Eintracht Frankfurt:Frankfurt hofft auf die unerwartete Rettung - schon wieder

Erhöhte Ansicht des Stadions, Commerzbank-Arena, Frankfurt, Hessen, Deutschland

Hinten Mainhattan, vorne die Heimat eines Kellerkinds: In Eintracht Frankfurts Arena könnte bald nur noch Zweitliga-Fußball zu sehen sein.

(Foto: F1online)

Der Eintracht droht der fünfte Abstieg innerhalb von 20 Jahren. Warum kann sich in der reichen Bankenmetropole kein Spitzenklub etablieren?

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Jan Aage Fjörtoft kann sich über einen Mangel an Jobs wahrlich nicht beklagen. Er arbeitet als Experte für verschiedene TV-Sender, er betreibt eine eigene Kommunikationsfirma, und für Norwegens Fußball-Nationalelf ist er als Teammanager tätig. Doch in diesen Tagen hat der 49-Jährige noch eine weitere Funktion: Er dient als historisches Beispiel, dass Eintracht Frankfurt im Abstiegskampf eine unerwartete Rettung gelingen kann.

"Ja, ich bekomme gerade viele Anrufe deswegen", lacht Fjörtoft in sein Mobiltelefon. Die Anrufenden wollen sich alle noch einmal genau erzählen lassen, wie das damals war im Frühjahr 1999, in dem so viel passierte, dass es sich nicht normal erklären lässt. Wie die Eintracht die letzten vier Liga-Partien gewann. Wie sie vor dem letzten Spieltag eigentlich schon abgestiegen war und gegen den Champions-League-Aspiranten Kaiserslautern einen hohen Sieg brauchte. Wie Fjörtoft kurz vor Ende der furiosen Partie nach einem Übersteiger das 5:1 erzielte - und wie er danach auf das Erreichen des Klassenverbleibs freudetrunken einen Walzer mit der Oberbürgermeisterin tanzte. Er sagt: "Wir haben damals die Ruhe behalten, und das war das Wichtigste."

Die Ruhe behalten, wenn es so einfach wäre. Noch vier Spiele stehen in dieser Saison aus, vier Punkte beträgt Frankfurts Rückstand auf den Relegationsplatz, und an diesem Sonntag kommt der Nachbar aus Mainz. Das sind die Eckdaten, aber hinter den Eckdaten verbirgt sich eine Grundsatzfrage: Wenn Geld im Fußball zwar nicht alles ist, aber doch sehr viel - warum ist es dann ausgerechnet in der Stadt mit den hohen Bankentürmen nicht möglich, einen überdurchschnittlich guten Bundesligisten zu etablieren?

Wolfgang Steubing findet, dass die Frage in die falsche Richtung führt. Steubing ist erfolgreicher Börsenhändler und leidenschaftlicher Eintrachtler, er kann schöne Geschichten über den Klub erzählen. Zum Beispiel, wie ihn, den kleinen Jungen aus dem Frankfurter Stadtteil Praunheim, Ende der Fünfzigerjahre ab und zu der große Alfred Pfaff persönlich mit dem Auto zum Training mitnahm. Vor allem aber ist Steubing seit Sommer der Aufsichtsratsvorsitzende des Krisenklubs. "Es werden die großen Banktürme gesehen, und damit verbindet man eine Menge Kapital", sagt er. Es gibt auch eine rege Banker-Quote in seinem Kontrollgremium, aber: "Die Unterstützung der Industrie ist vielleicht nicht so, wie sie vielleicht sein könnte."

In diesen Tagen, in denen die Mannschaft dem Abstieg entgegensehen muss, ist der Umgang mit den Finanzen ein viel diskutiertes Thema rund um den Klub. Es ist die große Leistung des scheidenden Vorstandschefs Heribert Bruchhagen, dass er nach der Beinahe-Pleite Anfang des Jahrtausends den Klub wirtschaftlich konsolidiert hat, inklusive positivem Eigenkapital. Im vergangenen Sommer hoben sie den Lizenzspieler-Etat an, auf knapp 40 Millionen Euro - aber manchen ist das noch nicht genug. "Ich will die Solidität nicht wegreden, aber Solidität ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist die Sportlichkeit", sagt Steubing: "Wir haben nicht die Möglichkeit, so eine sportliche Talfahrt wie jetzt aufzufangen."

Eintracht Frankfurt: Rettung im letzten Moment: Jan Aage Fjörtoft trifft 1999 für die Eintracht beim 5:1 gegen Kaiserslautern, statt Frankfurt steigt der 1. FC Nürnberg ab.

Rettung im letzten Moment: Jan Aage Fjörtoft trifft 1999 für die Eintracht beim 5:1 gegen Kaiserslautern, statt Frankfurt steigt der 1. FC Nürnberg ab.

