Süddeutsche Zeitung

Frankfurter Sieg in Mailand:"Es fühlt sich an wie Champions League"

  • Eintracht Frankfurt zieht erstmals seit 1995 ins Viertelfinale des Europapokals ein.
  • Nach der Misere der anderen deutschen Teams ist Frankfurt nun international der einzige verbleibende Vertreter.
  • Nur die eigenen Fans trüben die Stimmung: Einige Chaoten schießen in Mailand Raketen auf den Platz.

Von Tobias Schächter, Mailand

"Des is de Wahnsinn!" Bruno Hübner, der Sportdirektor von Eintracht Frankfurt, sprach diese Worte fast beiläufig in seinem typisch hessischen Zungenschlag. Mit 1:0 (1:0) hatte die Eintracht durch ein frühes Tor von Luka Jovic (6.) gerade bei Inter Mailand gewonnen und nach dem 0:0 im Hinspiel so das Viertelfinale im Europapokal erreicht. Erstmals seit 1995. Hübner war natürlich stolz wie verrückt nach diesem Triumph, bemühte sich aber in der geschichtsträchtigen Stunde in den Katakomben des monumentalen Giuseppe-Meazza-Stadions um staatsmännische Contenance.

"Es macht einfach Spaß und ist beeindruckend, mit welcher Freude diese Mannschaft Fußball spielt", sagte er ganz ruhig, als spreche er über eine Selbstverständlichkeit. Dann ging die Euphorie aber doch etwas mit ihm durch, er sagte: "Es fühlt sich an wie Champions League."

Dort ist die Eintracht zwar noch nicht angekommen, aber die Perspektiven sind im März 2019 für den Klub so positiv wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. In der Liga liegt der Tabellenfünfte auf Schlagdistanz zu den Champions-League-Plätzen und in der Europa League lebt nach dem verdienten Sieg in Mailand der Traum vom Endspiel im Mai in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans am Kaspischen Meer. Und: Eintracht Frankfurt ist jetzt noch die einzige Mannschaft, die die Bundesliga in Europa vertritt.

Die Eintracht ist so angesagt wie noch nie

Das mag zwar ein trübes Licht auf den deutschen Fußball insgesamt werfen - für die Eintracht aber ist das vorteilhaft, weil sich die Aufmerksamkeit nun an den Europapokalabenden komplett auf sie konzentriert. Nicht auf die Bayern, nicht auf Dortmund und schon gar nicht auf Schalke - sie alle sind nicht mehr dabei in Europa. Die Eintracht ist so angesagt wie lange nicht mehr.

Und der Weg scheint für diese außergewöhnliche Mannschaft noch nicht zu Ende. Sie hat sich in den vergangenen Wochen zusammen mit ihren stimmgewaltigen Fans in eine "Alles ist möglich"- Stimmung gespielt und gepusht. Im Kalenderjahr 2019 ist sie ebenso noch ungeschlagen wie in der gesamten Europa-League-Kampagne. In der Vorrunde gewann die Eintracht gegen Apollon Limassol, Olympique Marseille und Lazio Rom und warf in der K.-o.-Phase nach Schachtar Donezk nun in Inter Mailand den nächsten Nachrücker aus der Königsklasse aus dem Wettbewerb. "Wir haben heute den nächsten Top-Gegner auf Champions-League-Niveau rausgeworfen. Der Traum lebt", stellte Sebastian Rode fest.

Im Januar war der Mittelfeldspieler nach schweren Jahren beim FC Bayern und Borussia Dortmund zur Eintracht zurückgekehrt. Zunächst für ein halbes Jahr zur Leihe. Der von vielen Verletzungen geplagte Rode stand wie so viele Profis im Eintracht-Kader zuvor auf dem Abstellgleis. Nun blüht er in Frankfurt auf. Das Risiko von Sportvorstand Fredi Bobic und Hübner, den mittlerweile 28-Jährigen zurückzuholen, lohnt sich. Rode spielte in Mailand überragend, und es wäre keine Überraschung, würde die Leihe vom BVB im Sommer in eine feste Verpflichtung münden.

