Süddeutsche Zeitung

Eintracht-Sieg gegen Wolfsburg:Es riecht nach Hinterhof

Frankfurt ringt den VfL Wolfsburg nieder in einer intensiven und kämpferischen Partie. Es ist ein wichtiger Sieg für die Eintracht, der erste seit Anfang Februar.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Der Ton, den Eintracht Frankfurts Trainer Adi Hütter nach dem 2:1-Sieg beim VfL Wolfsburg anschlug, war von Nonchalance getragen. Aber die nackten Worte verrieten, dass doch mehr auf dem Spiel gestanden hatte, als es die entspannte Stimme hätte verraten können. Und es scherte ihn auch offenkundig nicht, dass er tief in die Kiste der Floskeln griff. "Heute ist uns ein absoluter Befreiungsschlag gelungen", sagte der Österreicher, und freute sich über ein "starkes Lebenszeichen", das seine Mannschaft nach sechs sieglosen Spielen gegeben habe. Es war der erst dritte Auswärtssieg der Saison, und er erlaubt den Frankfurtern wohl, etwas ruhiger auf die Tabelle zu schauen. Und ja, unter der Woche hat die Eintracht die Chance, beim Nachholspiel in Bremen für weitgehend klare Verhältnisse zu sorgen - und zu verhindern, dass das so genannte Abstiegsgespenst in der Geisterspielatmosphäre Gefallen daran findet, der Eintracht richtig Angst einzujagen.

In Wolfsburg zeigte sich schon bald, dass es sich um eine Partie handeln würde, für die man nicht gerade einen Tanzsaal auf Vordermann hätte bringen müssen. Es war eher eine Partie, die von Beginn an nach Hinterhof roch, weil sie von viel Körperlichkeit geprägt war, auch und weil jeder der Akteure, auch die Frankfurter, an die Limits des regeltechnisch Erlaubten gingen. Es war kein Zufall, dass es nur acht Minuten dauerte, bis Wolfsburg Joao Víctor die erste von schließlich acht gelben Karten der Partie sah, und auch nicht, dass dazu noch in der Nachspielzeit eine gelb-rote Karte für SGE-Einwechselspieler Lucas Torró dazukam. Und es war auch kein Zufall, dass es geschlagene 20 Minuten dauerte, bis es so etwas wie Fußball zu sehen gab: Maxi Arnold schlug einen überragenden Pass auf Jerome Roussillon, dessen scharfe Hereingabe konnte Josip Brekalo aus sieben Metern dank exzellenter Technik und bemerkenswerter Distanz der Frankfurter Abwehr verarbeiten - doch den Schuss des Kroaten lenkte Frankfurts Torwart Kevin Trapp mit den Fingerspitzen über die Querlatte.

Weghorst scheitert gleich dreifach

Erst einige Minuten später folgte der erste Angriff der SGE - und führte gleich zum Tor. Denn VfL-Innenverteidiger Marin Pongracic rang im Strafraum mit SGE-Stürmer André Silva, und der nicht immer überzeugend wirkende Schiedsrichter Guido Winkmann entschied nach langem Zögern auf: Elfmeter. Silva verwandelte höchstpersönlich (27.).

Die Führung gab den Frankfurtern erkennbar Vertrauen. Die Konturen des angedachten Systems waren deutlicher erkennbar als zu Beginn. Gleichwohl waren es die Wolfsburger, die drängten und deutlichere Chancen herausarbeiteten. Vor allem durch Xaver Schlager, der in der 31. Minute einen satten Rechtsschuss aus mehr als 20 Metern nur knapp neben das Tor setzte, sowie durch Stürmer Wout Weghorst, der nach einem Getümmel im Fünfmeterraum gleich dreifach scheiterte - erst zwei Mal an SGE-Verteidiger Hinteregger, dann an Torwart Kevin Trapp (42.). Doch was zur Pause vor allem haften blieb, war zuvorderst die Intensität. "Was mir am Besten gefallen hat: Ich habe von jedem Spieler von der ersten bis zur letzten Minute gesehen, dass er sich kämpferisch in den Dienst der Mannschaft gestellt hat", sagte Hütter nach dem Spiel. Denn auch in der zweiten Halbzeit blieb der Kampf das augenscheinlichste Merkmal der Partie.

Diese begann mit einer Kontroverse, weil der Frankfurter Stürmer André Silva im eigenen Strafraum eine Hereingabe mit dem Oberarm neutralisierte (52.). Gut fünf Minuten, nachdem der Videoschiedsrichter Entwarnung gegeben hatte, kam Wolfsburg doch zum Ausgleich. Maxi Arnold schlug einen Freistoß in den Strafraum, Kevin Mbabu verlängerte den Ball mit dem Kopf und überraschte damit Eintracht-Torwart Trapp, dessen Hände zurückknickten wie Klappschaufeln. Es war der einzige Wackler, den sich Trapp in einem ansonsten überzeugenden Spiel leistete. Die Wolfsburger Stadionregie spielte Jubel ein - was sich in etwa so traurig anhörte wie das Lachen vom Band, das man von komödiantisch gemeinten Nachmittagsserien kennt.

Übersichtlicher wurde die Partie danach nicht mehr. Beiden Teams war gemein, dass sie festen Fußes agierten, aber kaum imstande waren, fußballerische Akzente zu setzen. Der Ball wurde nur noch meistbietend versteigert. "Ich hatte keinen einzigen Ball am Fuß, nur auf dem Kopf", wunderte sich der spät eingewechselte Stürmer Bas Dost. Er hatte damit aber einen großen Anteil daran, dass doch noch, überraschend, das Siegtor für die Eintracht fiel. Nach einer ziellos anmutenden Flanke von links legte nämlich Dost per Kopf auf den in hohem Tempo und unbegleitet heranrauschenden Daichi Kamada ab, der keine Mühe hatte, zum 2:1 einzuschießen (85.).

Frankfurt rettete den Sieg ins Ziel, ohne Dramen zu überstehen - und trotz der gelb-roten Karte für Torró. Gejubelt wurde seitens der Frankfurter dennoch; so laut, dass man es vermutlich auch auf der anderen Seite des Mittellandkanals hören konnte. Doch den Blick richteten die Spieler schon auf die Partie in Bremen. "Das wird ein ganz, ganz wichtiges Spiel, wo wir wieder genauso auftreten müssen", sagte Torwart Trapp. Womit nicht unbedingt für spielerische Klasse, wohl aber für Kampf und Passion gebürgt sein dürfte.

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SZ vom 01.06.2020/sonn
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