Eisbären Berlin:Mehr Wellblech als Palast

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Die schönsten Trainingsideen und -skizzen verlieren ihren Wert, wenn die Siege ausbleiben: Berlins Trainer Stephane Richer (rechts neben der Tafel). (Foto: imago/Christian Thiel)

Über viele Jahre prägten die Eisbären Berlin das deutsche Eishockey. Im Moment wären sie froh, in die Pre-Playoffs zu kommen.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Die Sache mit dem Palast war natürlich schon immer eine Nummer zu groß. 60 Jahre ist die Trainingsstätte der Eisbären Berlin schon alt, die Tribünen haben einige Jubelarien hinter sich, trugen Massen an Fans mit Bratwurst im Bauch und Bierbecher in den Händen. "Wellblechpalast", so nennen die Berliner die Halle in Hohenschönhausen, wo bis vor elf Jahren auch noch Spiele ausgetragen wurden - dieser Mix aus Zweckmäßigkeit und einer besonderen Aura passt ja gut zu einem Klub, der in neun Jahren sieben Mal deutscher Meister geworden ist. Das Problem aktuell ist nur: Sportlich sind die Eisbären mehr Wellblech als Palast.

Das Eis ist noch immer das gleiche, doch das Gefühl darauf ein anderes: Noch im vergangenen Frühjahr haben sie dort an der Meisterschaft getüftelt und sind erst im siebten Spiel der Finalrunde an München gescheitert - heute hoffen die Eisbären, dass sie es überhaupt in die Pre-Playoffs schaffen. "Was letztes Jahr war, interessiert gerade nicht", sagt Kapitän André Rankel, der Vergleich ruft ja auch nur allzu trübe Gedanken hervor. Die Berliner Eishockey-Mannschaft liegt momentan nur auf dem zehnten Tabellenplatz, und der würde gerade noch reichen, will man nicht schon im März in den Urlaub verschwinden. Sieben Partien in der Hauptrunde hat das Team noch vor sich, in denen müssen die Spieler vor allem die bisherige Saison aus dem Kopf bekommen.

Nirgends in der Liga kommen so viele Fans in die Halle wie in Berlin, trotz aller Negativerlebnisse war die Arena am Ostbahnhof auch zuletzt oft ausverkauft. 14 200 Zuschauer sind das dann, deren Laune sich aber mittlerweile den Gegebenheiten angepasst hat: Vor drei Wochen gingen die Eisbären gegen Tabellenführer Mannheim 0:7 unter, "wir ham die Schnauze voll" schallte es da von den Rängen. Platz zehn, das heißt ja auch, dass da Teams wie Straubing und Bremerhaven eine bessere Saison spielen als Berlin, mit viel kleineren Arenen, kleinerem Etat, niedrigeren Ansprüchen. Es ist ein Ausnahmezustand.

Warum in dieser Saison viel anders läuft als geplant? Die Analyse fängt schon beim Trainerposten an: Hatte man in 16 Jahren gerade mal vier verschiedene Trainer, waren es in den vergangenen zwölf Monaten gleich drei. Uwe Krupp hat den Verein nach nicht ganz freundschaftlicher Trennung im Sommer verlassen, ihm fehlte das Vertrauen unter Sportdirektor Stéphane Richer. Was in der Liebe zum Scheitern verurteilt ist, ging auch bei den Eisbären schief: Der Verein wollte sich Krupp in den Vertragsgesprächen warmhalten, während er sich nach Alternativen umschaute - am Ende blieb kein Kandidat übrig. Bis auf Co-Trainer Clément Jodoin, der kurzerhand zum Chefcoach ernannt wurde. "Wir schreiben jetzt ein neues Buch", sagte Jodoin bei Amtsantritt, und Richer ergänzte: "Letztes Jahr hat in unserem Buch das Happy End gefehlt, dieses Jahr wollen wir das Happy End." Das ist wohl das Selbstverständnis eines Vereins, der aus den USA von der Anschutz Entertainment Group gelenkt wird, die auch über die LA Kings in der NHL wacht. Platz zwei ist der erste Verlierer, die Show war nicht gut genug.

