strukturell ein wenig auseinandergedriftet. Die Perspektive hat gefehlt. Ich denke, Auf- und Abstieg können dem Eishockeysport gut tun. Aber ich kann nicht das Thema propagieren - und in einer paar Jahren gehen mir ein paar Vereine verloren. Auch da sind wir wieder beim Thema Nachhaltigkeit.

"Ohne Privatleute, die eigenes Geld investieren, würde es im Eishockey nicht gehen"

Was heißt das?

Sportlicher Erfolg wird immer mit den sportlich handelnden Personen zusammenhängen. Das muss immer unabhängig in der sportlichen Entscheidung, aber in Kooperation mit der geschäftsführerischen Seite geschehen. Ich glaube, die Symbiose von sportlicher Entscheidungsqualität und wirtschaftlicher Seriosität bildet die Basis für Erfolg. Entscheidend sind die Personen, die Struktur und der Inhalt!

Unterhalb der DEL und DEL2 führt der Präsident oft persönlich die Geschäfte. Selbst in den Profiligen hängen viele Klubs von einzelnen Geldgebern ab und leben von der Hand in den Mund.

Der Eishockeysport muss mehr sportökonomische Experten rekrutieren. Wir haben gut ausgebildete Leute, aber wir müssen noch viel mehr über den Tellerrand hinaus schauen, interdisziplinär denken, um auch gegenüber anderen Sportarten wettbewerbsfähig zu bleiben. Und - ich überstrapaziere es fast - um die Nachhaltigkeit im eigenen Sport zu gewährleisten. Man muss aber auch klar sagen: Ohne die Privatleute, die auch eigenes Geld investieren, würde es im Eishockey nicht gehen.

Mehr Expertise und weniger Emotion in den Gremien könnte die Vereine vor mancher Fehlentscheidung bewahren.

Das kann man so unterstreichen. Wir haben viele ehemalige Spieler, auch in anderen Sportarten, die sich nach der Karriere in Positionen begeben, für die ihnen die nötige Ausbildung fehlt. Das ist mit Sicherheit nicht wegzudiskutieren. Man braucht Profis an den entscheidenden Positionen.

Sie haben bei der jüngsten DEB-Versammlung ein Modell zur Ausbildungsentschädigung vorgestellt. Wie sieht das aus?

Die Höhe des Betrags richtet sich nach dem Alter des Spielers. Im Alter von elf Jahren zum Beispiel ist Betrag x für einen Spieler zu hinterlegen. Wenn der Spieler im Alter von zwölf Jahren wechselt, wird in den Betrag eingerechnet, was er als Elfjähriger gekostet hätte, plus den Teilbetrag dessen, was er als Zwölfjähriger kosten würde.

Was dürfte der ausbildende Verein erwarten, wenn zum Beispiel ein 15-Jähriger in Mannheims DEL-Mannschaft wechselt?

Das wären rund tausend Euro.

Tausend Euro? Braucht es dafür ein sportfachlich ausgeklügeltes Modell? Und: Was hat ein Verein von 1000 Euro?

Aus der externen Sicht mag das keine hohe Summe sein. Aber wir dürfen das Ganze auch nicht überstrapazieren. Schon heute werden ja bestimmte Summen fällig, wenn ein Spieler zu einem Oberligisten oder Zweitligisten wechselt. Und wir müssen beachten, dass diese Entschädigung die kleinen Vereine auch ein Stück weit selbst trifft. Es werden ja nicht immer nur Spieler abgegeben. Fast jeder Verein holt auch Spieler von woanders her. Darum halten wir die Entscheidung sehr offen. Deshalb auch der Hinweis an die Vereine, das mal für sich durchzurechnen.

Bis wann erwarten Sie Ergebnisse?

Ich denke, wir sind Anfang 2019 damit fertig. Dann würden wir es noch mal mit den Klubs besprechen und zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Abstimmung bringen.

Sie waren als Eishockeyspieler aktiv, haben eine akademische Ausbildung und Erfahrungen im Profifußball: Sind Sie der Prototyp des neuen DEL-Managers?

Ich kann beide Schubladen bedienen, die sportfachliche und die angewandte, praktische. Wenn andere Verbände bei uns nachfragen: ,Wie habt ihr dies gemacht, wie habt ihr jenes gemacht?', dann ist das sicher auch ein Gütekriterium, dass Eishockey, vielleicht auch durch unsere Arbeit, inzwischen anders wahrgenommen wird.

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