Süddeutsche Zeitung

Neuer Eishockey-Bundestrainer:Der Gentleman übernimmt

Die Berufung von Harold Kreis, 64, zum Eishockey-Bundestrainer ist eine naheliegende Wahl. Nach dem überraschenden Abschied von Toni Söderholm war er der Konsenskandidat - dabei war es eher Zufall, wie der gebürtige Kanadier einst nach Deutschland kam.

Von Johannes Schnitzler

Auf ein Inserat bewerben wie 1978 musste Harold Kreis sich diesmal nicht. Damals, als Teenager in Manitoba, meldete er sich auf eine Anzeige in der Winnipeg Tribune und startete ein paar Wochen später in Deutschland, dem Land seiner Eltern, seine Karriere als Eishockeyprofi; eine Karriere, die man als deutsche Karriere bezeichnen kann, nicht nur, wenn man Verlässlichkeit und Vereinstreue unter dem abstrakten Oberbegriff deutsche Tugenden summieren wollte. 17 Jahre spielte Kreis als Verteidiger in Deutschlands höchster Liga, erst in der Bundesliga, dann in der DEL, 888 Mal, immer für Mannheim, 15 Jahre als Kapitän: erst für den ERC, dann für die Adler. Zwei Mal wurde er Meister, 1980 und 1997. Für das Nationalteam bestritt er 180 Länderspiele, war bei acht Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen im Einsatz.

An diesem Montag steht der 64-Jährige nun an einem Kaffeetischchen in einem Münchner Hotel und sagt zur Begrüßung: "Hallo. Kreis. ,Harry' ist okay."

Das dachten sich auch die Verantwortlichen beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB). Kreis gehörte von Anfang an zu den Kandidaten, die als Nachfolger für Toni Söderholm gehandelt wurden. Der Finne hatte nach dem Deutschland Cup im November seinen bis 2026 gültigen Vertrag auflösen lassen und war überraschend in die Schweiz zum SC Bern gewechselt. Anders als 2015 die Bestellung des völlig unerfahrenen Marco Sturm oder danach die Wahl des Drittligatrainers Söderholm war die Berufung von Kreis keine besonders mutige Entscheidung - sie war die nahe liegende. Und wohl eine kluge. Kreis ist der Kandidat, auf den sich alle einigen können.

Kreis gehört Ende der 1970er Jahre zur damals bestaunten Gruppe der "Deutschkanadier"

Seine Präsentation am Montag war keine Überraschung mehr - sie war eher eine Frage der Zeit. Seit dem Einzug ins Halbfinale bei der WM 2010 galt Kreis, damals Assistent von Uwe Krupp, immer als Kandidat, wenn es beim DEB etwas zu besetzen gab. Sein ehemaliger Teamkollege in Mannheim und im Nationalteam, Andreas Niederberger, ist heute DEB-Vizepräsident, dessen Sohn, Nationaltorhüter Mathias Niederberger, war sein Spieler in Düsseldorf, sein Assistent bei der DEG war Tobias Abstreiter, heute U-20-Nationaltrainer. Kreis gehörte gewissermaßen zur Cloud. Nun, da sein Vertrag als Cheftrainer in Schwenningen nach der Saison ausläuft, wird er dem Inventar einverleibt, mit Vertrag bis 2026. Die WM im Mai in Finnland und Lettland wird sein erstes Turnier als verantwortlicher Coach sein.

Dabei war es eher Zufall, dass und wie Kreis nach Deutschland kam.

Nach dem Aufstieg des Mannheimer ERC in die Bundesliga hatte Trainer Heinz Weisenbach eine Idee. Er flog nach Toronto und fahndete in Kanada nach Spielern mit deutschen Wurzeln, die billig waren und das Kontingent der pro Team erlaubten Ausländer nicht belasteten. Zwölf Spieler brachte er von seiner sechswöchigen Aushebung mit, darunter der 19-jährige Kreis, Manfred Wolf und Roy Roedger, die Ende der 1970er Jahre in deutschen Eishallen bestaunt wurden, als hätte Alexander von Humboldt auf einer seiner Forschungsreisen nach Übersee eine neue Spezies entdeckt. Mit den "Deutschkanadiern", damals ein neuartiger Begriff, wurde Mannheim 1980 im zweiten Bundesligajahr Meister. Ein Erfolgsmodell war geboren.

