Süddeutsche Zeitung

Einzelkritik:Arbeiter am Albert Dock

Martínez rackert wie ein Bühnenarbeiter, Hummels war nie zu spät - der Rest erlebte eine hard day's night.

Von Martin Schneider

Manuel Neuer: Ist ja Kapitän des FC Bayern und damit spielte in der Beatles-Stadt an diesem Abend Sgt. Neuer's Lonely Hearts Club Band. Und sie spielte Neuer den Ball zu. Immer und immer wieder. Die Taktik sah vor, die Laufwege für Liverpool so weit wie möglich zu machen - also hatte Neuer mehr Ballkontakte als die Beatles Nummer-eins-Hits. Machte das souverän, man erkannte den alten Libero-Torwart endlich wieder. Bei den Schüssen von Mo Salah (12. Minute) und Roberto Firmino (45.) ohne Probleme. Spielte kurz vor Schluss frech durch zwei Liverpooler hindurch, und als er kurz vor Schluss einen Flugkopfball von Sadio Mané hielt, schaffte er, was kaum einer für möglich hielt - er kassierte kein Tor an der Anfield Road.

Joshua Kimmich: Versuchte direkt in den ersten Minuten, mit dem Ball in der Hand nach vorne zu laufen. Weil er einen Einwurf ausführte, war das nicht direkt strafbar - aber Kimmich lief so weit, dass ihn Schiedsrichter Rocchi zurückpfiff. Überhaupt stürmte er als Rechtsverteidiger immer wieder nach vorne, und man mochte ihm zurufen: Get back, get back, get back to where you once belonged - und zwar nach hinten. Hatte den Stürmer des FC Liverpool, den die schwedische Pop-Band Abba in ihrem Hit Mané, Mané, Mané besungen hatte, aber trotzdem so gut im Griff, wie das gegen diese Klasse geht.

Mats Hummels: Man dachte ja eigentlich, dieser Hummels bräuchte gegen diese ultraschnellen Stürmer Help! War ja mal jünger, sehr viel jünger als heute und stand vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Löste die wirklich sehr schlau. Ließ sich im Spielaufbau bis auf die Grundlinie zurückfallen, seine Gegenspieler liefen sich auf dem Weg zu ihm müde. Wählte den Offensiv-Zweikampf und kam trotz Geschwindigkeitsdefiziten nie zu spät. Vielleicht sein stärkstes Spiel in dieser Saison. In der Form werden ihn die Bayern auch noch brauchen und füttern, wenn er 65 ist. Hummels-Mania nach diesem Match nicht ausgeschlossen.

Niklas Süle: Sein Beatles-Song ist - bei 97 Kilogramm Kampfgewicht - natürlich "I am the Walrus". Warf sich mit der Masse und Kraft eines gelbe U-Boots in die Zweikämpfe. Zusammen mit Kimmich die Ringos, die Schlagzeuger der Bayern-Band. Immer laut, immer mit Power, immer im Rhythmus.

David Alaba: Er sagte Hello, Mo Salah sagte Goodbye. Spielte gegen einen der besten Stürmer der Welt und bestand die Prüfung. Büßte dafür Offensiv-Power ein, aber man kann auch nicht alles verlangen.

Thiago: Sie brauchen einen Spieler, der im Mittelfeld auf keinen Fall in einer dummen Situation den Ball verliert? All you need is Thiago. Obwohl der FC Bayern die Zentrale mied wie Beatles-Fans ein Stones-Konzert, prägte Thiago das Spiel, so gut man es gegen dieses irre anrennende Liverpooler Mittelfeld eben machen kann.

Javier Martínez: Spielte vermutlich nur, weil Leon Goretzka verletzt ausfiel, und rackerte sich in dieses Spiel wie ein Arbeiter am Albert Dock - dem Liverpooler Hafen. Kam am Anfang zu oft zu spät, kam dann immer öfter rechtzeitig und war schnell genau der Bühnenarbeiter und Instrumenten-Schlepper, den die Bayern für dieses Konzert gebraucht haben. Gewann unzählige Kopfballduelle, die man in so einem Spiel gewinnen muss.

James Rodriguez: Yesterday schienen seine Sorgen noch weit weg zu sein. Erlebte an der Anfield Road eine hard day's night. Arbeitete zwar wie ein Hund, aber hektische Achterbahnspiele sind nicht die Stärke des Kolumbianers. Hätte gern den Ball am linken Fuß und ein bisschen Zeit zum Gucken gehabt - bekam er nicht. Für ihn gilt: Obladi Oblada, life goes on.

Serge Gnabry: Hatte das Glück, auf der Seite von Süle und Kimmich zu spielen und bekam deswegen sehr viele Bälle. Sorgte zwar mir einer scharfen Hereingabe, die Joel Matip auf Torwart Alisson abfälschte, für die beste Bayern-Chance - machte aber zu wenig aus seinen Möglichkeiten, etwa als er in der 22. Minute auf Lewandowski hätte spielen können. Weil er nach hinten diszipliniert arbeitete und in der 68. Minute sogar einen Sadio-Mané-Schuss blockte, der sehr gefährlich hätte werden können, ist das durchaus Kritik auf hohem Niveau, aber ein Champions-League-Achtelfinale gegen Liverpool ist eben genau das. Vielleicht hätte man ihm ein paar Worte der Weisheit flüstern müssen. Nicht: Let it be. Aber: Hey Serge, don't make it bad. Take a sad song, and make it better.

Kingsley Coman: Spielte laut Trainer Niko Kovac nicht "hundert Prozent schmerzfrei". Die Schmerzen seien aber so, dass er spielen könne. Traf nach 16 Minuten das Außennetz. Rannte seine Seite runter wie ein Feuerwehrmann die Penny Lane - aber nicht so durchschlagskräftig wie vonnöten. Die Bayern hätten einen fitten Coman dringend brauchen können - nach hinten aber wie Kollege Gnabry erstaunlich sicher. Niko Kovac sah vielleicht deswegen bis zur 81. Minute auch keine Notwendigkeit, Franck Ribéry zu bringen.

Robert Lewandowski: Musste gegen die Innenverteidigung Joel Matip und Fabinho antreten - für ihn sowas wie ein Bed-In for peace. Im Vergleich zu den Abwehrkanten, die ihn sonst bearbeiten, war das ein einziges "Imagine"- stell dir vor, Verteidiger und Stürmer würden in Frieden leben. Sein Riesen-Problem: Er lebte wirklich in Frieden, weil die Bälle es einfach nicht zu ihm schafften. In der 52. Minute gab es einen Querpass von Coman, den verwertete er nicht - sonst blieb es einsam um ihn. An der Anfield Road singen sie vor jedem Spiel "You'll never walk alone" - das traf nicht auf Lewandowski zu.

Franck Ribéry: Mehr oder weniger einziger echter Auswechselspieler der Bayern. War nicht ausgeschlafen, weil er in der Nacht auf Montag zum fünften Mal Vater wurde.

Renato Sanches und Rafinha: Durften auch noch ran.

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SZ vom 20.02.2019
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