Mit dem Versuch, die Erfolgsstory komplett neu zu erfinden, scheiterte man dann allerdings kolossal. Und es kam zu einem denkwürdigen Abschied von Jodoin Mitte Dezember. Nach einer erneuten Heimniederlage kritisierte der Trainer öffentlich Fitness und Einstellung seiner Spieler. Manch einen ließ er nach der Partie demonstrativ in der Mixed Zone Seilhüpfen. Auf Klagen über Müdigkeit und Erschöpfung reagierte er so: "Das sind alles nur Ausreden, sie sollen lieber mal in den Spiegel schauen." Besser kann man kaum darauf hinweisen, die eigene Truppe nicht im Griff zu haben. Wenig später war Jodoin entlassen, Sportdirektor Richer übernahm nun auch das Training. Besser geworden ist die Bilanz der Eisbären dadurch allerdings nicht: Zwölf von 16 Partien unter Richer gingen verloren.

Es ist Donnerstagmittag im Wellblechpalast, Richer hat gerade das letzte Training vor der Reise zum Tabellenletzten nach Schwenningen beendet, "für uns beginnen die Playoffs schon dort", sagt der 52-Jährige. Die Länderspielpause kam den Eisbären gelegen, auch weil mancher angeschlagener Spieler wieder zurückkehrt aufs Eis. Das Verletzungspech hat aus Sicht der Eisbären ohnehin großen Anteil an der Misere, bis zu neun Stammspieler musste man zeitgleich ersetzen. "Das hat uns extrem geschwächt und Selbstvertrauen genommen", sagt Kapitän Rankel. Dass Nick Petersen den Klub im Sommer Richtung Klagenfurt verlassen hat, schmerzt die Berliner zusätzlich, er war nicht nur für Tore, sondern auch für zahlreiche Vorlagen gut. Einer wie er fehlt nun: Nur 117 Treffer erzielten die Eisbären in 45 Partien, fast 50 weniger als Mannheim auf dem Konto hat. James Sheppard, der beste Scorer des Klubs, liegt im Ligavergleich nicht mal unter den besten 30. "Wenn es nicht gut läuft, fängst du an zu zweifeln", sagt Rankel. Er selber war nicht nur bei der vergangenen Meisterschaft 2013 dabei, sondern auch bei den sechs Stück zuvor, kein anderer aktueller Eisbären-Stürmer hat in seiner Karriere so viele Tore erzielt wie er. Doch in dieser Saison hapert es, nicht nur bei ihm. Momentan muss er einen Muskelbündelriss auskurieren, aber auch sonst zeigte die Riege der Klubgrößen mitunter Formschwächen, während die jungen Spieler noch nicht überzeugen konnten.

Und dann kommt die Verunsicherung aus alldem dazu. "Wenn du auf dem Eis anfängst, über gewisse Situationen nachzudenken, bist du immer einen Schritt zu spät", sagt der 33-Jährige. Was auch eine Erklärung dafür ist, warum die Eisbären enorm viele Zeitstrafen gegen sich verkraften mussten. Nur Bremerhaven und Iserlohn haben mehr kassiert als die Berliner. Vor allem im letzten Drittel brachten sie sich so häufig um Punkte. "Da haben wir uns oft nicht schlau angestellt", sagt Rankel. Ein Umstand, der auch bei Richer für Unmut sorgt. "Das muss jetzt aufhören", sagt der Trainer. In den vergangenen Tagen habe man viel an der Kondition gearbeitet, "aber auch Spaß reingebracht". Hängt so eine Krise erst mal im Kopf herum, ist sie nur schwer wieder loszuwerden.

Vielleicht ist es deshalb auch eine gute Idee, dass nun einer ganz frisch zum Kader gehört, der mit den Kummer-Monaten gar nichts zu tun hat: In Austin Ortega liehen die Eisbären einen 24 Jahre alten Stürmer vom schwedischen Meister Växjö Lakers aus. "Ich glaube, ich kann in der Offensive helfen und Kreativität beitragen - und hoffentlich ein paar Tore schießen", sagte dieser sogleich selbstbewusst. Das klang dann schon eher nach einem, der in einen Palast gehört.

© SZ vom 15.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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