Europa-League-Sieg der Eintracht:Jubelsprünge bis zum Himmel

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In Sevilla passiert Historisches, daheim in Frankfurt steht eine ganze Stadt kopf: Der SGE-Triumph in der Europa League löst überbordende Begeisterung aus - Ehemalige des Klubs wählen große Worte.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Dragan Kandic ist mehr als nur der gute Geist vom Lichtluftbad im Frankfurter Süden. Als Platzwart und Wirt, Tennislehrer und Seelsorger hält er in einem der vielen Sportvereine der Mainmetropole Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen. Aber dass der gebürtige Serbe alles und jeden umarmt und Jubelsprünge bis zum Himmel vollführt - das hat der kleine Tennisverein hoch über den Dächern Frankfurts auch noch nicht erlebt.

Letztlich spielte sich vor den beiden Fernsehern auf der Club-Terrasse in dieser magischen Nacht von Mittwoch auf Donnerstag aber nur ab, was überall in der Stadt geschah: Wildfremde Personen lagen sich in die Armen, die meisten schrien einfach ihre Freude hinaus, nicht wenige weinten vor Glück. Der Europa-League-Triumph der Eintracht - 5:4 im Elfmeterschießen gegen die Glasgow Rangers - versetzte eine ganze Stadt in den Ausnahmezustand. Es dauerte nicht lange, da starteten die ersten Autokorsos mit wilden Hupkonzerten und enthemmt feiernden Fans. Und es ist keine gewagte Prognose: Die schwarz-weißen Eintracht-Fahnen, die überall flatterten, werden in Zukunft noch mehr werden.

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Die riesige Sause, die für den Tag danach auf dem Frankfurter Römer angesagt war: Auch sie ist Ausdruck einer authentischen Begeisterung für die einst als "launische Diva vom Main" verschrieene Eintracht. Die hat in jüngerer Vergangenheit ganz viel richtig und ganz wenig falsch gemacht, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Es kann kaum eine größere Anerkennung für den Traditionsverein geben, wenn Schulkinder die gängigen Eintracht-Hymnen, von "Schwarz-weiß wie Schnee" bis hin zum "Im Herzen von Europa", längst in- und auswendig kennen.

Eintracht Frankfurt hat mittlerweile mehr als 100 000 Mitglieder

Auf den Pausenhöfen der Stadt trällern Mädchen wie Jungs seit Wochen voller Inbrunst diese Lieder. Kaum jemand käme in Frankfurt auf die Idee, Anhänger des FC Bayern oder von Borussia Dortmund zu werden - Frankfurt bietet alles, was ein Fußballfan, egal welchen Alters, welcher Nationalität, welchen Geschlechts, welcher Religion sich wünscht. Der Verein, der kürzlich stolz sein einhunderttausendstes Mitglied begrüßte, strahlt seit geraumer Zeit wie ein Fixstern.

Karl-Heinz "Charly" Körbel, 67, der noch quietschfidele Markenbotschafter, Bundesliga-Rekordspieler (602 Einsätze) und Leiter der Eintracht-Fußballschule, verweist zu Recht darauf, dass der besondere Spirit "nicht von heute auf morgen geboren, sondern in den letzten Jahren gewachsen ist". Die Eintracht von heute, versichert er, hätte nie eine Finanzspritze von einem Investor wie Lars Windhorst bei Hertha BSC angenommen - solche Erfahrungen hat Frankfurt längst hinter sich. Und jetzt ist mit der gekrönten Traumreise durch Europa ein Lehrstück angeboten, dass auch Klubs aus dem gehobenen Mittelstand mit Bordmitteln noch "Grenzen verschieben können", wie Vorstandssprecher Axel Hellmann schon vor dem Finale gemutmaßt hatte.

Der Jurist Hellmann, 50, ist hinter den Kulissen einer der Baumeister dieser sagenhaften Erfolgsgeschichte - er war einst auch eine treibende Kraft, den Klub nach dem soliden Mittelmaß der Heribert-Bruchhagen-Ära mit mehr Fantasie und ein bisschen mehr Risiko auszustatten. Hellmann verweist zu Recht darauf, dass es sich mit diesem Cup-Gewinn, 42 Jahre nach dem Triumph im Vorläufer-Wettbewerb Uefa-Pokal (2:3, 1:0 gegen Borussia Mönchengladbach), eben nicht um ein Zufallsprodukt handelt. "Wir waren in den vergangenen sechs Jahren fünf Mal in einem Halbfinale des DFB-Pokals oder der Europa League."

Doch letztlich geht dann doch nichts über einen Titel. "Es wird ein paar Jahre dauern, bis einem die Tragweite bewusst wird", mutmaßte der Mittelfeldkämpfer Sebastian Rode. Der fest in Hessen verwurzelte Kapitän, der an Wochenenden mit der Familie gern an den Goetheturm fährt, um den wundervollen Ausblick auf den Stadtwald und die Skyline zu genießen, ahnt, dass nach diesem Erfolg die kurzfristigen Aussichten der Eintracht noch prächtiger sind.

Der Europa-League-Sieg bringt 30 Millionen Euro Zusatzeinnahmen, weil die Eintracht damit als gesetzter Gruppenkopf in der Champions League startet. "Natürlich sind das finanzielle Einnahmen, die uns nach zwei Jahren Corona extrem gut tun. Das hilft uns extrem für die Zukunft", sagte Manager Markus Krösche, 41, der aber nicht von seiner grundsätzlichen Philosophie abweichen wird. Es gehe weiter in erster Linie darum, "clever und vorgelagert zu arbeiten". Die Fortsetzung der internationalen Festspiele erleichtert so manches Gespräch mit Akteuren und Agenten. Selbst wenn einige Kaliber der Königsklasse von September an eine Nummer zu groß sein sollten, ist das Überwintern als Gruppendritter in der Europa League- der natürlichen Heimat der Eintracht - auch in der nächsten Saison allemal wieder drin.

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Erst einmal aber steht die nächste Pilgerfahrt an, nach Helsinki, wo am 10. August das Finale um den Supercup gegen den FC Liverpool oder Real Madrid steigt. Bis dahin will der Klub die Verträge mit Filip Kostic, Daichi Kamada und Even Ndicka verlängert haben, die ansonsten unweigerlich auf der Verkaufsliste gestanden hätten. Verstärkungen in allen Mannschaftsteilen sind zwar nötig, trotz allem will sich der Verein aber treu bleiben.

"Wir gehen jetzt nicht groß einkaufen, weil wir uns einmal für die Champions League qualifiziert haben", versprach Eintracht-Präsident Peter Fischer, 66, in einem nüchternen Moment. "In diesem Verein wird es kein Harakiri geben." Ansonsten war auch Fischer, das heisere Sprachrohr der Eintracht, nicht mehr zu halten: "Das ist der größte Moment der Vereinsgeschichte. Deshalb bin ich ein monsterstolzer Präsident. Heute geht nur freuen, feiern, diesen verdammten Pokal nach Frankfurt bringen. Dieses elendige Miststück wollen wir auf den Römer bringen."

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