Eintracht Frankfurt:Hessischer Herbststurm

Eintracht Frankfurt: Harmonieren auch beim Torjubel: Randal Kolo Muani (links) und Jesper Lindström sind die derzeit Besten in Frankfurts starker Offensive.

Harmonieren auch beim Torjubel: Randal Kolo Muani (links) und Jesper Lindström sind die derzeit Besten in Frankfurts starker Offensive.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Sieben Siege aus acht Pflichtspielen: Die Frankfurter Eintracht bietet nach dem FC Bayern derzeit das größte Spektakel der Liga. Die WM-Pause empfindet da mancher als hinderlich.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Stolz, Freude und Begeisterung teilt Günter Häckl gerne. Jedenfalls immer, wenn es mit seinem Lieblingsverein Eintracht Frankfurt zu tun hat. Seit er am 22. November 1970 das erste Mal im Waldstadion war - die Eintracht schlug an jenem Tag den FC Bayern 6:0, vor allem Bernd Hölzenbein, Jürgen Grabowski und Bernd Nickel hatten einen famosen Tag erwischt - gehört sein Herz diesem Klub. Häckl besitzt seit mehr als zehn Jahre eine Dauerkarte, er macht fast alle Auswärtsreisen im Europapokal mit. Auch in der Zweitligasaison 2011/2012, darauf legt der 58-Jährige aus Oberursel großen Wert, schaute er sich jedes Spiel an.

An Hochgefühle wie in den vergangenen Wochen kann selbst er sich kaum erinnern. "Wow, großes Kino. Ich sag' nur Spitzenmannschaft" tippte Häckl nach dem 4:2-Heimsieg gegen die TSG Hoffenheim in seine Statuszeile in den sozialen Netzwerken. Er verzierte den Beitrag mit schwarz-weiß-roten Herzen.

Das fasst den Ist-Zustandes der Eintracht schon ganz gut zusammen. Selbst ältere Anhänger staunen über die Beständigkeit, die den Frankfurter Darbietungen innewohnt. Sieben Siege in den vergangenen acht Pflichtspielen - launische Diva war gestern, die Eintracht bietet, nach dem FC Bayern, derzeit das größte Spektakel an.

Dass Kolo Muani nicht für Frankreichs WM-Kader nominiert ist, ist der Eintracht wiederum ganz recht

Die Saat dazu wurde freilich schon vor Jahren gelegt. Seit 2016 liest sich der Briefkopf des Klubs so: Pokalfinale 2017, Pokalsieg 2018, Europa-League-Halbfinale 2019, Pokalhalbfinale 2020, Platz fünf in der Liga 2021, Europa-League-Triumph 2022. Nach dem Vorstoß in den erlauchten Kreis der Champions-League-Achtelfinalisten als nächsten Schritt ist die Eintracht nun auch auf Platz vier der Bundesliga vorgestoßen. Der würde zur erneuten Teilhabe in der Champions League berechtigen, was die Bosse auch mehr oder minder offen als Ziel fürs nächste Jahr ausgeben.

Im Nachbarschaftsduell beim FSV Mainz am Sonntag soll der letzte Sieg des rauschhaften Jahres 2022 gelingen, und wer zweifelt nach der jüngsten Gala schon daran? Wie ein Herbststurm fegten die Hessen über die Gäste aus dem Kraichgau hinweg, 3:0 stand es nach nicht einmal einer halben Stunde. Da war niemand, der Randal Kolo Muani, Jesper Lindström, Mario Götze und Daichi Kamada im Zusammenspiel halten konnte. Die Wucht des französischen Mittelstürmers, das Tempo des dänischen Dribblers, die Finesse des deutschen Weltmeisters und der Esprit des japanischen Edeltechnikers: Würden die vier Frankfurter Musketiere denselben Pass besitzen, wäre diese Nation wohl ein Geheimfavorit bei der WM.

Wohl nur ein Weltmeistercoach wie Didier Deschamps kann es sich leisten, einen universell begabten Angreifer wie Muani nicht mit nach Katar zu nehmen. Der Eintracht ist der Verzicht nicht völlig unrecht, sonst würde die Jagd der Großklubs auf den 23-Jährigen wohl schon im Winter beginnen. So schnell geben sie ihren Besten so oder so nicht her, dafür sind die kommenden Aufgaben zu groß. Das Los SSC Neapel in der Königsklasse ist zwar schwer - aber nicht unlösbar. Im DFB-Pokal erwartet sie ein Derby gegen den SV Darmstadt 98. Dazu Vollgas in der Liga.

Eintracht Frankfurt: Kaum zu fassen: Randal Kolo Muani erzielt das 2:1 gegen Sporting Lissabon, das die Eintracht ins Achtelfinale der Champions League katapultiert.

Kaum zu fassen: Randal Kolo Muani erzielt das 2:1 gegen Sporting Lissabon, das die Eintracht ins Achtelfinale der Champions League katapultiert.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Selbst der kritische Sportvorstand Markus Krösche ist zufrieden. "Wir haben alle Ziele erreicht, die wir uns gesteckt haben, und haben noch Potenzial - wir sind auf einem guten Weg", sagt der 42-Jährige. Das Einzige, was stört, ist die WM-Unterbrechung. Genau wie in seiner Premierensaison hat Trainer Oliver Glasner ein bisschen Anlaufzeit gebraucht - und musste, wie vor einem Jahr, sein Experiment mit der Viererkette wieder einmotten, weil es nicht zu dieser Mannschaft passt. Jetzt läuft es jedenfalls wieder, da nimmt man auch die vierwöchige Erholungszeit gar nicht so gerne mit.

Der Österreicher passt mit seinem Sturm-und-Drang-Stil ("Ich bin begeistert von unserem Offensivspiel") perfekt zur DNA eines Klubs, der mal den Fußball 2000 erfand, mit den Gründervätern Anthony Yeboah, Jay-Jay Okocha, Maurizio Gaudino und Andreas Möller. Zudem gibt sich Glasner, 48, so volksnah wie kaum ein anderer Kollege. Trotz dicht gedrängtem Terminplan geht er auf Wochenmärkte und Szenetreffs, besucht Bars und Restaurants. Er redet viel mit den Leuten - und spürt, was die Eintracht den Menschen bedeutet.

Sein multikulturelles Ensemble ist ein Spiegelbild der Mainmetropole, wo in Büros, Schule und Kindergärten ebenfalls Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen. Und wenn das beim gefeierten Vorzeigeverein der Stadt so gut funktioniert, warum nicht auch im echten Leben? Gut möglich, dass die Mitgliederzahlen auch deshalb rasant steigen, bei mehr als 110 000 steht die Eintracht aktuell. Günter Häckl ist einer davon, klar.

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