Die Eintracht hätte nach der frühen Führung in der zweiten Halbzeit ohne Übertreibung mit 3:0 oder 4:0 gewinnen können, vergab aber einige Konterchancen fahrlässig. Und dennoch ist es eine Schau, dieser Mannschaft zuzuschauen. Um den Sturm mit Sebastien Haller, Luka Jovic und dem in Mailand verletzt pausierenden Ante Rebic wird der Klub längst in ganz Europa beneidet. Die Flügelflitzer Filip Kostic und Danny da Costa verkörpern mit ihren notorischen Vollsprints den aufregenden Vollgasfußball, für den diese Mannschaft bei Gegnern mittlerweile gefürchtet ist. Und in der Abwehr spielen der 36 Jahre alte Makoto Hasebe und der neben Rode im Winter aus Augsburg ausgeliehene Martin Hinteregger - ja doch - auf Champions-League-Niveau.

Nach dem Pokalsieg vergangenen Sommer unter Coach Niko Kovac (heute beim FC Bayern) ist die Eintracht auch mit Adi Hütter bestens unterwegs. Dabei durfte der Trainer in Mailand nicht an der Seitenlinie coachen. Die Uefa hatte den Österreicher wegen eines Tritts gegen eine Wasserflasche im Hinspiel für die Partie in der Lombardei gesperrt. Hütter lag sich nach dem Abpfiff in Mailand mit Sportvorstand Fredi Bobic auf der Tribüne in den Armen. Am Sonntag in der Liga gegen Nürnberg wird Hütter wieder am Spielfeldrand stehen. In Mailand coachten die Assistenten Christian Peintinger und Armin Reutershahn. Der Österreicher Peintinger, den sie "Peinti" nennen, machte im feinen Anzug an der Seitenlinie eine gute Figur und hätte hinterher auf der Pressekonferenz ja auch sagen können: "Da schaut's her, ich kann's ja auch." Hat er aber natürlich nicht gesagt, sondern: "Ich bin stolz auf die Mannschaft."

Das kann die Eintracht auch auf die Mehrheit ihrer Fans sein. Offiziell 13 500 waren nach Italien gereist. Bei ihrem Zug durch die Mailänder Innenstadt am Nachmittag sangen sie sich schon friedlich warm und machten dann die Atmosphäre im Stadion "zu einem Heimspiel", wie Kapitän Hasebe fand. Und dennoch liegt ein Schatten auf diesem für den Verein so tollen Abend. Das mehrfache Zünden von Pyrotechnik in einer der Frankfurter Kurven und das Abschießen von Raketen auf den Platz von einigen Unbelehrbaren könnte für ein bitteres Nachspiel sorgen.

Droht den Fans nun sogar der Ausschluss?

Die Eintracht wurde nach ähnlichen Vorfällen im Gruppenspiel bei Lazio Rom von der Uefa zu einer Geldstrafe von 80 000 Euro verdonnert und spielt zwei Jahre auf Bewährung. Sollte es in dieser Zeit erneut Ärger geben, könnten die Hessen, so drohte der Kontinentalverband im damaligen Urteil, mit einer Ausschlussstrafe für die Eintracht-Fans für das nächste Auswärtsspiel belegt werden. Das wusste die Mehrheit und schrie den Zündlern ihre Ablehnung entgegen: "Ihr wollt Eintracht Frankfurt sein?" Und: "Ihr seid Scheiße wie der OFC!" Der OFC, das ist Erzfeind Offenbacher Kickers.

Sollte es tatsächlich zum Ausschluss kommen, müsste eine Mehrheit für die Dummheit einer Minderheit bezahlen. Torwart Kevin Trapp äußerte klar sein Unverständnis für den Pyro-Wahnsinn, er sagte: "Es ist ein No-go. Wir wissen, dass wir vorbestraft sind. Wenn 15 000 hierher mitreisen und sich auf ein Spiel freuen und Einzelne es kaputt machen, dann ist das einfach Schwachsinn. Dafür habe ich kein Verständnis."

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