Thomas Schaaf schaute im Moment des Schlusspfiffs drein, als hätte er gerade einen Liter Lebertran trinken müssen. Er presste seine Lippen zu einem Strich zusammen, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Furchen. Der Trainer von Eintracht Frankfurt hatte einiges zu ertragen an diesem Abend. Er musste mitansehen wie seine Mannschaft nach 36 Minuten 0:3 zurücklag, in der eigenen Arena. Er durfte mitansehen, wie seine Mannschaft sich nicht beeindrucken ließ und zwischenzeitlich auf 2:3 verkürzte. Zehn Minuten vor Schluss schien dennoch alles vorbei zu sein, Frankfurt kassierte das 2:4. Um in der Nachspielzeit durch zwei Tore von Alexander Meier zum 4:4 auszugleichen.
Es dauerte eine Weile bis Schaaf die Achterbahnfahrt durch alle Gefühlswelten verarbeitet hatte und Worte fand für das Erlebte. "Hier ist immer was los", sagte er schließlich und fügte nach einigen Sekunden des Nachdenkens hinzu: "Das kostet aber schon Nerven. Wir machen sensationelle Spiele. Wir wollen für Spektakel stehen. Aber mir war das etwas zu viel Spektakel."
In der Tat erfreut es keinem Trainer dieser Welt, wenn seine Mannschaft vor heimischem Publikum vier Gegentore hinnehmen muss. Schon wieder, muss man im Fall der Frankfurter Eintracht anmerken. Es war nicht das erste Mal in dieser Saison, dass die Zuschauer Ergebnissen beiwohnten, die im Eishockey typisch, aber im Fußball selten geworden sind. Außer hier. "Willkommen im Tempel des Spektakels", kommentierte Eintracht-Finanzvorstand Axel Hellmann nach Spielende treffend.
Am neunten Spieltag hatte alles angefangen. Erstmals in dieser Saison hatten die Frankfurter vier Tore geschossen - und trotzdem verloren. 4:5 gegen den VfB Stuttgart. Es folgten ein zugegeben normales 0:4 gegen Bayern, ein 5:2 gegen Bremen und nun das 4:4 gegen Hertha.
Die Partie lieferte besten Anschauungsunterricht für die aktuellen Probleme der Frankfurter, für die fehlende Balance im Spiel. Während der Angriff um den besten Torschützen der Liga Alexander Meier (schon zwölf Treffer)m mit 33 Toren nur vom FC Bayern (39) übertroffen wird, fehlt der Defensive mit 33 Treffern momentan sogar die Erstligatauglichkeit. Nur der Tabellenletzte Bremen (38) hat mehr Gegentore bekommen als Frankfurt.
Elf des Spieltags:Der beinharte Schuster
Mittelfeldspieler Julian Schuster ist im Spiel gegen Bayern mit zwei Fouls der mit Abstand ruppigste Freiburger, Arjen Robben spielt mit den Kräften von Superman und Spiderman, Timo Hildebrand ist wohl froh, wenn seine Zeit in Frankfurt wieder zu Ende ist. Die Elf des 16. Bundesliga-Spieltags.
Die Mannschaft ist vor allem bei Standardsituationen anfällig. Allein drei Berliner Tore resultierten nach einem ruhenden Ball, in den vergangenen drei Spielen mussten die Frankfurter auf diese Weise sechs Tore hinnehmen. "Bei den Standards haben wir gepennt, auch ich", sagte Meier: "Das müssen wir schleunigst abstellen. Wir verhalten uns doof und sind nicht gut genug am Mann dran."
Alex Meier wie Roy Makaay
Dass Frankfurt trotzdem auf dem neunten Platz steht und dem Europapokal näher ist als dem Abstieg, hat viel mit seiner Person zu tun. Meier ist mit fast 32 Jahren vielleicht so gut wie nie zuvor in seiner Karriere. Er versteht es inzwischen, auch wenig ansprechende Spiele zu veredeln. Er war gegen Hertha kaum zu sehen, fast wie einst Roy Makaay, der sich kaum am Spiel beteiligt hat und trotzdem viele Treffer erzielte, meistens mit einem oder zwei Ballkontakten. Phantom hatte man den Niederländer deshalb genannt.
Meier spielt auffälliger, nicht nur wegen seiner imposanten Größe von 1,96 Metern. Man kann ihn eigentlich nicht übersehen. Gegen Berlin wollte ihm zunächst nicht viel gelingen. "Ich war richtig schlecht", gab er zu. Doch als es darauf ankam, war er da. 68 Sekunden genügten ihm, um in der Nachspielzeit seine Mannschaft mit zwei Toren vor der Niederlage zu bewahren. "Das 4:4 fühlt sich trotzdem wie eine Niederlage an", sagte sein Sturmpartner Haris Seferovic: "Wir waren klar besser und schlafen bei den Standardsituationen."
Thomas Schaaf kennt das Problem. Ein Gegenmittel hat er bislang nicht parat. Am Ende fand er dennoch zu einem Lächeln. "Ich glaube, es lohnt sich in die Arena zu kommen", sagte er. Thomas Schaaf meinte das ganz ernst.