Dass er einen langen Atem hat, bewies Kreis als Profi. Als Verteidiger war er mit 1,80 Meter kein Furcht einflößender Hüne. Aber ein Respekt gebietender Zweikämpfer, der hart spielen konnte, ohne unfair zu sein, und pro Partie nicht selten mehr als 30 Minuten auf dem Eis stand, ein kantiger Eckpfeiler seines Teams. 1997, nach dem zweiten Meistertitel, trat er zurück. Seine Rückennummer 3 wird in Mannheim nicht mehr vergeben. Einer der Gäste bei seinem Abschiedsspiel 1998 war DEB-Vize Niederberger. Er sagt: "Harry ist charakterlich und moralisch für mich unantastbar."

Die entscheidenden Fragen: Wie gut kann er mit jungen Spielern arbeiten - und mit den NHL-Profis?

Kreis' Stil, sowohl sportlich als auch im Auftreten, gilt als defensiver als der seiner 20 Jahre jüngeren Amtsvorgänger. Ob in Mannheim, Düsseldorf oder jetzt in Schwenningen, überall wurde und wird Kreis als Fachmann und Gentleman gewürdigt. In der Nachfolge von Sturm, der dem deutschen Team den Glauben an sich selbst und 2018 eine olympische Silbermedaille schenkte, und von Söderholm, der wie Sturm selbstbewusst nach vorne spielen ließ und die DEB-Auswahl 2021 ins WM-Halbfinale führte, wird Kreis Schlüsselfragen beantworten müssen: Wie gut kann er mit jungen Spielern arbeiten? Und: Wie kommt er mit den NHL-Profis klar? Kann er, der ehemalige Überseeimport, Spielern wie Leon Draisaitl, Moritz Seider oder Philipp Grubauer den Dienst fürs Vaterland so schmackhaft machen wie einst Heinz Weisenbach ihm den Wechsel in die Bundesliga?

Kreis sagt: "Es gab noch keinen Kontakt." Im Frühjahr, wenn die DEL-Saison noch läuft, wird zunächst DEB-Sportdirektor Christian Künast nach Nordamerika fliegen, erst danach werde er sich bei den Spielern "vorstellen". Konkrete sportliche Ziele werde er nicht formulieren, aber: "Die Mannschaft hat sich über die Jahre sehr entwickelt. Diese Überzeugung soll sie weiter zeigen und mit Selbstvertrauen in jedes Spiel gehen." Sein Team soll agieren, nicht reagieren. Kreis zur Seite steht Alexander Sulzer, 38, ehemaliger NHL-Spieler, der Assistent von Bremerhavens Trainer Thomas Popiesch und bis Ende 2021 Geschäftsführer der Spielervereinigung Eishockey - einer aus der Generation der DEB-Führungsspieler wie Kapitän Moritz Müller, 36, oder Korbinian Holzer, 34. Ein Bindeglied.

Seine größten Erfolge als Trainer feierte Kreis in der Schweiz. 2006 mit Lugano und 2008 mit Zürich wurde er Meister, 2005 feierte er als Assistent des legendären Arno Del Curto den Titel mit Davos. In der Deutschen Eishockey Liga dagegen erlebte er eine Niederlage, von der Zeitzeugen noch heute sprechen. 2012 standen die Adler Mannheim, wie der MERC nun hieß, im Finale gegen die Eisbären Berlin, sie führten im vierten Spiel 5:2 und nach Siegen 2:1, nur eine knappe Viertelstunde fehlte ihnen noch zum Titel. Auf der Bank machte sich Feierstimmung breit. Aber dann schoss Berlin noch drei Tore und in der Verlängerung den Siegtreffer und gewann auch das entscheidende fünfte Spiel. Kreis sagte damals, es helfe seiner Mannschaft nicht, "jetzt rumzuheulen". Selbstmitleid ist nicht seine Sache. Noch weniger duldet er Unpünktlichkeit. "Ich mag es nicht, wenn jemand meine Zeit verschwendet. Und ich werde auch Ihre Zeit nicht verschwenden."

Und damit war in der ersten Pressekonferenz von Harold Kreis als Eishockey-Bundestrainer alles gesagt.

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