Die meisten Stadionbesucher besitzen ja durchaus Fußball-Sachverstand, aber der war noch nicht einmal nötig, um beim Spiel zwischen Frankfurt und Bochum bereits nach 20 Minuten eine treffende Zusammenfassung abzugeben. „Bochum, Bochum, zweite Liga – oh, wie ist das schön“, höhnte die Fankurve von Eintracht Frankfurt, während der prall gefüllte Gästeblock des VfL Bochum bald darauf im Stakkato kundtat: „Wir haben die Schnauze voll.“ Selten wirkte ein Bundesligaspiel in der mal wieder ausverkauften Arena im Stadtwald so einseitig. Am Ende hatten die Hessen, ungehemmt und ungehindert ihre Spielfreude auslebend, den Revierklub mit 7:2 (4:1) vorgeführt. Insbesondere wenn die Eintracht mit Anlauf Tempo aufnahm, weil der Gegner törichterweise anfangs hoch pressen wollte, nahm der Grad der Überforderung für den Tabellenletzten besorgniserregende Ausmaße an.
Beim 1:0 von Hugo Ekitiké konnte Omar Marmoush seinem Gegenspieler Erhan Masovic einfach weglaufen (9.), beim 2:0 durch Marmoushs Freistoß löste sich die Mauer beim Hochspringen auf (18.), dann verschluderte der kurz darauf ausgewechselte Maximilian Wittek den Ball gegen Ansgar Knauff (20.). Später hatten sich noch Nathaniel Brown (32.), Mahmoud Dahoud (61.), Can Uzun (66.) und erneut Ekitiké (69.) in die Torschützenliste eingetragen. Da vermochten die Treffer von Dani de Wit (35.) und Philipp Hoffmann (51.) nicht einmal das Bochumer Ehrgefühl zu retten.
Interimstrainer Markus Feldhoff kündigte umgehend an, man müsse sich nach der Heimfahrt ausführlich Gedanken machen: „So kann es nicht weitergehen.“ Der für den entlassenen Peter Zeidler vorläufig beförderte Co-Trainer hatte nach einer Lehrstunde aus der Vorwoche gegen den FC Bayern (0:5) noch viele positive Aspekte hervorgehoben, nun redete der 50-Jährige Klartext: „Ich kann mich nur bei jedem Fan des VfL Bochum entschuldigen für das, was wir heute angeboten haben. Ich hatte vor dem Spiel davon gesprochen, dass wir einen Leistungsnachweis erbringen wollen, dass wir in der Liga konkurrenzfähig sind.“ Davon sei man „meilenweit entfernt“ gewesen.
Weshalb der eingewechselte Gerrit Holtmann bereits in der Halbzeitpause zu den erzürnten Anhängern ging, deren Frustfaktor in Frankfurt einen neuen Höhepunkt erreichte. „Ich bin freiwillig dahin, da ich den Austausch gesucht habe“, erklärte Holtmann bei Sky. „Ich weiß, dass es schwer ist, positiv zu bleiben. Ich habe einfach versucht zu erklären, dass es diese Saison nicht geht, dass wir ausgepfiffen werden – egal, wie es steht.“ An einem Spieltag, an dem die Aufsteiger Kiel und St. Pauli ihre ersten Siege feierten, rutschte der VfL immer tiefer in den Schlamassel. Mittelstürmer Hoffmann meinte: „So eine Leistung ist einfach nicht erstligareif.“
Womöglich soll nun Dieter Hecking als Feuerwehrmann Abhilfe schaffen: Nach übereinstimmenden Medienberichten vom Sonntag soll sich der VfL in fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem 60-Jährigen für die Trainernachfolge befinden.
„Wenn wir so weiter arbeiten und bodenständig bleiben, können wir sehr viel erreichen“, sagt der überragende Omar Marmoush
Noch in keinem Pflichtspiel ist die Eintracht jedenfalls auf so wenig Widerstand gestoßen wie bei diesem Schützenfest. Selbst im Pokalspiel beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig (4:1) und auch zuletzt gegen Rigas FS (1:0) in der Europa League fiel das Toreschießen nicht so leicht. Der in herausragender Form befindliche Marmoush übertrumpfte mit seinem zehnten Saisontreffer nach neun Spieltagen mal eben Eintracht-Ikone Anthony Yeboah. „Wenn wir so weiter arbeiten und bodenständig bleiben, können wir sehr viel erreichen“, sagte der Ägypter. In seinem Windschatten beeindruckten auch jene jungen Nachrücker, denen Eintracht-Trainer Dino Toppmöller wohl auch in Erwartung einer nicht ganz so anspruchsvollen Aufgabe vertraut hatte.
Es sollte gegen diese Bochumer tatsächlich kein Risiko sein, den US-Amerikaner Nnamdi Collins, 20, den deutschen U21-Nationalspieler Brown, 21, und den Franzosen Jean-Matteo Bahoya, 19, in die Startelf zu stellen. Später kam Uzun, 18, noch hinzu, den die Eintracht für zehn Millionen Euro Ablöse vom 1. FC Nürnberg verpflichtet hatte. „Es freut mich total für die Jungs, weil sie es in der Vorbereitung schon gezeigt haben, es aber hier noch nicht konnten, weil andere vor ihnen waren. Jetzt haben sie es gezeigt“, lobte Toppmöller.
Brown wie Uzun gelang jeweils der Premierentreffer in der Bundesliga, wofür sich ein aus gemeinsamen Nürnberger Zeiten eingeübter Jubel anbot. Linksverteidiger Brown berichtete vom „schönsten Tag“ in seinem Leben: „Ja, es ist ein Kindheitstraum: erstes Bundesligator in so einem Stadion, bei so einem Verein, mit so einer Mannschaft.“ Im Hochgefühl plauderten die beiden gleich noch aus, dass eine kuriose Wette laufe. Brown glaubt nämlich nicht, dass der Kumpel Uzun bis zu seinem 19. Geburtstag am 11. November den Führerschein in den Händen hält. „Er hat immer noch keinen. Ich glaube, das wird nichts mehr. Die Wette geht an mich.“