(Foto: Werek/Imago)

Es geht um eine Grundsatzfrage, die sie sich so ähnlich auch an anderen Standorten stellt. Kürzlich schlossen sich die Eintracht und Klubs wie der VfB Stuttgart oder der Hamburger SV mit Blick auf die künftige Verteilung der TV-Gelder zum "Team Marktwert" zusammen. Sie alle dürfen sich mit Stolz und Recht Traditionsverein nennen, können wunderbare Heldengeschichten von Alfred Pfaff (oder Hansi Müller oder Uwe Seeler) erzählen und verfügen über viele Fans. Aber es sind eben auch Vereine, bei denen viele im Umfeld (und manche in verantwortlichen Positionen) nicht wahrhaben wollen, dass ihre Tradition zuletzt darin bestand, in der Liga mittlere oder hintere Plätze einzunehmen.

Die oberen Ränge dürften für die nächsten Bundesliga-Jahre als weitgehend vergeben gelten - wobei die Liga immer mal wieder ein, zwei Ausnahmen zulässt. Die Frage dazu lautet, ob und wenn ja: wie viel finanzielles Risiko es sein soll/muss/darf, um wieder den Anschluss nach oben zu schaffen. Und ob es sich ein Traditionsverein leisten kann, seinem Umfeld zu vermitteln, dass auch Platz zehn bis zwölf erstrebenswert ist, wenn gleichzeitig die Finanzen in Ordnung gehalten werden.

Es ist noch unklar, ob ein Spielerkern auch in der zweiten Liga bleibt

Andererseits ist im Fußball nicht alles mit Geld zu beantworten und zu erklären, was Frankfurt auch am Sonntag wieder vor Augen geführt kriegt, wenn Mainz nicht nur als Lokalrivale, sondern auch als programmatischer Gegenentwurf anreist. Beim FSV 05 nahmen sie in der Vergangenheit regelmäßig die eigenen Nachwuchstrainer in die Verantwortung; in Frankfurt heißt es seit Jahren, das Befördern eines U19-Trainers sei den Wirtschafts-Granden im Aufsichtsrat kaum zu vermitteln, da brauche es schon etwas Prominenz - Niko Kovac galt zuletzt fast schon als mutigste Trainerverpflichtung der vergangenen Dekade. Und auf dem Spielermarkt gab Mainz seine Millionen für Yoshinori Muto oder Jhon Cordoba aus. Frankfurt investierte in Luc Castaignos und Haris Seferovic, die waren nicht günstiger, aber leider etwas schlechter.

In Mainz erarbeiteten sie sich das Label Weiterbildungsverein; in Frankfurt gibt es gerade kaum Spieler, hinter denen prominente Klubs her sind. Die Mainzer verfügen über einen modernen Kader, der als Kollektiv glänzt; Frankfurt befindet sich immer noch in einer folkloristischen Alex-Meier-Abhängigkeit. Ist der Stürmer - wie derzeit - verletzt, schießt fast niemand mehr Tore. Immer noch hofft Kovac, dass Meier nach seiner Knie-Operation im Saison-Finale zurückkehrt. Aber nach den jüngsten Indizien ist ein Mitwirken von Fjörtoft wahrscheinlicher als von Meier.

Die Namen Heldt und Bobic kursieren bei der Bruchhagen-Nachfolge

Es ist ja nicht so, als wäre der Abstieg ein neues Gefühl für diesen Klub und für diese Stadt. Es wäre bereits der fünfte in den vergangenen 20 Jahren - zusammen mit den Kölnern dürfen sich die Frankfurter als Fahrstuhlmannschaft des 21. Jahrhunderts fühlen. Aber manche rund um den Klub beschleicht das Gefühl, dass es diesmal bitter enden könnte. Als die Eintracht 2004 abstieg, war sie ein Jahr später zurück. Als die Eintracht 2011 abstieg, blieb die Achse der wichtigen Spieler um Meier, Schwegler, Rode, Jung - ein Jahr später folgte der Wiederaufstieg.

Aber dieses Mal? Es ist noch unklar, ob ein Spielerkern bleibt. Vorstandsboss Bruchhagen geht, und obwohl das schon eine ganze Weile feststeht, gibt es noch keinen Nachfolger. Diverse Namen kursieren, der scheidende Schalke-Manager Horst Heldt wird es wohl nicht, Fredi Bobic schon eher. Und auch Sportdirektor Bruno Hübner steht unter Druck.

Aber noch ist es nicht so weit. Und es wäre doch schön, sagt Jan Aage Fjörtoft, wenn in 17 Jahren ein Spieler der Frankfurter Mannschaft von 2016 des Öfteren angerufen würde, um von einer tollen Rettungsgeschichte zu erzählen.

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